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CHICAGO, ILLINOIS - AUGUST 17: Workers drive past a mural of Democratic presidential candidate U.S. Vice President Kamala Harris hanging outside of the United Center, site of the Democratic National Convention on August 17, 2024 in Chicago, Illinois. The convention will be held August 19-22.   Joe Raedle/Getty Images/AFP (Photo by JOE RAEDLE / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)

© Getty Images via AFP/JOE RAEDLE

Ungebremst ins Weiße Haus?: Das Kamala-Harris-Momentum und seine Tücken

Viele sehen die demokratische Präsidentschaftskandidatin schon kurz vor einem Wahlsieg. Warum das zu früh sein könnte, wird sich auch auf dem Parteitag zeigen, der an diesem Montag beginnt.

Juliane Schäuble
Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Stand:

Eine Umfrage nach der anderen zeigt: Das Rennen um die US-Präsidentschaft ist wieder offen. Und wer gerade noch eine Rückkehr des rachsüchtigen Populisten Donald Trump fürchtete, darf sich Hoffnungen machen, dass die „fröhliche Kriegerin” Kamala Harris ihm dies verwehren wird.

Die Hoffnung ist erlaubt, eine vorzeitige Siegesgewissheit indes gefährlich. Die derzeitigen Umfragen belegen nämlich nicht, dass ein Durchmarsch von Harris bevorsteht. Sie zeigen lediglich, dass Joe Biden als Kandidat deutlich schwächer war, als viele Demokraten es wahrhaben wollten.

Präsidentschaftswahlen in den USA gehen, man kann es nicht oft genug sagen, inzwischen extrem knapp aus. Die Wählerblöcke sind so stark polarisiert, dass über Sieg oder Niederlage in wenigen Swing States entschieden wird. Auf diese Bundesstaaten, die mal republikanisch, mal demokratisch abstimmen, schauen die Wahlforscher ganz genau.

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Stand jetzt liegen die Umfrageergebnisse weiter im Bereich der statistischen Fehlergrenze, und noch immer kann die Wahl kann so oder so ausgehen.

Wofür steht Kamala Harris?

Dennoch: Der Höhenflug von Harris, die in dieser Woche offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gekürt werden wird, ist signifikant. Aber bisher drückt sich darin vor allem die Erleichterung vieler Wähler aus, die keinem der beiden alten weißen Männer, weder Trump noch Biden, viel abgewinnen konnten.

Es ist bisher weniger die Begeisterung über die tatsächliche neue Kandidatin an der Spitze, deren Konturen bisher nur unscharf zu erkennen sind.

Harris befindet sich also in einem Wettlauf mit der gegnerischen Kampagne: Wer schafft es schneller, zu definieren, was für eine Präsidentin sie wäre? Wofür steht sie genau, welche politischen Visionen verfolgt sie?

Die kurze Zeitspanne zwischen dem fliegenden Wechsel von Biden zu Harris und dem Wahltag am 5. November ist damit beides: Chance und Risiko.

Chance, da dem Trump-Lager die Zeit davonlaufen könnte, um das Momentum auszubremsen, von dem Harris’ Anhänger hoffen, dass es sie ungebremst ins Weiße Haus trägt.

Risiko, weil der lange Atem fehlen könnte, um Patzer – die ganz sicher kommen werden – auszugleichen. Seit Bidens Rückzug hat sich die 59-Jährige in keinem Interview und in keiner Pressekonferenz kritischen Fragen gestellt. Noch ist nur in Bruchstücken bekannt, was ihre innen- und außenpolitischen Ideen sind.

Dafür zeigt das, was bereits bekannt ist, wo Gefahren lauern. Das gerade vorgestellte Wirtschaftsprogramm, mit dem sie unter anderem gegen hohe Hypotheken, Mieten und Lebensmittelpreise vorgehen will, beinhaltet auch populistische Vorschläge, die auf viel Kritik stoßen werden.

Die Demokratin aus dem progressiven Kalifornien will mit einem neuen Gesetz gegen Wucher im Lebensmittelhandel Firmen bestrafen, die in Krisenzeiten Preise anheben und damit ihre Profite übermäßig erhöhen. Ab wann aber Preise beziehungsweise Unternehmensgewinne zu hoch sind, geht aus den Vorschlägen nicht hervor.

Zwar ist die Absicht hinter den Plänen nachvollziehbar: Harris will den Unmut vieler Amerikaner, die das Gefühl haben, trotz sinkender Arbeitslosigkeit und weniger Inflation wirtschaftlich nicht auf die Beine zu kommen, dämpfen, beziehungsweise ihn in eine andere Richtung lenken.

Aber das Mittel sollen staatlich erzwungene Preiskontrollen sein, die von Bürokraten in Washington im ganzen Land durchgesetzt würden – die Republikaner frohlocken schon ob dieses Wahlkampfgeschenks. Selbst die linksliberale „Washington Post” kommentierte: „Wenn Ihr Gegner Sie als ,Kommunistin’ bezeichnet, sollten Sie vielleicht keine Preiskontrollen vorschlagen?”

Manche Maßnahmen könnten zudem die Inflation wieder anheizen, sagen Kritiker. So könnte der Vorschlag, Erstwohnungskäufern bis zu 25.000 Dollar zukommen zu lassen, Immobilienpreise in die Höhe treiben, weil mehr Interessenten mitbieten. Von der weiter wachsenden und schon jetzt horrenden Staatsverschuldung ganz zu schweigen.

Bei aller Euphorie, die der Parteitag noch einmal enorm puschen wird, zeigt sich auch Harris’ Dilemma: Der Druck ist groß, sich schnell zu positionieren und klar von Trump abzugrenzen. Sie muss den Spagat vollbringen, die aktuelle Regierungspolitik zu verteidigen und dennoch Änderungen in Aussicht zu stellen. Gleichzeitig erhöht jede Festlegung die Gefahr, Wählergruppen zu verprellen.

Die Wahlen werden von den Wechselwählern in den Swing States entschieden. Daraufzusetzen, dass die einen Linksrutsch gutheißen werden, stellt ein Wagnis dar. In zwölf Wochen wird sich zeigen, ob es das wert war.

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