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Zur Rettung zerstörter Moore und anderer Ökosysteme: EU-Staaten beschließen umstrittenes Naturschutzgesetz – dank „Ja“ aus Wien
Damit sich die Natur erholt, sollen künftig strengere Auflagen gelten. Die Pläne dafür standen bis zuletzt auf der Kippe. Der Alleingang einer österreichischen Grünen macht das möglich – und sorgt in Wien für Ärger.
Stand:
Die EU-Staaten haben den Weg für ein stark umstrittenes Naturschutzgesetz freigemacht. Demnach sollen künftig in der Europäischen Union mehr Bäume gepflanzt sowie Moore und Flüsse in ihren natürlichen Zustand zurückversetzt werden.
Eine ausreichende Mehrheit von EU-Staaten stimmte dem vor allem von Landwirten und Konservativen kritisierten Vorhaben am Montag in Luxemburg zu, wie die derzeitige belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte.
Die Mehrheit nun kam durch einen Kurswechsel Österreichs zustande. Die Klimaschutz- und Umweltministerin der Alpenrepublik, Leonore Gewessler (Grüne), stimmte dem Gesetz zu und stellte sich damit gegen die ÖVP und damit ihren konservativen Koalitionspartner. Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte am Montag eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an.
Das Votum Gewesslers „entspricht nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden“, erklärte das Kanzleramt am Montag in Wien. „Niemand steht über dem Recht“, hieß es unter anderem in der Erklärung.

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Weiter heißt es, der Klimaschutz sei zwar „ein wichtiges Anliegen“, die Verfassung gelte aber „auch für Klimaschützer“. Es müsse nun die Entscheidung des EuGH abgewartet werden. „Wir gehen davon aus, dass der EuGH so rechtzeitig entscheiden wird“, dass die nationale Umsetzung des Gesetzes „vorab nicht notwendig sein wird“. Zuvor hatte das Kanzleramt die Entscheidung Gewesslers bereits als „nicht verfassungskonform“ bezeichnet.
Mit der Zustimmung der EU-Staaten ist das Gesetz eigentlich beschlossen. Sollten sich mit Blick auf das Vorgehen Österreichs keine juristischen Fallstricke mehr entwickeln, müsste der Rechtstext nur noch in die offiziellen EU-Amtssprachen übersetzt und im Amtsblatt veröffentlicht werden, damit die Vorgaben in Kraft treten können.
Dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Natur- und Artenkrise.
Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe
Über das Vorhaben wurde lange und intensiv gestritten. Die EU-Kommission hatte das sogenannte Renaturierungsgesetz vor fast genau zwei Jahren vorgeschlagen.
Der Großteil der Ökosysteme in Europa ist in einem schlechten Zustand. Moore wurden entwässert und mussten Ackerflächen weichen. Wälder leiden unter Borkenkäfern und massiver Trockenheit. Flüsse wurden begradigt, Kiesbänke verschwanden. 10 Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten sind vom Aussterben bedroht. 70 Prozent der Böden in einer schlechten Verfassung.
All diese Entwicklungen sollen mit dem Gesetz gestoppt werden. So will die EU bis 2030 20 Prozent der EU-Flächen wieder in einen Zustand versetzt haben, dass sich bedrohte, natürliche Ökosysteme erholen können. Bis 2050 – dem Jahr, bis zu dem die EU klimaneutral sein soll – in allen übrigen Flächen.
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Eigentlich hatten sich die EU-Länder und das EU-Parlament schon im November auf einen Kompromiss verständigt. Diesem zufolge sollen Landwirte künftig etwa nicht verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, was Bauern befürchtet hatten.
Die Annahme durch beide Co-Gesetzgeber, die EU-Staaten und das Parlament, ist in der Regel Formsache. Das EU-Parlament hatte in Straßburg dem Gesetz auch final zugestimmt. Allerdings ist eine Reihe von Ländern bislang gegen das Vorhaben.
Grüne trotz Abschwächung des Gesetzes zufrieden
Umweltschützerinnen, zahlreiche Forschende und Unternehmen befürworten das Gesetz. „Dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Natur- und Artenkrise“, sagte Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, am Montag. Damit zeige die EU, dass sie die international eingegangenen Verpflichtungen ernst nehme.
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„Europa erhitzt sich doppelt so schnell wie andere Kontinente. Es ist die Verantwortung Europas und des Staates, die Bürgerinnen und Bürger vor den extremen Folgen der Klimakrise zu schützen“, sagte Britta Haßelmann, Fraktionschefin der Grünen. Mit dem weltweit ersten Gesetz zur Rettung der Natur nehme Europa diese Verantwortung an. Nur eine gesunde Natur könne die Folgen der Klimakrise abmildern.
Konservative fürchten Einschnitte für Landwirte
Bei Christdemokraten und Bauernverbänden gab es großen Widerstand. „Das Gesetz verfolgte von Beginn an den falschen Ansatz“, sagte etwa Christine Schneider, Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Gruppe in der EVP-Fraktion: „Anstatt Anreize zu setzen, sollte durch immer mehr Auflagen und Flächenstilllegungen Naturschutz betrieben werden.“
Kritiker befürchten zudem zu große Einschnitte für Landwirte und damit Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion in der EU. Um auf diese Bedenken einzugehen, war das Gesetz im Verhandlungsprozess deutlich abgeschwächt worden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sprach daher von einer „ausgewogenen Balance“ zwischen Naturschutz und Interessen der Landwirtschaft. „Das ist ein klares Signal für Vertrauen in Europas Kompromissfähigkeit und für die Verantwortung für den Schutz von Umwelt und Natur“, schrieb Lemke auf X.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) kritisierte die Verabschiedung des Gesetzes trotzdem scharf. „Mit dieser Entscheidung ignorieren die Umweltminister das Ergebnis der Europawahl“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Die EU dürfe den Bauern nicht vorschreiben, wie sie zu wirtschaften haben.
Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur („Nature Restoration Law“) ist Teil des Green Deal, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Maßnahmen zur Renaturierung, etwa die Wiedervernässung von Mooren, sind auch bei den Klimazielen der EU einberechnet. (fki, dpa/AFP)
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