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Weil Banden immer häufiger auf junge Täter setzen: Schweden plant Gefängnisse für 13-Jährige
Schwedens Regierung will im Kampf gegen die Banden härter durchgreifen: Bald könnten schon 13-Jährige im Gefängnis landen. Ist das konsequent – oder politisches Kalkül, ein Jahr vor der Wahl?
Stand:
Ulf Kristersson sieht keinen anderen Ausweg mehr. Angesichts der ernsten Lage, in der sich das Land befinde, „müssen wir neue Maßnahmen ergreifen“, schreibt Schwedens Regierungschef Mitte September in einem Gastbeitrag der Tageszeitung „Expressen“. Eines sei sicher: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird alles so weitergehen wie bisher. Es gibt keine Alternative, denn wir stehen an der Seite aller verantwortungsbewussten Schweden.“
Schwedens konservativer Ministerpräsident will ein knappes Jahr vor der Parlamentswahl im September 2026 das größte skandinavische Land wieder „in Ordnung bringen“. Mit diesem Wahlslogan und dem Versprechen einer harten „Law and Order“-Politik sicherte sich der heute 61 Jahre alte Regierungschef im Herbst 2022 das Amt des Ministerpräsidenten.
Banden setzen auf jugendliche Täter
Um diesen Worten drei Jahre nach Übernahme der Amtsgeschäfte Taten folgen zu lassen, plant Stockholm jetzt nicht nur im großen Stil Jugendgefängnisse zu bauen – sondern womöglich auch straffällige Kinder im Alter von 13 oder 14 Jahren bei schweren Vergehen einsperren zu lassen.
Denn ein besonderes Augenmerk legt der Konservative immer wieder auf die weitverbreitete Bandenkriminalität im Land.
Seit 2005 nimmt die Schusswaffengewalt deutlich zu, die Zahl der Mordopfer durch Schusswaffen ist mehr als doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt – nur in Albanien und Montenegro wird nach Angaben der Vereinten Nationen häufiger mit Todesfolge geschossen.
Zuletzt sind die Schießereien schwedischen Polizeiangaben von 390 im Jahr 2022 auf 289 im vergangenen Jahr gesunken – in diesem Jahr ist zugleich aber die Zahl der Schießereien mit Todesfolge stark gestiegen.
Nach Plänen des Justizministeriums soll nach mehr als 180 Jahren nun auch das Alter für die Strafmündigkeit von 15 auf 13 Jahren herabgesetzt werden – folgt man der Linie der liberalkonservativen Minderheitsregierung, soll damit der zunehmenden Jugendkriminalität entgegengewirkt werden.
Jugendgewalt hat sich seit 2015 verdoppelt
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der mutmaßlichen Straftäter:innen unter 15 Jahren einer Studie des Nationalen Rats zur Kriminalitätsprävention Brå zufolge mehr als verdoppelt.
Immer häufiger setzen die im Land mächtigen Bandenchefs auf Jugendliche als Auftragsmörder oder Gefolgsleute, die schwere Straftaten verüben – auch, weil Jugendstrafen oder fehlende Strafmündigkeit bisher lange Gefängnisaufenthalte verhindert hat.
„Es besteht kein Zweifel daran, dass die Ausbeutung von Kindern durch kriminelle Netzwerke und ihre Verwicklung in schwere Straftaten ein ernstes gesellschaftliches Problem in Schweden darstellt“, sagt Peter Andersson von der Universität Stockholm dem Tagesspiegel. Dagegen brauche es entschlossene und koordinierte Maßnahmen.
Die Regierung um Kristersson will dem mit repressiven Freiheitsstrafen entgegenwirken.
Gut möglich, dass der 61-Jährige dabei auch die bevorstehende Wahl im Blick hat: Zwei der drei Parteien seiner Minderheitsregierung drohen Umfragen zufolge an der Vier-Prozent-Hürde zu scheitern; auch die Zustimmung von Kristerssons konservativen Moderaterna sinkt.
Einen Gesetzesentwurf zur Absenkung des Strafalters hatte das Stockholmer Justizministerium bereits Ende September vorgelegt, an diesem Montag kündigte es außerdem an, dass sich die Justizvollzugsanstalten auch auf Straftäter:innen zwischen 13 und 14 Jahren als künftige Insassen einstellen sollen.
Experten kritisieren Gesetzesentwurf
Dabei ist das entsprechende Gesetz über die Änderung der Strafmündigkeit bisher nicht einmal vom Stockholmer Parlament verabschiedet worden.

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Konkret soll das bei mutmaßlichen Kapitalverbrechen wie Mord oder schweren Bombenanschlägen umgesetzt werden. Damit solle nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden von Verbrechensopfern gestärkt werden, sondern auch die „Gesellschaft geschützt und Kindern geholfen werden, aus der Kriminalität auszusteigen“.
Zahlreiche Kinderrechtsexperten und Kriminologinnen überzeugt das nicht. Selbst die von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission sprach sich Anfang des Jahres gegen eine Absenkung des Strafalters auf 13 Jahre alte Kinder aus.
„Der Vorschlag, das Strafmündigkeitsalter zu senken, ist nicht angemessen“, sagt auch Peter Andersson, der in Stockholm unter anderem zu Jugendgewalt forscht. „Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Kinder, die Straftaten begehen, in der Regel aus einem Umfeld stammen, das durch frühzeitige Vernachlässigung, Traumata, soziale Probleme innerhalb der Familie und psychische Probleme gekennzeichnet ist.“
Andersson zufolge benötige es vielmehr einen Ansatz, der „Kinder als junge Menschen behandelt, die Unterstützung und Schutz benötigen – und nicht als Rechtssubjekte innerhalb eines Strafsystems“.

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Auch der Kriminologe David Sausdal bleibt kritisch: „In bestimmten Fällen kann es natürlich notwendig sein, Zwangsmaßnahmen und repressivere Maßnahmen zu ergreifen, aber generell ist es ein Fehler, dass man sich in Schweden darauf versteift hat, dass es am wirksamsten ist, hart gegen Kinderkriminalität vorzugehen.“
Das Problem ist, dass in Schweden schlechtere soziale und kulturelle Bedingungen geschaffen wurden, was die Situation von Kindern und Jugendlichen verschlimmert – und das fördert die Bandenkriminalität.
David Sausdal, Kriminologe
Ihm zufolge braucht es neben mehr Präventionsarbeit vor allem eine Lösung der strukturellen Probleme, die Schweden seit Jahren prägen.
„Beispielsweise ist die Kinderarmut in diesem Land deutlich höher als in den Nachbarländern und entspricht dem Niveau mehrerer osteuropäischer Länder“, sagt Sausdal, der unter anderem zur Entstehung von Bandenkonflikten forscht. „Das Problem ist also, dass in Schweden schlechtere soziale und kulturelle Bedingungen geschaffen wurden, was die Situation von Kindern und Jugendlichen verschlimmert – und dies wiederum fördert die Bandenkriminalität.“
Studie aus Dänemark warnt vor hoher Rückfallquote
Mit der angekündigten Gesetzesänderung scheint sich Regierungschef Kristersson am kleinen Nachbarn Dänemark zu orientieren.
Dort hat die damalige liberalkonservative Regierung um Lars Løkke Rasmussen 2010 die Strafmündigkeit von 15 auf 14 Jahren gesenkt – mit fatalen Folgen.

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In einer Studie des Nationalen Forschungs- und Analysecenter für Wohlfahrt und der Universität Aarhus haben Wissenschaftler bereits 2017 die These widerlegt, dass ein liberalerer Umgang mit Tätern schuld an steigender Jugendkriminalität sei. Demzufolge ist unter 14 Jahre alten Straftäter:innen die Rückfallquote um zehn Prozent gestiegen, zugleich werden 14-Jährige nicht von Straftaten abgehalten.
Es ist denkbar, dass organisierte kriminelle Gruppen strategisch noch jüngere Kinder ins Visier nehmen.
Peter Andersson, Universität Stockholm
David Sausdal zufolge führt ein niedriges Strafmündigkeitsalter nicht zu weniger Verbrechen. „Fast alle Erfahrungen und Forschungsergebnisse – unter anderem aus Dänemark, wo man zuvor eine ähnliche Senkung versucht hat – zeigen, dass dies nicht funktioniert und darüber hinaus oft kontraproduktiv ist“, sagt der Kriminologe. „Es macht die Jugendlichen krimineller und trägt dazu bei, dass sie in der Schule schlechter abschneiden.“
Viele Forscher:innen sehen zudem die Gefahr, dass die Bandenchefs zukünftig noch jüngere Kinder für ihre Auftragsmorde engagieren könnten. Ein niedriges Strafalter könnte also just die Verhaltensmuster verstärken, die Ulf Kristersson in Schweden eigentlich bekämpfen will.
Auch Schwedens Justizvollzugsdienst kritisiert die Pläne der schwedischen Regierung. Im Mai teilte die Behörde dem Justizministerium bereits schriftlich mit, dass sie „weder darauf vorbereitet noch dafür ausgerüstet“ sei, sich um 14 Jahre alte Insassen zu kümmern.
Experten wie Peter Andersson plädieren zur Prävention von Jugendgewalt vielmehr für koordinierte Maßnahmen von Sozialdiensten, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen.
Ulf Kristersson scheint sich davon wenig beeindrucken zu lassen. Das macht auch sein Gastbeitrag aus dem September deutlich. „Es ist klar, dass das derzeitige System für jugendliche Straftäter nicht ausreicht. Deshalb geht die Regierung energisch gegen jugendliche Straftäter vor.“
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