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„Wahrscheinlich haben die USA Druck ausgeübt“: Weniger strenge Vorgaben für Norwegens Ölfonds
Der milliardenschwere Ölfonds Norwegens galt als moralisches Vorbild, nun lockert die Regierung seine Standards. Zuletzt beschwerten sich die USA über die Ethikregeln. Hat das den Kurswechsel ausgelöst?
Stand:
Im Sommer wurde Jens Stoltenberg plötzlich ziemlich deutlich. „Der Ölfonds darf keine Anteile an Unternehmen halten, die an Israels Krieg gegen Gaza beteiligt sind“, sagte Norwegens Finanzminister im August.
Kurz zuvor war bekannt geworden, dass der größte Staatsfonds der Welt seit Beginn des Krieges in Gaza in mehrere israelischen Firmen investiert hat. Im nordischen Land heftig kritisiert wurden damals unter anderem Investitionen in ein Unternehmen, das Triebwerksteile für militärische Flugzeuge herstellt oder wartet, die auch zur Bombardierung des palästinensischen Küstenstreifens eingesetzt worden sind.
Das sei nicht mit den Richtlinien des 20,4 Billionen Kronen (1.730 Milliarden Euro) schweren Fonds vereinbar – der Ethikrat empfahl daraufhin, sich von zwei Dutzend Unternehmen zu trennen.
Kurswechsel mit Stimmen der Opposition
Über all das war der 66 Jahre alte Stoltenberg eigenen Angaben zufolge froh und sagte, dass der Fonds nicht in Unternehmen investieren dürfe, die sich an Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligten.
Ein paar Monate später schlägt der Finanzminister nun ganz andere Töne an.
„Der Pensionsfonds ist kein politisches Instrument“, sagte Stoltenberg am Donnerstag dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NRK und betonte, dass die ethischen Richtlinien auf Unternehmen und nicht auf Staaten abzielen.
Es ist eine drastische Abkehr der bisherigen Praxis: Norwegen war auf seine hohen Standards bei Menschenrechten und strengen Regeln mit Vorgaben zum Klimaschutz immer stolz.
Doch in dieser Woche stimmte das Parlament Storting mehreren Entwürfen zu, die Macht des Ethikrats zu beschneiden – und dessen Richtlinien vorerst außer Kraft zu setzen.
Die sozialdemokratische Minderheitsregierung um Jonas Gahr Støre stützte sich dabei ausschließlich auf Stimmen der konservativen und rechten Parteien.

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„Die Begründung der Regierung lautet, dass der Rat die aktuellen Regeln zukünftig so auslegen könnte, dass große Technologiekonzerne wie Apple oder Meta ausgeschlossen werden müssten“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Egge Langsæther von der Universität Oslo dem Tagesspiegel.
Hintergrund ist der Rückzug des staatlichen Pensionsfonds von dem Unternehmen Caterpillar, der ersten US-Firma, die der sommerlichen Aufräumaktion anheimgefallen ist.
US-Senator droht mit Visaentzug
Auf Empfehlung des Ethikrats wurde der Konzern abgestoßen, weil deren „Bulldozer von den israelischen Behörden bei der weitverbreiteten rechtswidrigen Zerstörung von palästinensischem Eigentum“ im Gazastreifen und im völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland eingesetzt werden.

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Insbesondere in den USA sorgte das für heftige Kritik, mehrere republikanische Senatoren beschwerten sich öffentlich. In einem Brief an das US-Handelsministerium forderte Dave McCormick aus Pennsylvania Anfang September gar „jegliche Zusammenarbeit mit Norwegen“ zu überdenken.
Zuvor schimpfte auch der republikanische Hardliner Lindsey Graham auf dem Kurznachrichtendienst X und drohte mit konkreten Konsequenzen wie dem Entzug von Visa und Strafzöllen: „Ihre Bullshit-Entscheidung wird nicht unbeantwortet bleiben.“ Norwegens Ministerpräsidenten soll das so nervös gemacht haben, dass er Graham eine SMS schrieb – und ihm erklärte, dass nicht die Regierung, sondern die Zentralbank des Landes solche Entscheidungen treffe.
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Konkret gibt es dabei eine klare Aufgabenverteilung zwischen Stoltenbergs Finanzministerium, dem Ethikrat und der Bank. Dessen Vorstand bestimmt über den möglichen Ausschluss von Firmen – stützt sich dabei aber auch auf Empfehlungen des Ethikrats, dessen Mitglieder wiederum von Stoltenbergs Ministerium ernannt werden.
Ausschluss von 180 Unternehmen
Auch das US-amerikanische Außenministerium zeigte sich im Sommer öffentlich „besorgt über die Entscheidung des Norwegischen Erdölfonds, die offenbar auf unberechtigten Anschuldigungen gegen Caterpillar und die israelische Regierung beruht“.
Der Politikwissenschaftler Peter Egge Langsæther hält es deshalb für „wahrscheinlich, dass die USA erheblichen Druck ausgeübt“ haben: „Was jedoch hinter verschlossenen Türen tatsächlich besprochen wurde, lässt sich kaum sagen“.
Tatsächlich hat Norwegens Ölfonds bisher etwa 180 Unternehmen aufgrund seiner ethischen Richtlinien von Investitionen ausgeschlossen. Immer wieder trennte sich Oslo zuletzt von Kohlekonzernen, um die eigenen Nachhaltigkeitskriterien zu verbessern. Mehr als drei Dutzend Firmen sind wegen Menschenrechtsverletzungen oder Waffenverkäufen an Staaten in bewaffneten Konflikten ausgeschlossen worden.
„Die Zeit ist reif, dass wir den ethischen Rahmen und seine Praxis überprüfen, um ein gutes Gleichgewicht zwischen wichtigen Erwägungen zu gewährleisten“, erklärt Jens Stoltenberg die abgeschwächten Richtlinien. Ansonsten würden ihm zufolge auch große Anteilsverkäufe an anderen US-Firmen drohen.
Ein Fonds, der nicht in die größten Unternehmen der Welt investieren kann, kann kaum ein globaler Indexfonds bleiben.
Jens Stoltenberg, Finanzminister Norwegen
Im Juni warf die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, großen US-Techkonzernen wie Amazon, Microsoft und Alphabet in einem Bericht vor, Israels Krieg in Gaza durch Cloud-Dienstleistungen zu unterstützen.
Allein bei Amazon hält der Ölfonds Aktien im Wert von mehr als 270 Milliarden Kronen (23 Milliarden Euro), bei Microsoft sogar 504 Milliarden Kronen (43 Milliarden Euro). „Ein Fonds, der nicht in die größten Unternehmen der Welt investieren kann, kann kaum ein globaler Indexfonds bleiben“, sagt Stoltenberg.
Doch sinkende Renditen scheint Oslo sich für den Preis hoher Moralvorgaben nicht leisten zu wollen.
Linke und Grüne fordern Verschärfung
Da ein erheblicher Teil des norwegischen Staatshaushalts aus dem Fonds finanziert wird, sieht die Regierung in den strengen Ethikregeln „eine potenzielle Bedrohung für den norwegischen Wohlfahrtsstaat“, sagt Politologe Peter Egge Langsæther.
Die Sozialdemokraten haben zuletzt einige Entscheidungen getroffen, die ihre wichtigsten Partner verärgert haben.
Kristoffer Kolltveit, Universität Oslo
Eine Verschärfung der ethischen Richtlinien fordern dagegen linke und grüne Parteien im Parlament. „Dass Norwegen mit der Bombardierung palästinensischer Kinder Geld verdiente, zeigt, dass grundlegende Änderungen in der Verwaltung des Fonds notwendig sind“, sagt Grünen-Chef Arild Hermstad dem öffentlich-rechtlichen Sender NRK.
Auf dessen und die Stimmen der Linken ist Oslos sozialdemokratische Minderheitsregierung im Parlament aber maßgeblich angewiesen, in weniger als zwei Wochen soll gemeinsam über den kommenden Haushalt verhandelt werden.
„Die Sozialdemokraten haben zuletzt einige Entscheidungen getroffen, die ihre wichtigsten Partner verärgert habe“, sagt der Politikwissenschaftler Kristoffer Kolltveit von der Universität Oslo. „Um diese wieder zu besänftigen, wird sie das Budget wohl versüßen und Geld für deren Herzensprojekte bereitstellen müssen.“
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