zum Hauptinhalt
Trümmerwelt. Dineo Sheshee Bopape zeigt in der Installation „Untitled (Of Occult Instability)“ instabile Verhältnisse.

© Timo Ohler

10. Berlin Biennale: Körper als Politik

Rassimus sticht mit feinen Nadeln: Die Ausstellungen der Berlin Biennale in den Kunst-Werken und im Volksbühnen-Glaspavillon.

Die Welt ist ein Trümmerfeld – oder auch ein silbrig glänzender Seziertisch. In welchem Zustand sie einem auf der Berlin Biennale begegnet, hängt ganz davon ab, an welchem Ort man seinen Rundgang beginnt. Die kleinste Ausstellungseinheit dieser Megaschau bildet zweifellos der Pavillon der Volksbühne: Der gläserne Zwerg neben dem mächtigen Theater bietet gerade einmal Platz für zwei Künstler.

Das Duo Las Nietas de Nonó aus Puerto Rico hat die Herausforderung angenommen und Relikte vergangener Performances im kargen Einraum verteilt. Stuhl und Lautsprecher, eine Schultafel, Grünpflanzen, goldenen Modeschmuck und einen mit Folie überzogenen Tisch, neben dem sich pseudo-chirurgische Instrumente sammeln. Nicht zu vergessen die getrockneten Fische und von der Decke baumelnden, halb transparenten Häute. Ein Nebenprodukt, das bei der Herstellung des Fermentgetränks Kombucha anfällt.

Während der nächsten Wochen werden Lydela und Michel Nonó regelmäßig im Pavillon performen. Doch auch ohne ihre expliziten Handlungen am weiblichen Körper, die auf die Ausbeutung schwarzer Frauen in ihrem Land verweisen, stellt sich in der Installation ein beklemmendes Gefühl ein. Es suggeriert Ohnmacht, Übergriffe und Experiment. Puerto Rico ist zwar ein Freistaat, das Staatsoberhaupt jedoch der jeweilige amerikanische Präsident. Und es braucht keine große Fantasie, um sich vorzustellen, wie viel Potential zur Auslagerung klinischer und anderer Versuche solch eine historisch bedingte Abhängigkeit birgt.

Verfall und Zerstörung beherrschen den Ort

„Illustraciones de la Mecánica“ ist ein guter Einstieg in das übergeordnete Thema der Biennale. Die Politisierung des Körpers, seine Ausbeutung quer durch Jahrhunderte und Kulturen manifestiert sich in fast jeder Arbeit, von denen viele eigens für die Ausstellung entstanden sind. Auch in den nahen Kunst-Werken, deren große Halle im Erdgeschoss von der aus Südafrika stammenden Künstlerin Dineo Seshee Bopape belegt wird.

Verfall und Zerstörung beherrschen den Ort, auch wenn man Nina Simone 1976 auf dem Montreux Jazz Festival singen hört. Der Boden ist mit kaputten Backsteinen bedeckt, Säulen liegen herum, eine von der Decke baumelnde Kugel erinnert stark an eine große Abrissbirne. Hier wie im Pavillon mündet der Biennale-Beitrag in einer sorgfältigen Inszenierung, die ihren Betrachter einsaugt und ihn die Instabilität der Gegenwart spüren lässt. Der Gefahr des theatralischen Overdone entgehen sie jedoch – dafür sind die Installationen der Künstlerinnen zu widerständig und durchdacht.

Es gibt auch andere. Das optische Zentrum im ersten Geschoss der Kunst-Werke bildet ein improvisierter Raum. „Bitte Schuhe aus“, fordert eine Tafel, die zweite erklärt das richtige Atmen. Nun soll man hinein und tanzen und fragt sich nach dem Erkenntnisgewinn dieser verordneten Selbstbespiegelung. Was Künstlerinnen wie Simone Leigh, Tony Cruz Pabón anhand puertoricanischer Popmusik der sechziger bis achtziger Jahre oder Grada Kilomba am selben Ort zu sagen haben, ist weitaus spannender.

Auch Berlin ist Thema in den Arbeiten

Letztere analysiert in ihren Videos der Serie „Illusions“ seit 2016 griechische Mythen. Kilomas Dekonstruktion der klaren Hierarchien und eindeutigen Geschlechter von Erzählungen wie „Ödipus“ mündet in einem vielstimmigen Ensemble, das verschiedene Konstellationen probt. Diese anderen Optionen stehen im Zentrum ihrer eindringlichen, überaus ästhetischen Filmarbeit. Sie selbst agiert als Vorleserin, die zugleich noch sprachliche Mechanismen untersucht: Wie funktioniert Unterdrückung, was hält die gesellschaftlichen Verhältnisse so verdammt gut im Lot?

Was die Teilnehmer der Biennale in den Kunst-Werken anhand ihrer Filme, Gemälde, Zeichnungen und Fotografien an Wissen vermitteln, kommt aus allen Teilen der Welt. Es konzentriert sich in Berlin, ohne die Stadt explizit in den Fokus zu rücken. Dennoch berühren die Werke auch die Diskurse und Probleme der Stadt. Deutlich macht dies eine Künstlerin wie Natasha A. Kelly, deren Dokumentation „Millis Erwachen“ (2018) acht schwarze deutsche Frauen nach ihren Strategien befragt, sich eine Position innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu sichern. Wie mühsam das ist und mit wie feinen Nadeln der Rassismus sticht, wird einem unmissverständlich klar. Cinthia Marcelle widmet sich in ihrer Serie „Legendaries“ seit 2008 kulturellen Institutionen und ihren prekären Arbeitsverhältnissen. Aktuell hat sie sich die Kunst-Werke vorgenommen: auch eine Selbstbespiegelung, diesmal der sinnvollen Art.

Zur Startseite