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Ein ukrainischer Soldat umarmt  nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft seinen Kameraden bei einem Gefangenenaustausch im Mai.

© dpa/Evgeniy Maloletka

Ukraine-Invasion Tag 945: Berichte aus zweieinhalb Jahren in russischer Gefangenschaft

Selenskyj im UN-Sicherheitsrat. Kiew wirft Russland Pläne für Angriff auf Atomanlagen vor. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Stand:

Tausende ukrainische Soldatinnen und Soldaten sind seit Kriegsbeginn in russische Gefangenschaft geraten. Sie sitzen monate- oder sogar jahrelang in Haft, so wie der 23 Jahre alte Jurij (Name geändert). Mitte September kam er im Zuge eines Gefangenenaustauschs frei, nachdem er zweieinhalb Jahre lang völlig von der Außenwelt abgeschnitten war und gefoltert wurde, wie er sagt. Wie schwierig es für Menschen wie Jurij ist, zu einer gewissen Normalität zurückzufinden, schildert die französische Zeitung „Le Monde“, die mit dem 23-Jährigen gesprochen hat (Quelle hier).

Der junge Student hatte sich kurz vor dem russischen Einmarsch bei der ukrainischen Armee verpflichtet. Sein aktiver Dienst bei der 36. Marinebrigade währte nicht lange, im April 2022 wurde er in Mariupol gefangen genommen. Die russischen Soldaten hätten ihn mit Holz- und Gummiknüppeln geschlagen, mit Elektroschocks traktiert, 16 Stunden am Tag habe er stehen müssen, berichtet er.

Jurij fand seinen eigenen Weg, mit der Ausnahmesituation umzugehen: Er verstummte. Mehr als ein Jahr lang sprach er kein Wort, selbst am Tag seiner Freilassung blieb er stumm. Erst nach einigen Tagen fand er seine Sprache wieder. Es gibt ein Video des Moments, als er im ukrainischen Tschernihiw seine Eltern nach zweieinhalb Jahren wiedersieht. Seine Mutter schließt ihn weinend in die Arme, Jurij, mit blassem Gesicht und kahlrasiertem Schädel, wirkt seltsam teilnahmslos und starr. „Ich hatte so oft davon geträumt, sie wiederzusehen, dass ich dachte, vielleicht träume ich noch immer“, sagt er.

Manchmal wirft ihn ein Foto oder auch nur ein Wort in die Zeit der Gefangenschaft zurück, er verfällt erneut in eine Art Starre. „In solchen Fällen fällt es mir sehr schwer, wieder in die Realität zurückzufinden“, sagt er. Vom Kriegsverlauf will er heute nichts mehr hören. „Ich habe genug vom Krieg. Ich will nicht mehr kämpfen und riskieren, getötet, verletzt oder erneut gefangen genommen zu werden.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat im UN-Sicherheitsrat seine Verbündeten beschworen, gemeinsam ein Ende des russischen Angriffskrieges zu erzwingen. Kremlchef Wladimir Putin habe „so viele internationale Gesetze und Regeln gebrochen, dass er nicht von allein damit aufhören wird. Russland kann nur zum Frieden gezwungen werden, und genau das ist nötig“, sagte Selenskyj. Mehr hier.
  • Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat in der Sitzung des UN-Sicherheitsrates Eckpunkte für mögliche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine skizziert. „Frieden bedeutet, dass die Existenz der Ukraine als freies und unabhängiges Land garantiert ist. Es bedeutet Sicherheitsgarantien“, sagte die Grünen-Politikerin in New York. Mehr dazu lesen Sie in unserem Newsblog.
  • Der Kreml hat den Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem UN-Sicherheitsrat scharf kritisiert. „Die Position, die auf dem Versuch beruht, Russland zum Frieden zu zwingen, ist ein absolut fataler Fehler“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland sei ein Anhänger des Friedens, aber nur unter der Bedingung, dass seine Sicherheit gewährleistet sei. 
  • Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, Angriffe auf Atomkraftwerke in der Ukraine zu planen. „Kürzlich habe ich einen weiteren alarmierenden Bericht unseres Geheimdienstes erhalten“, sagte Selenskyj.
  • Russland treibt europäischen Geheimdienstkreisen zufolge in China ein Waffenprogramm für Langstrecken-Drohnen voran. Damit würden erstmals Drohnen für den Einsatz in der Ukraine entwickelt und produziert, sagten zwei Geheimdienstvertreter der Nachrichtenagentur Reuters. 
  • Bei einem Angriff auf die westrussische Stadt Belgorod nahe der Grenze zur Ukraine sind nach Behördenangaben fünf Menschen verletzt worden. Vier davon seien ins Krankenhaus eingeliefert worden, teilte der Gouverneur der Region, Wjatscheslaw Gladkow, auf Telegram mit. Der ukrainische Beschuss ist nach Ansicht unabhängiger Beobachter die Antwort Kiews auf einen Luftangriff der Russen gegen die ukrainische Großstadt Charkiw.
  • Die ukrainischen Verteidigungskräfte halten die russische Offensive in der Region Charkiw weiterhin zurück. Die Lage bleibt schwierig. Dies geht aus dem Bericht der operativ-taktischen Gruppe „Charkiw” hervor. 
  • Die russische Armee soll derzeit versuchen an den Flanken der ostukrainischen Stadt Wuhledar in der Region Donzek vorzudringen. Die russische Armee versuche, von den Flanken aus anzugreifen, da es keine städtische Bebauung gibt, in der die ukrainischen Kräfte die Linie halten könnten, erklärte ein ukrainischer Reservist.
  • In der Ukraine hat es nach offiziellen Angaben erneut Tote und Verletzte durch russische Angriffe gegeben. In der südlichen Region Saporischschja sei ein 55-jähriger Mann ums Leben gekommen, teilte der Militärgouverneur des Gebiets, Iwan Fjodorow, mit. 

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