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Ukrainische Soldaten in einem Auto in der Region Dnipropetrowsk

© AFP/TETIANA DZHAFAROVA

Ukraine-Invasion, Tag 1211: Wie ukrainische Deserteure einer Haftstrafe entgehen können

Russland verstärkt Militärpräsenz nahe Finnland. Zahl der Toten nach Angriff in Kiew auf 27 gestiegen. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Stand:

Die ukrainische Armee hat ein Problem: Seit Kriegsbeginn begingen nach Angaben der Staatsanwaltschaft mehr als 100.000 Soldaten Fahnenflucht, fast zwei Drittel von ihnen im vergangenen Jahr, wie der britische „Telegraph“ berichtet (Quelle hier). Bis September 2024 drohten Deserteure bis zu zwölf Jahre Haft. Wer untertauchte, musste jederzeit mit seiner Festnahme rechnen.

Allerdings kann Kiew es sich nicht leisten, so viele wehrfähige Männer ins Gefängnis zu stecken. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit Russlands kommt es auf jeden Einzelnen an: 2,35 Millionen russischen Soldaten stehen 900.000 ukrainische gegenüber.

Ein neues ukrainisches Gesetz ermöglicht es Soldaten, die zum ersten Mal Fahnenflucht begangen haben, einer Verurteilung zu entgehen, wenn sie sich wieder der Armee anschließen. Allein im ersten Monat, nachdem das Gesetz in Kraft getreten war, meldeten sich rund 6000 Fahnenflüchtige.

Einer von ihnen ist Wolodymyr, genannt Wowa. Der ehemalige Barista war desertiert, nachdem er seinen letzten Einsatz nur knapp überlebt hatte. Bei der schlecht geplanten Operation seien er und seine Kameraden ohne ausreichend Ausrüstung und Verstärkung nur 100 Meter von den russischen Linien abgesetzt worden, berichtet der „Telegraph“.

Wowa bat seinen Kommandeur, in eine andere Brigade versetzt zu werden, was dieser verweigerte. Also ließ er alles hinter sich und machte sich per Anhalter auf den Weg nach Hause zu seiner Frau. Nun ist er wieder bereit, in den Krieg zu ziehen – zu besseren Bedingungen.

Das neue Gesetz ermöglicht es den ehemaligen Fahnenflüchtigen nämlich, sich für die Einheit zu entscheiden, die ihnen das beste Angebot macht. Wowa hofft, sich der 59. Brigade als Drohnen-Pilot anschließen zu können, einer der angesehensten und diszipliniertesten Einheiten.

Ein Nebeneffekt des Gesetzes könnte sein, dass schlecht geführte Brigaden durch „natürliche Auslese“ allmählich ausdünnten, sagt Gil Barndollar, ehemaliger US-Marineoffizier und Experte der Catholic University of America. „Ich vermute, dass den schlechtesten Brigaden die Männer ausgehen werden.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Rund zwei Jahre nach dem Nato-Beitritt von Finnland arbeitet Russland Medienberichten zufolge daran, seine militärische Präsenz in der Nähe der russisch-finnischen Grenze zu verstärken. Wie der finnische Rundfunksender Yle anhand von neuen Satellitenaufnahmen veranschaulichte, hat Russland in Kandalakscha in der Oblast Murmansk mit umfassenden Bauarbeiten für eine Garnison für eine Artilleriebrigade begonnen. (Mehr dazu hier)
  • Eine Woche vor dem Nato-Gipfel in Den Haag hat der slowakische Regierungschef Robert Fico einen Austritt seines Landes aus dem Verteidigungsbündnis ins Spiel gebracht. Mit Blick auf das in Den Haag zur Debatte stehende Fünf-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben verglich Fico im Onlinenetzwerk Facebook die Nato mit einem Golfclub und schrieb, entweder zahle die Slowakei „den neuen Mitgliedsbeitrag“ – „oder wir verlassen die Nato“. (Mehr dazu im Newsblog)
  • Ranghohe Vertreter der Ukraine und der USA haben Möglichkeiten sondiert, Verteidigungsprojekte in dem von Russland angegriffenen Land über einen im vergangenen Monat eingerichteten gemeinsamen Investitionsfonds zu unterstützen. Dies teilt die erste stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine, Julia Swyrydenko, mit.
  • In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist die Zahl der bei den massiven russischen Angriffen getöteten Menschen nach Behördenangaben auf 27 gestiegen. „Die Rettungskräfte setzen ihre Suchoperation fort“, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko bei Telegram mit. Stadtweit habe es mindestens 134 Verletzte gegeben.
  • Die russische Armee hat einen massiven Angriff auf die Region Cherson gestartet und 36 Siedlungen getroffen, darunter die Stadt Cherson, wie der Leiter der regionalen Militärverwaltung von Cherson, Oleksandr Prokudin, mitteilte. Dabei seien zwei Menschen getötet und 34 weitere verletzt worden, darunter Kinder. 
  • Russische Soldaten haben nach Angaben der Armee ein weiteres Dorf in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine eingenommen. Wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilte, handelt es sich um das Dorf Nowomykolajwka rund vier Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze und 30 Kilometer von der Regionalhauptstadt Sumy entfernt.
  • Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow hat nach Angaben aus Moskau den Vormarsch der eigenen Besatzungstruppen im Osten der Ukraine inspiziert. Das Verteidigungsministerium in Moskau veröffentlichte ein Video, das den General bei einem Hubschrauberflug ins Frontgebiet und in einem Kommandopunkt bei einer Lagebesprechung der Heeresgruppe Zentrum zeigen soll.
  • Im Kriegsland Ukraine muss die humanitäre Hilfe rasch die betroffenen Menschen erreichen – darauf dringt die Organisation Help. Die vergangenen Wochen seien mit schweren Angriffen und zahlreichen zivilen Opfern besonders tragisch gewesen, erklärte Oleksandr Novykov, Help-Länderdirektor in der Ukraine.
  • Russland soll Saporischschja mit mindestens 13 Drohnen angegriffen haben, wie der Leiter der regionalen Militärverwaltung von Saporischschja, Ivan Fedorov, auf seinem Telegram-Kanal mitteilte. Demnach seien durch den Angriff Wohngebäude und Fabriken beschädigt sowie 47 Autos zerstört worden.

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