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Silvio Berlusconi, ehemaliger Premierminister von Italien. Berlusconi ist tot.

© dpa/Roberto Monaldo

Zum Tod von Silvio Berlusconi: Die italienische Obsession

Der mehrfache ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat Italien verändert wie kaum ein anderer Politiker der Nachkriegszeit. Am Montag ist der „Cavaliere“ im Alter von 86 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Silvio Berlusconi hatte in den vergangenen Wochen immer wieder mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Nun ist der „Cavaliere“, der schillerndste und umstrittenste Politiker Italiens der vergangenen drei Jahrzehnte, in einem Mailänder Krankenhaus mit 86 Jahren gestorben.

Zwar war es zuletzt etwas ruhiger geworden um Berlusconi: In der Regierung von Giorgia Meloni, die er als Premier einst zu seiner jüngsten Ministerin gemacht hatte, war er nur eine Randfigur. Aber es gab eine Zeit, in der sich in Italien alles um ihn drehte, die Politik, die Wirtschaft, der Fußball, die Medien, der Klatsch.

Der ehemalige Staubsaugerverkäufer und Entertainer, der es zum Multimilliardär und Regierungschef gebracht hatte, hatte das Land polarisiert wie kein anderer vor ihm in der Nachkriegszeit.

Sachlich über Berlusconi zu reden oder zu schreiben, das war im Belpaese beinahe unmöglich geworden. Seine Gegner verachteten und hassten ihn, seine Anhänger bewunderten und liebten ihn. Der Cavaliere war für die Italienerinnen und Italiener zur Obsession geworden.

Italiens aktuelle Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist 2008 unter Berlusconi Ministerin geworden, dieser trat zuletzt in ihren Schatten.

© Geisler-Fotopress / Geisler-Fotopress/Anna Maria Tinghino

Auch Berlusconi war besessen – von sich selber. Der Sohn eines Bankangestellten musste überall der Beste sein. Als Unternehmer wurde er vorübergehend der reichste Mann Italiens, als Präsident und Besitzer des AC Mailand hat er fünf Champions-League-Pokale gewonnen. Er wollte immer und von allen geliebt werden, besonders von den Frauen, gegebenenfalls auch gegen Bezahlung.

Silvio Berlusconi im Jahr 2007 mit dem Champions-League-Pokal und der AC-Mailand-Spielerlegende Filippo Inzaghi.

© picture alliance / SvenSimon/FrankHoermann/SVEN SIMON

Auch in der Politik stellte er Rekorde auf: Als erster und bisher einziger Regierungschef seit Mussolini brachte er im Italien der ständig wechselnden Regierungen das Kunststück fertig, eine ganze Legislatur (2001 bis 2006) durchzuregieren. Insgesamt war Berlusconi während 3336 Tagen Premier – auch das eine Bestmarke. Seiner eigenen Selbsteinschätzung nach war er der „beste Ministerpräsident der letzten 150 Jahre“.

Der Unternehmer Silvio Berlusconi mit seiner Ehefrau Veronica Lario auf einem undatierten Foto.

© Imago/Granata Images

Berlusconi, der zuerst als Baulöwe und dann als Privat-TV-Pionier zu Reichtum gekommen war, wurde im Frühling 1994 zum ersten Mal an die Spitze der italienischen Regierung gewählt. Mit der von ihm gegründeten und bis zuletzt absolutistisch geführten Partei Forza Italia füllte er das politische Vakuum, das nach dem „Tangentopoli“-Korruptionsskandal mit dem Sturz der Craxi-Sozialisten und der Democrazia Cristiana (DC) entstanden war.

Schon damals befand sich Berlusconi im Visier der Staatsanwälte. „Wäre Silvio nicht in die Politik gegangen, dann hätten wir entweder im Knast oder unter einer Brücke geendet“, gestand der langjährige Berlusconi-Vertraute Fedele Confalonieri einmal offenherzig.

Wiedergewählt trotz Anklagen und Mafia-Kontakten

Insgesamt war Silvio Berlusconi in gut zwei Dutzend Prozessen angeklagt; ein Skandal jagte den anderen. Zum Beispiel war ein Mafia-Killer in seiner Villa in Arcore als Stallmeister angestellt. Und doch haben ihn die Italiener immer wieder gewählt, insgesamt drei Mal: 1994, 2001 und 2008.

Silvio Berlusconi im Jahr 2019. Damals entschied er, dass er Präsident Italiens werden wollte.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Manuel Romano

Berlusconis Erfolgsrezept fasste der Publizist Beppe Severgnini einmal so zusammen: „Er ist eine Art Synthese aller Gewohnheiten, Laster und Tugenden der Italiener. Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, das soziale Geflecht der Italiener zu begreifen. Er vergibt uns unsere Sünden und hält keine Moralpredigten: Er macht uns zu seinen Komplizen.“

Ich fürchte nicht Berlusconi als solchen, ich fürchte den Berlusconi in mir.

Giorgio Gaber, italienischer Musiker und Schauspieler

Der linke Musiker, Cantautore und Schauspieler Giorgio Gaber hat es einmal so ausgedrückt: „Ich fürchte nicht Berlusconi als solchen, ich fürchte den Berlusconi in mir.“

Berlusconi hat Italiens Politik auf den Kopf gestellt

Wie ein politischer Staubsauger hat sich der im Grunde ziemlich unpolitische Berlusconi nach 1994 alles einverleibt, was zwischen der Mitte und der extremen Rechten des Spektrums eine neue politische Heimat suchte.

Berlusconi hatte ein enges Verhältnis zu Wladimir Putin (hier auf einem Foto von 2003). Mit Aussagen zum Ukraine-Krieg sorgte Berlusconi zuletzt für Kritik.

© AFP/Alexey Panov/Pool

Er recycelte in seiner Partei Forza Italia abgewirtschaftete Sozialisten und Christdemokraten, er machte die von Gianfranco Fini angeführten Postfaschisten salonfähig und holte die Manager seiner Werbefirma Publitalia und die Showsternchen seiner Privatsender in die Regierung.

Den Wählern versprach er, das Land wie eine Aktiengesellschaft zu führen, deren Aktionäre die Bürger sind. Ein griffiger Slogan – aber in Wahrheit hatte Berlusconi immer nur an die eigene Dividende gedacht. Er regierte Italien, als handelte es sich um einen Familienbetrieb und Selbstbedienungsladen.

3336
Tage war Berlusconi insgesamt Premierminister – das ist in Italien bis heute ein Rekord.

Am Ende war Italien praktisch pleite – und der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano sah sich im November 2011 gezwungen, den durch seine Sexskandale und Prozesse politisch gelähmten Premier abzusetzen.

Später folgten die definitive Verurteilung wegen Steuerbetrugs, ein langjähriges Ämterverbot, die Verbannung aus dem Senat, der Entzug des Reisepasses und der Sozialdienst in einem Heim für Demenzkranke.

Er hat zahlreiche politische Tendenzen unserer Tage vorweggenommen.

US-Autor Alexander Stille in seinem Buch „Citizen Berlusconi“

Es hat lange gedauert, bis sich der Cavaliere politisch und moralisch von seinem Sturz und seinen Affären erholt hat. In den letzten Jahren hat Berlusconi aber, altersmilde geworden und mit der Ambition, Staatspräsident zu werden, eine neue Rolle für sich gefunden: Er gab sich, für seine Verhältnisse, staatsmännisch und respektvoll gegenüber den Institutionen.

Silvio Berlusconi im Jahr 1994 bei einer Pressekonferenz.

© dpa/epa/Ansa/Uncredited

Sein Traum von der Staatspräsidentschaft ist Anfang 2022 definitiv geplatzt. Im Ausland ist Berlusconi spätestens nach dem Auffliegen der „Ruby-Affäre“ ohnehin nur noch als eine Art italienische Freakshow wahrgenommen worden.

Doch auf seine Weise war er eine Figur der Avantgarde: „Sua Emittenza“, wie er ironisch genannt wurde, hat Italien in eine „Mediokratie“ verwandelt, in welcher nicht mehr Parteien und Programme, sondern nur noch Personen, Geld und Berühmtheit zählen.

Er war mit seinen Privat-TV-Sendern zugleich Schöpfer und Geschöpf dieser modernen Unterhaltungsdemokratie. Silvio Berlusconi, schrieb der US-Autor und Italienkenner Alexander Stille in seinem Buch „Citizen Berlusconi“, möge als bizarre, unverständliche und ausschließlich in Italien vorstellbare Figur erscheinen.

„Aber er hat zahlreiche politische Tendenzen unserer Tage vorweggenommen.“ Stille hat sein Buch im Jahr 2006 veröffentlicht. Das Beispiel von Donald Trump belegt, dass seine Analyse heute gültiger ist denn je.

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