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US-Präsident gibt Akten frei : Trumps riskantes Epstein-Manöver
Trumps abrupter Kurswechsel in der Epstein-Affäre dürfte auch seine Vertrauten überrascht haben – und bringt die Republikaner in Erklärungsnot. Seine Strategie kann zum politischen Risiko werden.
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Kein Foto, wie üblich, aus dem Oval Office, umringt von freudigen Regierungsmitarbeitern, die seinen Erfolg bezeugen. Keine Presse. Nur später ein Post auf Truth Social. Als US-Präsident Donald Trump am Mittwoch das Gesetz zur Veröffentlichung der Epstein-Akten unterzeichnete, war das für seine Verhältnisse so zurückhaltend, dass es fast heimlich wirkte.
„ICH HABE GERADE EBEN DAS GESETZ UNTERZEICHNET, UM DIE EPSTEIN-AKTEN FREIZUGEBEN“, schrieb der Republikaner auf seiner Social-Media-Plattform – in Versalien, wie üblich für ihn. Dann holte er gleich zum Schlag gegen die Demokraten aus: Sie seien verwickelt in den Skandal, nicht er. Und so weiter.
Der inzwischen verstorbene Multimillionär Jeffrey Epstein hatte über Jahre einen Missbrauchsring betrieben, dem zahlreiche junge Frauen und Minderjährige zum Opfer fielen. Unter seinen Klienten sollen viele einflussreiche Menschen gewesen sein. Auch Trump soll engen Kontakt mit Epstein gepflegt haben, was der Präsident stets abstreitet.
Das Repräsentantenhaus stimmte nahezu einstimmig für das Gesetz
Neben Trump hatte auch der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson, die Abstimmung zu einem der größten Missbrauchsskandale der jüngeren amerikanischen Geschichte zu verhindern versucht. Doch als klar war, dass die Demokraten genug republikanische Stimmen dafür zusammen gekommen hatten, schwenkte der Präsident plötzlich um und forderte seine Partei auf, das Vorhaben zu unterstützen.
Mit 427 zu einer Stimme ging das Gesetz durch das Repräsentantenhaus; der Senat konnte es anschließend sofort ohne formelle Abstimmung beschließen, weil keiner der Senatoren dem widersprochen hatte. Was fehlte, war die Unterschrift des Präsidenten – bis Mittwochabend.
Was in den Akten steht, ist unklar
Nun, da das Gesetz in Kraft getreten ist, hat das Justizministerium 30 Tage Zeit, um Zehntausende Dokumente, die den Sexualstraftäter Epstein betreffen, der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Die Folgen sind zum jetzigen Zeitpunkt aber schwer absehbar. „Wir wissen noch nicht, wie sich die Veröffentlichung der Epstein-Akten auf die Parteipolitik auswirken wird – weil wir schlicht nicht wissen, was in den Akten steht“, sagt Richard F. Bensel, Politikwissenschaftler und Professor an der Cornell University, dem Tagesspiegel.
Weil niemand weiß, wen die Inhalte belasten könnten, ist die Angelegenheit besonders heikel – vor allem für Präsident Trump, dessen Verbindungen zu Epstein zumindest Fragen aufwerfen.
Eine Niederlage für den Präsidenten
Das Thema Epstein war in den vergangenen Wochen zum Loyalitätstest für die eigene Partei geworden. Wer mit den Demokraten stimmen wollte, wurde von Trump öffentlich als „Verräter“ attackiert, wie etwa die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia.
Auch wenn die meisten Republikaner der Linie des Präsidenten zu folgen schienen, konnten sie seinem Wunsch nach Zurückhaltung bei dem Thema nicht nachkommen und die Abweichler in den eigenen Reihen nicht besänftigen. So sind die Entwicklungen der vergangenen Tage Trumps offensichtlichste und größte Niederlage gegenüber der eigenen Partei seit Beginn seiner Präsidentschaft.
„Donald Trump hat einen schwerwiegenden Fehler gemacht“, sagt Bensel. Statt eine klar zu verfolgen, habe der Präsident zwischen zwei Strategien geschwankt. Hätte er die Akten schon vor Monaten veröffentlicht, wäre der politische Druck geringer gewesen als jetzt. Hätte er sich wirklich deutlich gegen eine Veröffentlichung positioniert, „der Senat hätte ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit unterstützt“, meint der Experte.
Das Ganze ist äußerst merkwürdig, weil Trump die Akten selbst hätte veröffentlichen können.
Richard F. Bensel, Politikwissenschaftler
Stattdessen wählte er einen Zwischenweg mit überraschender Kehrtwende, als der Druck zu hoch wurde – und nährte damit vor allem das Misstrauen. „Das Ganze ist äußerst merkwürdig, weil Trump die Akten selbst hätte veröffentlichen können“, meint Bensel. Als Präsident hätte er nämlich formal kein Gesetz zur Freigabe gebraucht.
Gefährlich sind für Trump nun zwei Aspekte: der mögliche Inhalt der Unterlagen und die Tatsache, dass er seinen Kurs erst änderte, als absehbar wurde, dass die Abstimmung gegen ihn laufen würde. Dieses Timing legt nahe, dass er die Entwicklung nicht mehr steuern kann und genau das macht ihn politisch verwundbar.
Wie besonders die Situation ist, zeigt auch die Entscheidung im Senat. Dass die zweite Kammer ein derart politisch brisantes Gesetz ohne formelle, namentliche Abstimmung verabschiedet, ist äußerst selten. Für Experte Bensel ist dieses Vorgehen fast beispiellos, denn sonst werde dieser Weg im Senat nur bei unstrittigen Routinefragen genutzt.

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„In diesem ungewöhnlichen Fall behandelt der Senat die Epstein-Akten wie eine heiße Kartoffel, die man möglichst schnell loswerden will“, meint Bensel. „Die Demokraten drängen auf Tempo, falls Trump erneut seine Meinung ändert – und die Republikaner wollen aus demselben Grund im Sinne des Präsidenten stimmen.“
Trumps Wahlversprechen
Darin lag für die Republikaner das größte Risiko. „Wenn Trump erneut seine Meinung geändert hätte, hätten sie vor einer äußerst schwierigen Entscheidung gestanden“, sagt der Experte. Denn dann hätten sie sich entweder gegen den Präsidenten stellen müssen – oder die Aufklärung im Fall Epstein verhindern.

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Mit Blick auf die Zwischenwahlen im nächsten Jahr hätte das in einem politischen Desaster enden können. Denn verliert Trump die Kontrolle über Senat und Repräsentantenhaus, wäre seine Präsidentschaft stark ausgebremst. Die republikanische Basis, die Anhängerinnen und Anhänger der Bewegung „Make America Great Again“ (Maga) fordern seit Jahren Transparenz im Fall Epstein. Und so war die Veröffentlichung der Akten 2024 eines von Trumps größten und wichtigsten Wahlversprechen.
Die Republikaner können sich eigentlich nur wünschen, dass das Thema Epstein für immer verschwindet
Richard F. Bensel, Politikwissenschaftler
Es bleibt die Unberechenbarkeit des Präsidenten, die den Republikanern künftig schaden könnte. „Sie können sich eigentlich nur wünschen, dass das Thema Epstein für immer verschwindet“, sagt der Politologe. Doch mit der Veröffentlichung der Unterlagen könnte es – je nach Inhalt – erst richtig losgehen.
Mit seinem Kurswechsel hat der Präsident den Eindruck erweckt, dass er etwas zu verbergen habe. Dieser politische Schaden ist nur schwer zu beheben. Umso wichtiger wäre es nun, aktiv an der Aufklärung mitzuwirken. Doch das scheint unwahrscheinlich.
Der Grund dafür liegt auch im Gesetz selbst: Zwar verpflichtet es das Justizministerium, FBI und Staatsanwaltschaft zur Veröffentlichung der Akten, doch es erlaubt Ausnahmen – etwa zum Schutz der Identität minderjähriger Opfer laufender Ermittlungen oder der nationalen Sicherheit.
Diese Spielräume könnten nun zu neuen Streitpunkten werden, glaubt Bensel. „Ich gehe davon aus, dass Trump versuchen wird, einige Dokumente zurückzuhalten.“ Teilfreigaben würden die Kontroverse eher verlängern als beenden und den Frust enttäuschter Maga-Fans möglicherweise noch erhöhen. So könnte Trumps Umgang mit der Affäre Epstein ihm am Ende politisch gefährlicher werden als der Inhalt der Akten selbst.
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