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Ukraine-Invasion, Tag 1355: Diese Mini-Rakete soll die europäische Drohnenabwehr revolutionieren
Viele junge ukrainische Männer flüchten in die EU – und ist Pokrowsk der gefährliche Wendepunkt im Krieg? Der Überblick am Abend.
Stand:
„die am dringendsten benötigte technische Fähigkeit im Westen in den nächsten fünf bis zehn Jahren“ – so nennt Kusti Salm seine Mini-Rakete, nicht größer als ein Baguette.
Salm, ein ehemaliger Beamter im estnischen Verteidigungsministerium, ist Geschäftsführer des Rüstungs-Startups Frankenburg Technologies in Tallinn. „Wir entschuldigen uns nicht dafür, dass wir Waffen produzieren“, sagte er gegenüber der britischen Zeitung „Telegraph“. „Und wir haben keine Angst zu sagen, dass diese Waffen russische Langstreckendrohnen abschießen sollen.“
Die besagte Waffe ist die „Mark I“, eine 65 cm lange Rakete, die nach Schätzung des „Telegraph“ rund 43.000 Euro kosten solle – und damit die europäische Drohnenabwehr bezahlbar machen würde. Zum Vergleich: Eine Patriot-Rakete kostet rund 3,5 Millionen Euro.
Das Ungleichgewicht in der europäischen Drohnenabwehr wurde der breiten Bevölkerung am 9. September bewusst, als europäische Kampfjets rund 20 russische Drohnen über Polen abschossen. 400.000 Euro kostete jede dafür eingesetzte Rakete; eine Shahed-Drohne gibt’s schon für gut 17.000 Euro.
Salm nennt die europäische Rüstungsindustrie eine „Designerhandtaschenbranche“: Raketen sind teuer, rar und technisch ausgereift. Die „Mark I“ hingegen solle einfach nur gut genug sein. Ihre Reichweite liege bei knapp zwei Kilometern und die Treffsicherheit bei 56 Prozent. Das erlaube die Massenproduktion: Frankenburg Technologies hofft, in seinen zwei Fabriken bald Hunderte Mini-Raketen täglich zu bauen.
Technisch möglich gemacht hat das auch Frankenburgs deutscher Chefingenieur. Andreas Bappert hat für Diehl Defence das Luftabwehrsystem Iris-T entwickelt, das derzeit bei der Nato und in der Ukraine im Einsatz ist. Für die „Mark I“ musste er ganz besondere Herausforderungen lösen: In einer winzigen Rakete würde beispielsweise der Neigungswinkel durch die Gewichtsveränderung beim Verbrennen des Treibstoffs stark beeinflusst, schreibt der „Telegraph“.
Gute Ingenieure zu rekrutieren, sei für Frankenburg kein Problem, sagte Salm der Zeitung. „Es gibt viele Menschen, die morgens aufwachen, die Nachrichten lesen und sich über die Ungerechtigkeiten in der Welt ärgern“, sagt er. „Und wir sind einer der wenigen Orte in Europa, an denen man sein Talent einsetzen kann, um diesem Wahnsinn irgendwie ein Ende zu setzen.“
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- Im Oktober hat sich die Situation der Ukraine bei der Flugabwehr nach Einschätzung von Experten stark verschlechtert. „Russland gelingt es zunehmend, die ukrainische Luftabwehr zu umgehen und kritische Infrastruktur zu schädigen“, heißt es im vom Europäischen Austausch und der Konrad-Adenauer-Stiftung monatlich herausgegebenen Bericht „Monitor Luftkrieg Ukraine“. Mehr im Newsblog.
- Aus der Ukraine sind im September so viele Menschen als Kriegsflüchtlinge in die Europäische Union gereist wie seit zwei Jahren nicht mehr. Den Anstieg begründete das europäische Statistikamt Eurostat mit der Entscheidung der ukrainischen Regierung Ende August, jungen Männern im Alter von 18 bis 22 Jahren ungehindert eine Ausreise zu erlauben. Mehr hier.
- Beim jüngsten Treffen zwischen den Präsidenten der Ukraine und der USA soll es Berichten zufolge wieder Streit gegeben haben. So schlimm wie behauptet war es jedoch nicht, sagt Wolodymyr Selenskyj nun. Mehr hier.
- Der Kreml hat Berichte über ein Zerwürfnis zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem langjährigen Außenminister Sergej Lawrow zum wiederholten Mal dementiert. „All diese Berichte sind absolut falsch“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag zu Journalisten. Mehr im Newsblog.
- Der in Italien inhaftierte Serhij K., der im Zusammenhang mit der Sprengung der Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee beschuldigt wird, erhebt schwere Vorwürfe gegen die italienischen Behörden. „Ich werde unter bewaffneter Bewachung, in völliger Isolation und ständiger Überwachung festgehalten“, zitierte der Anwalt des Ukrainers aus einem Brief von K.
- In der Ukraine gehen die Behörden mit einem großangelegten Einsatz gegen Korruption in der Energiebranche vor. Es sei eine hochrangige kriminelle Vereinigung aufgedeckt worden, teilte die Anti-Korruptionsbehörde auf Telegram mit.
- In Myrnohrad östlich des umkämpften Pokrowsk sei es den russischen Besatzungstruppen gelungen, die Versorgung der ukrainischen Verteidigungskräfte zu blockieren, teilte das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) unter Verweis auf eine Quelle in ukrainischen Geheimdienstkreisen mit.
- Nahe dem russischen Schwarzmeerhafen Tuapse sind Behördenangaben zufolge vier ukrainische Drohnenboote zerstört worden. Eines der unbemannten Boote sei nahe der Küste explodiert, teilte der lokale Krisenstab mit. Durch die Druckwelle seien an Land zwei Gebäude beschädigt worden.
- Der scheidende tschechische Außenminister Jan Lipavsky befürchtet eine Abkehr der neuen Regierung von der bisherigen Militärhilfe für die Ukraine. „Wir wissen, dass wir dafür bezahlen müssen, wenn wir Russland aufhalten wollen“, sagte Lipavsky am Sonntag.
- Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Sergej Schoigu, ist am Sonntag an der Spitze einer großen Delegation zu Militärgesprächen in Ägypten eingetroffen. Schoigu werde unter anderem Präsident Abdel Fattah al-Sisi treffen, meldete die Nachrichtenagentur RIA.
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