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Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin.

© dpa/Uncredited

Wagner-Chef Prigoschin: Ukraine-Konflikt begann wegen „Selbstdarstellung“ von „Bastarden

Der Chef der Wagner-Gruppe widerspricht Aussagen von Präsident Putin über die russischen Kriegsgründe. Damit wagt Prigoschin eine der schärfsten Kritiken an der Propagandamaschinerie.

Der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat erneut heftig gegen die Militärführung in Moskau gewettert - und deren offizielle Kriegsgründe infrage gestellt. Entgegen der russischen Propaganda-Behauptung sagte Prigoschin in einem am Freitag von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Video, Russland sei vor Kriegsbeginn im Februar 2022 überhaupt nicht durch die Ukraine gefährdet gewesen.

Die angeblich „wahnsinnige Aggression“ vonseiten Kyjiws und der Nato habe es so, wie die russischen Behörden regelmäßig behaupten, nie gegeben. Hingegen behauptet Prigoschin, dass Selenskyj, als er Präsident wurde, zu Verhandlungen mit Russland bereit gewesen sein soll. „Alles, was hätte getan werden müssen, war, vom Olymp abzusteigen und mit ihm zu verhandeln“, sagte Prigoschin.

Russland hat die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen und rechtfertigt seinen brutalen Krieg seitdem immer wieder mit der Propaganda-Behauptung, das Nachbarland von angeblichen „Neonazis“ zu befreien. Ein weiterer Kriegsvorwand ist die durch nichts belegte Behauptung, Kiew hätte Moskau mithilfe der Nato angreifen wollen.

Prigoschin ist Chef der Söldnertruppe Wagner, der im Ukraine-Krieg das Begehen von Kriegsverbrechen vorgeworfen wird. Seit Monaten fährt er eine öffentliche Kampagne gegen den russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und diskreditiert diesen regelmäßig in seinen Videos und Reden. Auch dieses Video ist offenbar ein Teil dessen. Die Kritik, die Prigoschin darin auch an dem russischen Präsidenten und der Propagandamaschinerie übt, wird von Kommentatoren und Beobachtern als eine der heftigsten Attacken gegen das russische Regime gewertet.

Krieg sei nur für Schoigus Beförderung begonnen worden

„Die militärische Spezial-Operation wurde aus ganz anderen Gründen begonnen“, sagte Prigoschin. Der Krieg sei aus seiner Sicht gestartet worden, „damit Schoigu den Titel eines Marschalls erhält. (...) Und nicht, um die Ukraine zu demilitarisieren und zu denazifizieren.“

Die Auszeichnung zum „Helden Russlands“ sei Prigoschins Meinung nach inflationär vergeben worden, an Generäle, die „nur mit einem bequemen Flugzeug hin- und hergeflogen“ sind. Er bezeichnete die russischen Eliten als gierig und nur an ihrem eigenen Wohlergehen interessiert. „Der Krieg wurde für die Selbstdarstellung eines Haufen Bastarde gebraucht“, formulierte Prigoschin drastisch. Russische Oligarchen hätten zudem Interesse an dem Krieg gehabt, da es ihnen nicht gereicht habe, „nur den Donbass zu plündern“, sondern sie hätten die gesamte Ukraine plündern wollen.

Das Verteidigungsministerium lege Putin falsche Ergebnisse vor

Außerdem kritisierte der Wagner-Chef erneut den Verlauf des russischen Kriegseinsatzes in der Ukraine und warf dem Verteidigungsministerium Unfähigkeit vor, die es versuche, zu vertuschen. „Das Verteidigungsministerium versucht, den Präsidenten und die Öffentlichkeit zu täuschen“, sagte Prigoschin, der sich bereits seit Monaten in einem internen Machtkampf mit Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu befindet.

Er beschuldigte das Verteidigungsministerium, dem Präsidenten Wladimir Putin nicht realitätsgetreue Berichte von der Front zu liefern. „So entstehen Meldungen über 60 zerstörte Leopard-Panzer….Niemand hat 60 Leoparden zerstört“, sagte Prigoschin.

Armee sei bereits vor dem Krieg in einem „schändlichen Zustand“ gewesen

Außerdem sei die russische Armee schon seit 2012 in einem „schändlichen Zustand“ gewesen, Soldaten würde die nötige Ausbildung und eine ordentliche militärische Führung fehlen, sagte Prigoschin. Der Söldnerchef appellierte an das russische Untersuchungskomitee, gegen Schoigu und Gerassimow zu ermitteln, die laut Prigoschin „für den Völkermord und die Ermordung Zehntausender russischer Bürger und die Übergabe des Territoriums an den Feind verantwortlich sind“.

Einmal mehr machte Prigoschin, dessen Kämpfer zuletzt an der Eroberung der ostukrainischen Stadt Bachmut beteiligt waren, der regulären russischen Armee auch schwere Vorwürfe mit Blick auf die laufende ukrainische Gegenoffensive. Die täglichen Erfolgsmeldungen über angeblich abgewehrte ukrainische Offensiven seien „kompletter, totaler Unsinn“. Das Verteidigungsministerium in Moskau äußerte sich wie üblich nicht zu Prigoschins Vorwürfen.

„Auf dem Schlachtfeld (...) zieht sich die russische Armee an den Fronten von Saporischschja und Cherson zurück“, sagte Jewgeni Prigoschin weiter. „Die Streitkräfte der Ukraine drängen die russische Armee zurück.“

„Wir waschen uns in Blut. Niemand bringt Verstärkung. Was sie uns erzählen, ist eine bittere Täuschung“, sagte Prigoschin und widersprach dabei direkt den Aussagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der von „katastrophalen“ Verlusten beim Gegner und einer Flaute bei der Gegenoffensive der ukrainischen Seite gesprochen hatte.

Der Kreml hatte im vergangenen Jahr die Regionen Cherson und Saporischschja im Süden der Ukraine für annektiert erklärt, räumt aber ein, keine volle Kontrolle über sie zu haben. (Tsp, mit Agenturen)

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