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Ein Helikopter zeigt die Flagge der Republik China (Taiwan) am Nationalfeiertag am 10. Oktober 2022.

© Ceng Shou Yi/imago images/NurPhoto

Krieg zwischen China und den USA?: Übertriebene Warnungen vor einem Angriff auf Taiwan helfen niemandem

Die Bedrohung durch China ist real. Aber westliche Experten und Militärs, die mit großer Gewissheit einen Überfall samt Jahreszahl vorhersagen, schaden sich selbst – und Taiwan.

Ein Gastbeitrag von Brian Hioe

In Äsops Fabel „Der Hirtenjunge und der Wolf“ ruft ein junger Schäfer immer wieder „Wolf!“. Bestürzt eilen ihm die Dorfbewohner zu Hilfe, nur um festzustellen, dass der Junge sich einen Spaß gemacht hat. So geht das ein paar Mal. Als eines Tages wirklich ein Wolf kommt, glaubt ihm niemand mehr.

Analog dazu nehmen die Vorhersagen westlicher Experten über einen direkt bevorstehenden Konflikt um Taiwan derzeit immer übertriebenere Züge an. Die jüngste und vielleicht spektakulärste Warnung stammt von US-Luftwaffengeneral Mike Minihan. In einem Memorandum, das kürzlich an die Medien durchgestochen wurde, schrieb er, es werde seiner Ansicht nach im Jahr 2025 zu einem direkten Konflikt zwischen den USA und China um Taiwan kommen.

Eine Flut von Kriegswarnungen: 2023, 2025, 2027?

Die Flut von Warnungen, dass China einen festen Zeitplan für die Invasion des demokratischen Inselstaats verfolge, begann mit einem Statement von Philip Davidson. Der ehemalige Leiter des US-Kommandos für den Indopazifik erklärte 2021, dass China wahrscheinlich bis 2027 militärisch gegen Taiwan vorgehen werde.

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Minihans Äußerungen sind im Vergleich ungewöhnlich konkret, da er nicht nur ein Zeitfenster für mögliche chinesische Aktionen angibt, sondern ein bestimmtes Jahr. Aber mit der gleichen seltsamen Gewissheit haben auch andere Experten Vorhersagen getroffen. Die Analystin Oriana Skylar Mastro behauptete Ende letzten Jahres, es bestehe eine „100%ige“ Chance, dass China in den nächsten fünf Jahren gegen Taiwan losschlagen werde.

Taiwanesische Soldaten bei einer Übung im Januar in der Hafenstadt Kaohsiung.
Taiwanesische Soldaten bei einer Übung im Januar in der Hafenstadt Kaohsiung.

© Reuters/Ann Wang

Admiral Michael Gilday, Leiter der US-Marineoperationen, erklärte im Oktober 2022, die USA müssten sich auf eine mögliche Invasion schon im Jahr 2022 oder 2023 einstellen. Die Tatsache, dass ein Angriff vor Ende 2022 bedeutet hätte, dass zum Zeitpunkt, da Gilday die Aussage traf, bereits chinesische Truppen an der Ostküste hätten versammelt sein müssen, störte ihn nicht. Peking bräuchte mehrere Monate, um genügend Soldaten in Stellung zu bringen. Auf Satellitenbildern wären solche Bewegungen sichtbar gewesen.

„Bauchgefühl“ reicht nicht – und kann zur Eskalation beitragen

Eine Invasion kann nicht ohne weiteres erfolgen, ohne dass bekannt würde, dass China Vorbereitungen trifft. Bei näherer Betrachtung beruhten auch Minihans Behauptungen auf einem „Bauchgefühl“, wie er es selbst formulierte, nicht auf bestimmten Daten, die er öffentlich anführen konnte. Es verwundert daher nicht, dass die US-Regierung sich schnell von seinen Behauptungen distanzierte. Das Pentagon war im November 2022 zu der Einschätzung gelangt, dass keine unmittelbare Bedrohung Taiwans bestehe – eine Analyse, die US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Januar wiederholte.

Auch eine vom Center for Strategic and International Studies durchgeführte Kriegssimulation, über deren Ergebnisse unlängst in großen Medien berichtet wurde, kam zu dem Schluss, dass eine mögliche chinesische Invasion Taiwans im hypothetischen Jahr 2026 bei einem Eingreifen der USA letztlich scheitern würde.

Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass China das Risiko eines Überfalls auf Taiwan auf sich nimmt. Aber die Kosten wären schwerwiegend, die Zahl der direkten Opfer werden auf mehrere zehn- oder sogar hunderttausend geschätzt, die wirtschaftlichen Folgen wären katastrophal.

Je übertriebener die Warnungen werden, desto weniger wird die Bedrohung ernst genommen, mit der Taiwan lebt. Dabei ist die Gefahr real.

Brian Hioe

Es ist schwer vorstellbar, dass eine Invasion Taiwans für China in einer Zeit, da die Todesopfer und die ökonomischen Folgen von Covid-19 in die Höhe schießen, ein rationaler Schritt wäre. Der politischen Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas könnte eine solche waghalsige Aktion sogar einen schweren Schlag versetzen.

China räumt Hindernisse beiseite, die einer Invasion im Weg stehen

Was wollen Leute wie Minihan mit ihren Warnungen dann erreichen? Womöglich ist es ihr Ziel, Forderungen nach Militärreform Nachdruck zu verleihen. Das hat bereits einige Wirkung gehabt: Im Dezember verlängerte Taiwan die Wehrpflicht auf ein Jahr. Die Ironie: Je übertriebener die Warnungen werden, desto weniger wird die Bedrohung ernst genommen, mit der Taiwan lebt.

Die Gefahr ist real. China baut bereits die Hindernisse ab, die einer Invasion im Weg stehen. Ein Beispiel: Da die Volksbefreiungsarmee nicht über die für einen Überfall erforderlichen Transportkapazitäten verfügt – also die nötige Anzahl der Schiffe, um eine langfristige Besetzung Taiwans zu unternehmen –, treibt sie die Förderung der militärischen und zivilen Integration zur See voran.

US-Außenminister Antony Blinken soll am Sonntag zu einem zweitägigen Besuch in Peking eintreffen und Deeskalation zwischen seinem Land und China erreichen.
US-Außenminister Antony Blinken soll am Sonntag zu einem zweitägigen Besuch in Peking eintreffen und Deeskalation zwischen seinem Land und China erreichen.

© AFP/Stefani Reynolds

Die amerikanische Öffentlichkeit nimmt Warnungen wie die von Minihan wahrscheinlich ohnehin bloß als weiteren Versuch von Militärs wahr, die Kriegsmaschinerie hochzufahren und aggressive Aktionen zu rechtfertigen. Das ist eine Folge jahrzehntelanger kostspieliger US-Interventionen im Ausland.

Genau diese Wahrnehmung könnte sich als gefährlich erweisen, wenn wirklich eine Invasion bevorsteht. 

Was US-Außenminister Blinken in Peking beachten sollte

An diesem Sonntag soll US-Außenminister Antony Blinken China besuchen. Wann immer ranghohe Vertreter der USA und Chinas zusammentreffen, wird das in Taiwan mit Vorsicht betrachtet. Da der Inselstaat gewissermaßen zwischen den beiden Großmächten steht, ist er argwöhnisch, ob US-Vertreter unkalkulierbar die demokratischen Freiheiten Taiwans im Gegenzug für andere Zugeständnisse vonseiten Chinas eintauschen könnten.

Es bleibt zu hoffen, dass Blinken eine entschlossene, aber nicht zu aggressive Haltung zu Taiwan einnehmen wird – indem er es ablehnt, die Freiheiten des Inselstaats zur Disposition zu stellen, ohne dabei China zu provozieren, das möglicherweise mit Drohungen gegen Taiwan reagieren und das Land stellvertretend für die USA ins Visier nehmen könnte.

Kommentare wie die in Minihans Memo sind dabei nicht hilfreich. Sie tragen unter Chinas Entscheidungsträgern zu dem Eindruck bei, dass sich US-Militärs aktiv auf einen Krieg um Taiwan mit China vorbereiten – oder ihn sogar für unvermeidlich halten.

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