
© REUTERS/SAYED HASSIB
Wenn Rettung Berührung durch Männer erfordert: Frauen bleiben nach dem Erdbeben in Afghanistan unsichtbar unter Trümmern
Nach dem schweren Erdbeben warten viele Frauen und Mädchen unter den Trümmern, während Rettungskräfte Männer zuerst versorgen. Vorschriften der Taliban verhindern, dass Männer Frauen berühren.
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Die ersten Helfer erreichten Bibi Ayshas Dorf mehr als 36 Stunden nach dem schweren Erdbeben, das am Sonntag weite Teile der östlichen Bergregion Afghanistans verwüstete. Unter den Rettern war keine einzige Frau. Bibi Aysha schilderte der „New York Times“, dass „sie uns in einer Ecke sammelten und vergaßen“ und dass niemand den Frauen geholfen oder gefragt habe, was sie brauchten.
Regeln der Taliban besagen, dass Männer Frauen, die nicht zu ihrer Familie gehören, nicht berühren dürfen. In Andarluckak seien laut der „New York Times“ verwundete Männer und Kinder behandelt worden, während verletzte Frauen und Mädchen abgedrängt wurden, selbst wenn sie bluteten.
Frauen in Afghanistan sind unsichtbar und hinten angestellt
Tahzeebullah Muhazeb, ein freiwilliger Helfer in Mazar Dara, sagte dem Bericht zufolge, „es fühlte sich an, als wären Frauen unsichtbar“. Männer und Kinder seien zuerst versorgt worden, während Frauen abseits warteten. Wenn keine männlichen Verwandten vor Ort waren, seien tote Frauen an ihrer Kleidung aus den Trümmern gezogen worden, um Hautkontakt zu vermeiden.
Nach Angaben der afghanischen Regierung starben mehr als 2200 Menschen, rund 3600 wurden verletzt. Ganze Dörfer haben die Beben dem Erdboden gleichgemacht.
Susan Ferguson, Sonderbeauftragte von UN Women Afghanistan, sagte der „New York Times“ zufolge, dass „Frauen und Mädchen erneut die Hauptlast dieser Katastrophe tragen, weshalb ihre Bedürfnisse im Zentrum von Hilfe und Wiederaufbau stehen müssten.“
Fehlende weibliche Helferinnen
In den betroffenen Gebieten gab es zunächst keine weiblichen Rettungskräfte oder Krankenhausmitarbeiterinnen, berichtete die „New York Times“. Erst Tage später trafen wenige Helferinnen ein – begleitet von Soldaten, die Journalisten daran hinderten, Fragen zu stellen oder Fotos zu machen.
Die Taliban bestätigten dem Bericht zufolge den Mangel. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums, Sharafat Zaman, sagte, dass „es einen Mangel an weiblichen Gesundheitskräften in den vom Beben zerstörten Gebieten gab.“ In einigen Provinzen wie Kunar, Nangarhar oder Laghman gebe es hingegen ausreichend weibliches Personal.
Folgen der Restriktionen durch die Taliban
Frauen dürfen laut Regeln der Taliban seit vergangenem Jahr kein Medizinstudium mehr aufnehmen, Mädchen dürfen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen. Frauen können kaum noch arbeiten, weder in humanitären Organisationen noch bei den Vereinten Nationen, wo Mitarbeiterinnen bedroht wurden und zeitweise von zu Hause arbeiten mussten, wie die „New York Times“ berichtet.
Bibi Aysha fasste ihre Erfahrungen bitter zusammen und sagte der „New York Times“: „Gott hat mich und meinen Sohn gerettet. Aber nach dieser Nacht habe ich verstanden – eine Frau zu sein bedeutet hier, dass wir immer die Letzten sind, die gesehen werden“. (mit AFP/Reuters)
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