
© REUTERS/Annabelle Gordon
Veröffentlichung der Epstein-Akten: Es ist ein Sieg der Opfer, nicht der Politik
Der Kongress handelt, aber viel zu spät und unter Druck. Die Freigabe der Epstein-Akten ist vorwiegend ein Verdienst der Opfer, die dafür kämpften. Nun wird sich zeigen, ob Täter weiter geschützt werden.

Stand:
Es gibt Siege, die längst überfällig waren. Und solche, die sich nicht wie ein Sieg anfühlen – weil sie von Menschen erkämpft wurden, die diesen Kampf nie hätten austragen sollen. So muss es sich für eine Gruppe Frauen an diesem Dienstag angefühlt haben, als US-Repräsentantenhaus und Senat schließlich dem Gesetz zustimmten, für das sie so lange kämpfen mussten.
Nun sollen die Ermittlungsakten zu den Missbrauchsfällen rund um den Milliardär Jeffrey Epstein – ihres Peinigers – endlich veröffentlicht und möglicherweise weitere Täter enthüllt werden. Monatelang hatten die Republikaner das zu verhindern versucht.
Bevor der Kongress am Dienstag schließlich nachgab, standen die Frauen am Vormittag mit Tränen in den Augen vor dem altehrwürdigen Gebäude in Washington. In ihren Händen: Fotos von sich im Alter von 14, 15, 16 Jahren. Als Kinder und Jugendliche waren sie von Epstein missbraucht worden, teilweise über Jahre. Man sehe sie heute als erwachsene Frauen, sagte eine. Aber sie kämpften für die Kinder von damals, die vergessen wurden – und die bis heute keine Gerechtigkeit erfahren haben.
Im Kampf um Gerechtigkeit erzählten die betroffenen Frauen ihre Geschichten, flehten um Aufklärung – und nahmen dafür in Kauf, sich immer wieder mit dem eigenen, schmerzhaften Schicksal auseinanderzusetzen. Ausgerechnet sie übernahmen die Aufgabe, die eigentlich Gerichte und Staatsanwaltschaften in einem funktionierenden Strafsystem hätten übernehmen müssen.
Die Frauen taten dies auch stellvertretend für jene Opfer Epsteins, die aus Scham und Angst schweigen und anonym bleiben wollen. Tausende sollen es sein. Jetzt können sie einen ersten Schritt Richtung Heilung gehen.
Bislang wurden nur zwei zentrale Personen strafrechtlich angeklagt: Epstein selbst und seine Komplizin Ghislaine Maxwell. Nun könnten es mehr werden. Einige der Frauen warten seit den 1990er Jahren darauf, dass ihre Peiniger zur Rechenschaft gezogen werden.
Selbst, als Epstein wegen des Vorwurfs angeklagt wurde, über Jahre einen Missbrauchsring mit Minderjährigen betrieben und diese einflussreichen und zahlenden Männern zugeführt zu haben, bewegte sich nichts. Erst als der öffentliche Druck, herbeigeführt durch die Opfer selbst, zu groß wurde und Donald Trumps Bewegung „Make America Great Again“ überwältigendes Interesse an der Sache bekam, reagierte die US-Regierung. Langsam und mit Widerwillen. Was für eine Schande.
Opfer werden geschützt, Täter nicht mehr
Beschämend ist außerdem, wie sehr der Fall in den vergangenen Jahren politisiert wurde. Wenn Missbrauch von Minderjährigen zu einem parteipolitischen (Wahlkampf-)Thema wird, ist verloren gegangen, worum es eigentlich geht: die Opfer zu schützen. Immerhin haben sich die Abgeordneten – wenn auch viele erst in letzter Minute – nun für einen gemeinsamen Weg entschieden.
Viel zu oft wurden im Fall Epstein Datenschutz und Diskretion als Vorwand genutzt, um Akten zu schwärzen und eine Aufklärung zu verhindern. Damit ist jetzt Schluss.
Helena Wittlich, USA-Korrespondentin
Der Senat nahm den „Epstein Transparency Act“, wie das Gesetz heißt, einstimmig an. Im Repräsentantenhaus stimmte nur der rechte Republikaner Clay Higgins gegen das Gesetz. Er fürchtet, dass die Privatsphäre der Opfer, aber auch von Zeugen und Angehörigen der Täter nicht ausreichend gesichert werden.
Diese Zweifel sind verständlich, doch das Gesetz baut vor. Kein Opfer soll in der Öffentlichkeit stehen, wenn es das nicht möchte. Namen von Betroffenen und Minderjährigen können zurückgehalten werden. Niemand soll bloßgestellt oder an eine Zeit erinnert werden, die womöglich längst verarbeitet wurde.
Doch viel zu oft wurden im Fall Epstein Datenschutz und Diskretion als Vorwand genutzt, um Akten zu schwärzen, ihre Herausgabe zu blockieren, Verfahren zu verzögern und eine echte Aufklärung zu verhindern. Damit ist jetzt Schluss.
Natürlich ist Privatsphäre wichtig, aber sie darf nicht zum Schutz von Tätern oder Mitwissern missbraucht werden. Erst recht nicht in einem Fall, in dem möglicherweise mächtige Menschen über Jahre politische Rückendeckung erhielten. Genau diese Praxis hat es Beteiligten ermöglicht, unbehelligt zu bleiben, während die Opfer Transparenz forderten.
Nun gibt es eine neue Chance für die Verantwortlichen, den Frauen die Gerechtigkeit zu geben, die sie verdienen. Nach Donald Trumps Unterschrift tritt das Gesetz in Kraft und die Regierung hat 30 Tage, um die Akten zu veröffentlichen.
Für die Betroffenen ist das ein Erfolg. Doch Vertrauen stellt sich nicht mit einem einzelnen Beschluss wieder her. Es wird Zeit brauchen – und Taten, die zeigen, dass der Staat es dieses Mal ernst meint.
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