zum Hauptinhalt
 Ein ukrainischer Fallschirmjäger der 80. Air Assault Brigade bereitet eine Panzerhaubitze 2s1 für den Beschuss russischer Stellungen an der Frontlinie Bachmut vor.

© dpa/Evgeniy Maloletka

Ukraine-Invasion Tag 382: Ein kritischer Blick auf die Defensive von Bachmut

Mobilisierte Russen beschweren sich über Zustände an der Front, Selenskyj ehrt toten Soldaten posthum. Der Überblick am Abend.

Dass der ukrainische Präsident Selenskyj offensichtlich unbeirrt an der Verteidigung von Bachmut festhält, war in den vergangenen Wochen bei Beobachtern häufiger Thema - zusammen mit teils deutlicher Kritik an der Entscheidung. Der in Kiewer Regierungskreisen gut vernetzte „Bild“-Reporter Paul Ronzheimer berichtete gar von einem Streit zwischen Selenskyj und seinem Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj: Der Präsident wollte Bachmut halten, sein oberster General nicht. 

Kurz nachdem der Bericht öffentlich wurde, wollte die Armeeführung offensichtlich Geschlossenheit demonstrieren. Nach einem Treffen von Selenskyj, Saluschnyj und dem Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte Oleksandr Syrskyj hieß es, dass alle drei sich für die weitere Verteidigung von Bachmut aussprächen. Offen blieben ihre Beweggründe. 

Selenskyj erklärte Bachmut für wichtig, weil die russischen Truppen sonst vor einem Durchmarsch im Donbass stünden. Experten halten das aber für unwahrscheinlich, da sich nordwestlich von Bachmut günstig gelegene und stark ausgebaute Verteidigungsstellungen befinden. Außerdem machen die Russen an anderen Teilen der Front im Donbass derzeit keinerlei Fortschritte. 

Noch rätselhafter lässt die weitere Verteidigung eine Einschätzung von Konrad Muzyka wirken, einem polnischen Sicherheitsexperten, der gerade in Bachmut war. Er geht davon aus, dass die Ukraine mittlerweile halb so viele oder genauso viele Soldaten verliert wie die russische Armee. Ende vergangenen Jahres soll das Verhältnis noch bei eins zu fünf oder eins zu sieben gelegen haben. Die Lage hat sich für die Ukrainer also drastisch verschlechtert. So gebe es im Norden der Stadt kaum Keller, die als Defensivstellungen genutzt werden könnten, berichtet Muzyka. 

Auch das Argument, dass die russische Armee durch die Schlacht in Bachmut entscheidend geschwächt werde, lässt er nicht gelten. Noch immer kämpften vor allem Wagner-Einheiten dort. Tatsächlich verbrauche Russland vor allem übermäßig viel Artilleriemunition in Bachmut. Auf eins zu fünf schätzt Muzyka den Verbrauch beider Armeen, wobei die ukrainischen Soldaten in der Stadt schon seit Wochen einen generellen Munitionsmangel beklagen. An anderen Stellen der Front sei die Ukraine Russland im Gebrauch der Artillerie inzwischen ebenbürtig. In diesem Punkt stimmt also das Argument, dass die Schlacht um Bachmut russische Kräfte bindet, die an anderen Teilen der Front fehlen. Das bleibt allerdings der einzige Punkt. 

Folgt man den Schilderungen von Muzyka bleibt es tatsächlich rätselhaft, warum die Ukraine an der Verteidigung von Bachmut festhält. Aber es gibt auch eine andere Sicht: Wie eine Kommentatorin in der „Zeit“ letztens einwandte, würde die Armeeführung in Kiew die Zahlen wohl am besten kennen – und am Ende daraus eine richtige Entscheidung ableiten, wenn die Situation tatsächlich aussichtslos für die Verteidiger würde. Wer richtig liegt, wird sich wohl erst in einigen Wochen zeigen. 

Die wichtigsten Nachrichten im Überblick

  • Mobilisierte Russen beschweren sich vermehrt über die Zustände an der Front. Sie kritisieren, als „Kanonenfutter“ an die Front geschickt zu werden. Laut der unabhängigen russischen Nachrichtenseite „Verstka Media“ tauchen seit Anfang Februar deutlich mehr dieser Videos auf als zuvor. Mehr lesen Sie hier.
  • Die Einfuhren schwerer Waffen wie Panzer, Kampfjets und U-Boote nach Europa stiegen im Vergleich der vergangenen beiden Fünfjahreszeiträume um 47 Prozent an – die von europäischen Nato-Staaten sogar um 65 Prozent. Dies geht aus einem Bericht hervor, den das Friedensforschungsinstitut Sipri aus Stockholm am Montag veröffentlichte. Die Ukraine stieg infolge des russischen Überfalls im Februar 2022 zum drittgrößten Importeur von Rüstungsgütern weltweit auf. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Viele Soldaten der russischen Eliteeinheit Speznas seien desertiert, behauptet ein russischer Militärblogger. Demnach gebe es keine Einheit, die noch in voller Stärke vorhanden sei, zitiert der US-amerikanische Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) aus einem Telegram-Beitrag. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Die russische Söldnertruppe Wagner könnte nach britischer Einschätzung mangels neuer Häftlinge als Rekruten beim Krieg in der Ukraine Schwierigkeiten bekommen. Zuvor hatte sich ihr Anführer öffentlich über den Mangel an Munition beklagt. Das Verteidigungsministerium in London verwies darauf, dass Moskau Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin die Möglichkeit genommen habe, Söldner in Gefängnissen zu rekrutieren. Hier finden Sie weitere Informationen.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einen im russischen Angriffskrieg getöteten Scharfschützen posthum mit dem Titel „Held der Ukraine“ geehrt. Der 42-Jährige sei „ein Mann, an den man sich für immer erinnern“ werde, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. Das Video mit dem unbewaffneten Mann, der nach Äußerung des Spruchs „Ruhm der Ukraine“ mit mehreren Schüssen getötet worden war, sorgte international für Entsetzen. Nach ukrainischen Angaben wurde die Identität des Mannes nun durch Analysen endgültig geklärt. Mehr hier.
  • Großbritannien will Gefahren aus China und Russland entschlossen entgegentreten. „Schnelle und robuste Maßnahmen“ sollten jeder Bedrohung nationaler Interessen durch Peking entgegenwirken, hieß es in der überarbeiteten britischen Sicherheitsstrategie, die die Regierung am Montag veröffentlichte. Unter der Kommunistischen Partei stelle China eine „epochale und systemische Herausforderung“ für fast jeden Aspekt der Regierungspolitik und des Alltagslebens dar, sagte Premierminister Rishi Sunak.
  • In Russland ist eine Gesetzesinitiative zur Erhöhung des Wehrpflichtalters ins Parlament eingebracht worden. Dem Gesetzestext entsprechend soll die Einberufung zum Militär ab 2026 erst mit 21 Jahren erfolgen, berichtet die Nachrichtenagentur Interfax. Zugleich soll das Höchstalter von derzeit 27 Jahren auf 30 Jahre hochgesetzt werden. Die Erhöhung des Mindestalters von derzeit 18 Jahren erfolgt demnach stufenweise. Ab nächstem Jahr sollen Rekruten erst mit 19 Jahren eingezogen werden, ab 2025 mit 20 Jahren.
  • Chinas Staatschef Xi Jinping will einem Medienbericht zufolge bald erstmals seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprechen. Wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtet, soll das Gespräch wahrscheinlich nach Xis Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau stattfinden.
  • Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat Machthaber Alexander Lukaschenko als „Komplizen“ des Kremls im Angriffskrieg gegen die Ukraine bezeichnet. „Er führt alle Aufträge von (Russlands Präsident Wladimir) Putin aus“, sagte Tichanowskaja im Deutschlandfunk. Ohne seine Zustimmung wären Angriffe auf die Ukraine nicht möglich. Lukaschenko verkaufe Stück für Stück die Unabhängigkeit seines Landes.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false