
© Alain Jocard/AFP Pool/AP/dpa
Premier will Rentenreform aussetzen: Frankreichs Sozialisten verzichten nach Lecornus Zugeständnis auf Regierungssturz
Frankreichs neuer Premier geht auf die Kernforderung der Sozialisten ein und will die Rentenreform aussetzen. Die wollen die Regierung deshalb weiterarbeiten lassen – vorerst.
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Frankreichs Sozialisten verzichten zunächst darauf, sich an einem Sturz der neuen Regierung zu beteiligen. Die von Premierminister Sébastien Lecornu in Aussicht gestellte Aussetzung der Rentenreform sei ein „Sieg“ und ein „Schritt in die richtige Richtung“, sagte der sozialistische Fraktionschef Boris Vallaud am Dienstag in Paris. Seine Partei werde sich auf die Debatte in der Nationalversammlung einlassen, betonte er und schloss damit zunächst aus, einen der bereits eingereichten Misstrauensanträge zu unterstützen.
Lecornu hatte zuvor angekündigt, die umstrittene Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron auszusetzen und war damit in der politischen Krise einen Schritt auf die Opposition zugegangen. Wie Lecornu in seiner Regierungserklärung ankündigte, werde die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre bis Januar 2028 ausgesetzt. „Diese Aussetzung soll das notwendige Vertrauen schaffen, um neue Lösungen zu entwickeln“, sagte Lecornu vor den Abgeordneten der Nationalversammlung in Paris.
Damit entsprach Lecornu einer zentralen Forderung der Sozialisten, von denen das politische Überleben der Regierung abhängt.
Frankreichs Linkspartei, die nicht mit den Sozialisten zu verwechseln ist, und die nationale Rechte hatten bereits vor der Regierungserklärung zwei Misstrauensanträge gestellt und angekündigt, die Regierung auf jeden Fall stürzen zu wollen. Das rechte Rassemblement National (RN) hatte zudem gesagt, auch für den Antrag der Linkspartei zu stimmen. Am Donnerstag soll in der Nationalversammlung über die Anträge abgestimmt werden.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plant im Fall eines erneuten Regierungssturzes Neuwahlen – was er bislang ausgeschlossen hatte. Die bereits eingereichten Misstrauensanträge der Opposition hätten die Auflösung der Nationalversammlung zum Ziel, und „so sollten sie auch verstanden werden“, sagte Macron nach den Worten der Regierungssprecherin Maud Bregeon bei der ersten Kabinettssitzung der neuen Regierung am Dienstag. Macron rief deshalb vor Lecornus Regierungserklärung dazu auf, die Stabilität zu wahren und Kompromisse zu suchen.
Die im Frühjahr 2023 ohne Abstimmung durchs Parlament durchgebrachte Rentenreform hatte in Frankreich zu monatelangen Massenprotesten geführt. Begründet wurde das Schlüsselvorhaben von Macrons zweiter Amtszeit mit einem Loch in der Rentenkasse.
Lecornu rief nun zu einer erneuten Debatte über ein Reformieren des Rentensystems auf. Das System müsse dabei aber langfristig im Gleichgewicht bleiben und dürfe das ohnehin schon hohe staatliche Defizit Frankreichs nicht erhöhen. „Die Kosten des Rentensystems belaufen sich auf 400 Millionen Euro im Jahr 2026 und 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2027. Diese Aussetzung wird letztlich 3,5 Millionen Franzosen zugutekommen. Sie muss daher finanziell ausgeglichen werden, auch durch Einsparmaßnahmen.“
Regierung bringt Sparreform auf den Weg
Zuvor hatte der neue Premier einen Haushaltsentwurf vorgelegt, mit dem eine Sanierung der Finanzen des hoch verschuldeten Landes eingeleitet werden soll. Die neue Regierung brachte den Budgetentwurf in der ersten Kabinettssitzung auf den Weg. Ziel sei es, das Haushaltsdefizit damit von erwarteten 5,4 Prozent im laufenden Jahr auf unter 5 Prozent im kommenden Jahr zu senken, sagte Regierungssprecherin Maud Bregeon.
Der noch nicht öffentlich gemachte Haushaltsentwurf sehe Einsparungen von rund 30 Milliarden Euro vor, berichteten französische Medien. Lecornus Amtsvorgänger François Bayrou war über einen Haushaltsentwurf mit geplanten Einsparungen von knapp 44 Milliarden Euro gestürzt.
Die Zeit drängt: Werden Fristen nicht eingehalten, könnte Frankreich am Jahresende ohne verabschiedeten Haushalt dastehen und dadurch unter zusätzlichen wirtschaftlichen Druck geraten.
Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat Frankreich mit 114 Prozent die dritthöchste Schuldenquote in der EU nach Griechenland und Italien. Das Haushaltsdefizit lag zuletzt bei 5,8 Prozent. Die Europäische Union hat bereits im Juli 2024 ein Defizitverfahren gegen Frankreich eröffnet.
Paris steht bei Sparbemühungen unter Druck
Die neue Regierung in Paris steht bei ihren Sparbemühungen nicht nur vonseiten der EU unter Druck. Der bisherige Unwille des zerstrittenen Parlaments, sich auf Einschnitte und Reformen zu verständigen, sorgt in Kombination mit der politischen Krise für eine Verunsicherung der Wirtschaft. Das Land muss Investoren für neue Staatsanleihen immer höhere Zinsen bieten. Zudem bremst die fehlende Aussicht auf politische Reformen die Nachfrage nach französischen Anleihen.
Seit der vorgezogenen Parlamentswahl im Sommer 2024 ist die Nationalversammlung in mehrere politische Blöcke geteilt, die jeweils allein keine regierungsfähige Mehrheit besitzen, aber auch keine tragfähigen Bündnisse bilden und einander blockieren. Koalitionen wie etwa in Deutschland sind in Frankreich unüblich. Lecornus neues Kabinett ist bereits die vierte Regierung seit der Wahl.
„Unsere Aufgabe ist es, diese politische Krise, in der wir uns befinden, zu überwinden“, sagte Lecornu am Montagnachmittag vor der ersten Arbeitssitzung des Kabinetts. „Ich wünsche mir, dass die Regierung die Vielfalt unseres Volkes widerspiegelt. Ich wollte eine Regierung aus freien Persönlichkeiten“, sagte der neue Premier. „Wir müssen unser Ego beiseitelassen“. (dpa, AFP)
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