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US-Professor Stephen Silvia im Interview: „Die Gewerkschaften könnten den Wahlausgang beeinflussen“
Gerade in den Swing States spielen Gewerkschaften eine große Rolle. Traditionell unterstützen sie die Demokraten. Doch zuletzt wanderten viele Mitglieder ins Trump-Lager ab. Ihre Stimmen können das knappe Rennen entscheiden.
Stand:
Herr Silvia, glaubt man Donald Trumps Vize-Kandidat J.D. Vance sind die Republikaner jetzt die Partei der Arbeiterklasse. Hat er recht?
Der Wandel der Republikaner zu einer Partei des Populismus hat sicherlich mehr Wähler aus der Arbeiterklasse angezogen. Der machohafte Ansatz von Donald Trump mag für einige männliche Wähler attraktiv sein, auch bei denjenigen, die Minderheiten angehören. Trump kommt bei diesen Wählern deutlich besser an als frühere republikanische Kandidaten.
Haben die Demokraten die Arbeiterklasse im Stich gelassen, wie J.D. Vance sagt?
Die Frage ist: Im Vergleich zu was? Denn im Vergleich zu den Republikanern haben die Demokraten die Arbeiterklasse nicht im Stich gelassen. Erst recht nicht Joe Biden, der sehr viel für ihre Belange getan hat. Barack Obama und Bill Clinton vertraten sehr stark die Position des sogenannten „dritten Wegs“ – sie versuchten also, die Globalisierung mit einem freundlichen Gesicht zu fördern.

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Viele Menschen betrachten diesen Versuch als gescheitert. Die Aufnahme Chinas in die WTO und die Unterzeichnung des Nafta-Abkommen unter Bill Clinton hat viele Arbeitsplätze in der US-Industrie gekostet. Joe Bidens hat eine neue Richtung eingeschlagen und gezielt die Errichtung von Produktionsstätten in deindustrialisierten Gegenden gefördert.
Wie blicken die Gewerkschaften auf Kamala Harris?
Wenn man sich die Bilanz ihrer politischen Entscheidungen ansieht, ist Harris sehr deutlich pro-Gewerkschaften. Dagegen lässt sich nichts sagen. Nur: Joe Bidens Verhältnis zu den Gewerkschaften war herausragend und demgegenüber fällt sie ab. Sie trifft nicht den gleichen Ton wie Biden – „Union Joe“ –, der von sich sagte: „Ich bin ein Gewerkschafts-Typ.“
Die Gewerkschaften waren traditionell ein sehr wichtiger Wählerblock für die Demokraten. Aber in den vergangenen Jahren sind viele ihre Mitglieder ins Trump-Lager gewechselt. Glauben Sie, dass sich der Trend bei dieser Wahl noch verstärken wird?
Nimmt man auf die männlichen Gewerkschaftsmitglieder, ist die Unterstützung für Trump relativ deutlich ausgeprägt. Ein Faktor ist bei manchen durchaus Sexismus. Hillary Clinton erhielt einen wesentlich geringen Anteil an Gewerkschaftsstimmen als Barack Obama oder Joe Biden.
Man kann davon allerdings nicht auf das grundsätzliche Wahlverhalten der Gewerkschaften schließen. Denn inzwischen gibt es viele Gewerkschaften mit einem hohen Frauenanteil, zum Beispiel im öffentlichen Sektor. Und ganz generell gilt in den USA, dass die Wahlbeteiligung bei Frauen höher liegt als bei Männern.
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Zahlreiche Gewerkschaften haben Wahlempfehlungen für Kamala Harris ausgesprochen. Trump hat zwar Unterstützung durch einzelne lokale Gewerkschaftsgruppen erhalten, aber nicht auf nationaler Ebene.
Ja, in einigen Gewerkschaften beobachten wir einen deutlichen Unterschied zwischen den Mitgliedern und der Gewerkschaftsführung. Nehmen wir das Beispiel der Teamsters, einer der größten Gewerkschaften der USA, in der unter anderem Lastwagenfahrer organisiert sind. Sie hat eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durchgeführt. Etwa 60 Prozent haben sich darin für Trump ausgesprochen.
Die Führung hat dann entschieden, weder für Harris noch für Trump eine Wahlempfehlung abzugeben. Ein Grund dafür sind mit Sicherheit Trumps gewerkschaftsfeindliche Äußerungen. Zum Beispiel, dass er sagt, man solle streikende Beschäftigte einfach entlassen. Auch andere traditionell männlich dominierte Gewerkschaften wie die Feuerwehrleute haben keine Empfehlung abgegeben.
Ich gehe davon aus, dass die Demokraten immer noch eine klare Mehrheit der Stimmen der Gewerkschaftshaushalte bekommen werden. Aber ich glaube nicht, dass der Anteil so hoch liegen wird wie 2020.
Die US-Gewerkschaften unterstützen die Kandidaten traditionell auch durch hohe Wahlkampfspenden. Wie wichtig ist das für den politischen Erfolg der Kandidaten?
Früher war das sehr wichtig. Jetzt hat es an Bedeutung verloren. Und zwar nicht, weil die Gewerkschaften weniger spenden. Sondern, weil die Wahlkampfspenden insgesamt eine solche Höhe erreicht haben. Kamala Harris hat innerhalb von drei Monaten über 1 Milliarde US-Dollar gesammelt. Da fallen die paar Millionen der Gewerkschaften kaum mehr ins Gewicht. Wo die Gewerkschaften einen Unterschied machen können, ist dagegen bei der Mobilisierung von Wählern.

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Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ist in den USA seit vielen Jahren rückläufig. Wie groß ist ihre Bedeutung für den Ausgang der Wahlen?
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist zwar zurückgegangen. Aber bei dieser Wahl können am Ende ein paar Tausend Stimmen den Unterschied machen. Die Gewerkschaften haben eine sehr starke Tradition der Mobilisierung. Wenn es ihnen gelingt, ihre Mitglieder zum Wählen zu bringen, könnten sie den Wahlausgang beeinflussen.
Denn gerade in den Swing States spielen sie eine große Rolle. Pennsylvania und Michigan sind traditionelle Gewerkschaftshochburgen. Die UAW, die Gewerkschaft der Autoindustrie, und die Stahlarbeiter sind dort sehr wichtig. In Michigan wird einiges vom Stimmverhalten der Gewerkschafter abhängen, weil viele arabischstämmige Wähler Kamala Harris wegen der Israel-Politik der Biden-Regierung nicht mehr wählen wollen. Auch in Nevada könnten die Gewerkschaftsstimmen wichtig werden.
Die Gastronomie-Gewerkschaft war dort zuletzt sehr aktiv im Wahlkampf.
Nevada ist zu einer Gewerkschaftshochburg der neuen Generation geworden, mit jüngeren und diverseren Mitgliedern in den Hotel- und Gastronomiebetrieben. Donald Trump hat große Versprechungen gemacht, um die Menschen aus der Arbeiterklasse, vor allem auch in der Gastronomie, dazu zu bringen, für ihn zu stimmen.
Zum Beispiel hat er angekündigt, die Besteuerung von Trinkgeldern und Überstunden zu streichen. Das würde für die Menschen in der Gastronomie natürlich einen erheblichen Unterschied machen. Kamala Harris hat bei den Trinkgeldern in begrenztem Maße nachgezogen. Aber: Anders als Trump macht sie nicht einfach Versprechungen, die in der Praxis schwierig umzusetzen sind. Sie geht besonnener vor.
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