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Zwölf Punkte für einen russischen Infanteristen: Die Ukraine motiviert ihre Soldaten mit Gamification zum Töten
Die ukrainische Armee vergibt an seine Drohnenpiloten für erfolgreiche Missionen Belohnungspunkte. Dafür wiederum können die Soldaten in einem Online-Shop neue Waffen kaufen.
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Krieg oder Videospiel? Die ukrainischen Streitkräfte belohnen erfolgreiche Drohnenpiloten innerhalb eines digitalen Bewertungssystems mit Punkten, die sie wiederum in einem Online-Shop gegen Waffen eintauschen können.
Gamification heißt das Prinzip aus dem Videospielbereich. Dabei werden meist als monoton empfundene Spielmechaniken mit Belohnungspunkten oder Top-Platzierungen in Ranglisten honoriert, um die Motivation zu steigern oder das Engagement zu erhöhen.
Gamification-Programm soll ausgeweitet werden
Das gleiche Prinzip macht sich nun auch die ukrainische Armee zu eigen, wie unter anderem die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtete. Der stellvertretende Ministerpräsident der Ukraine und gleichermaßen Minister für digitale Transformation, Mychajlo Fedorow, berichtete dem Medium, dass mittlerweile 400 ukrainische Drohnen-Einheiten an der digitalen Punktejagd teilnehmen. Noch im August waren es gerade einmal 95 Einheiten. Entsprechend habe sich der Wettbewerb zu einem wahren „Viralhit“ entwickelt, berichtete Fedorow der Zeitung.
Das Gamification-Programm wurde als sogenanntes „Army of Drones Bonus System“ zunächst den ukrainischen Drohnen-Einheiten zur Verfügung gestellt. Wegen des großen Erfolgs soll das Belohnungssystem nun auch auf Aufklärungs-, Artillerie- und Logistikeinheiten ausgeweitet werden, kündigte Digitalminister Fedorow an.
Wie funktioniert Gamification in der ukrainischen Armee?
Drohnenpiloten erhalten für verschiedene Missionen oder das Absolvieren einer Aufgabe Punkte. Diese wiederum können sie in dem ukrainischen Online-Shop „Brave1“ gegen Drohnen, Modifikationen und anderes Drohnenzubehör, autonome Fahrzeuge oder auch weitere Waffen eingetauscht werden. In Bestenlisten werden außerdem die erfolgreichsten Einheiten gelistet, aktuell stehen etwa Teams wie „Achilles“ und „Phoenix“ in den Rankings ganz oben.
„Je mehr Infanteristen man tötet, desto mehr Drohnen bekommt man, um noch mehr Infanteristen zu töten“, sagte Fedorow dem „Guardian“. Mittlerweile habe sich das System „zu einer Art sich selbst verstärkendem Kreislauf“ entwickelt. Es sei bei den Drohneneinheiten „sehr beliebt geworden“, betonte der Digitalminister. „Alle Streitkräfte wissen davon. Es gibt einen Wettbewerb um Punkte, mit denen man Drohnen, elektronische Kampfsysteme und andere Dinge erhalten kann, die bei der Kriegsführung helfen.“
Wie erfolgreich ist das Punktesystem wirklich?
Erst kürzlich wurde die Punktzahl für das Töten eines russischen Infanteristen von sechs auf insgesamt zwölf Punkte verdoppelt. Auch infolgedessen sei die Zahl russischer Opfer durch Drohnenangriffe im September im Vergleich zum Oktober des letzten Jahres doppelt so hoch ausgefallen, heißt es in dem Bericht.
Mit der Punktebewertung könne ein direkterer Einfluss auf die Umsetzung von Kiews Kriegstaktik genommen werden, so Fedorow. So spiegele etwa die hohe Punktzahl für russische Kriegsgefangene den Bedarf der Ukraine wider, da Kiew mehr Kriegsgefangene für den Austausch mit Russland benötige.
Zudem trage die Auswertung der Daten enorm zu einer effizienteren Kriegsführung bei, betonte der Ukrainer. Wenn ein Drohnenpilot Punkte bekommen möchte, müsse er Videobeweise und Beschreibungen einreichen. Das wiederum helfe bei der Auswertung von Missionserfolgen. „Dank der Punkte beginnen wir tatsächlich besser zu verstehen, was auf dem Schlachtfeld vor sich geht“, sagte der Ukrainer.
Töten gegen Punkte: Eine Frage der Moral?
Fedorow zufolge wird die Höhe der Punkte vom ukrainischen Kabinett beschlossen. Bei deren Festlegung gehe man mittlerweile „ziemlich emotionslos“ vor, wenn es heißt, einen Preis für Menschenleben festzulegen. „Wir suchen nur nach Möglichkeiten, effektiver vorzugehen. Wir betrachten das einfach als Teil unserer täglichen Arbeit“, so der Minister.
Bei der Jagd nach den Punkten und auch deren Festlegung durch das Kabinett gebe es „kaum emotionale Reflexionen. Es fühlt sich wie reine technische Arbeit an.“ Fedorow begründet das wie folgt: „Wenn man den Feind nicht aufhält, tötet er deine Soldaten. Und nachdem die Soldaten tot sind, kommt er in die Stadt und tötet Zivilisten.“
Der ukrainische Kommandant des Drohnenregiments „Achilles“, Yuri Fedorenko, verwies auf Nachfrage des „Guardian“ auf eine mögliche „Gamifizierung“ des Krieges auf den Umstand, dass man zuweilen auch Befehle erteile, die lediglich eine niedrige Punktzahl erzielten. Das geschehe vor allem dann, wenn man damit ein kurzfristiges Kampfziel unterstützen könne. „Wir müssen in erster Linie die Aufgabe erfüllen“, dabei gehe es weniger um das Punktejagen, so Fedorenko.
Der Kommandant der ukrainischen Drohneneinheit „Phoenix“, Andriy Poltoratskyi, wiederum berichtete von einem enormen Wettbewerbsdruck infolge des Punktesystems. „Die ganze Einheit steht im Wettbewerb. Die Drohnenpiloten konkurrieren miteinander, sogar die höchsten Kommandeure wetteifern untereinander.“ Sobald Russland allerdings Offensivoperationen starte, höre der Wettbewerbsgedanke auf und „alle arbeiten zusammen“.
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