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„Tanzende Paare“ von  Rudolf G. Bunk (1935).

© Akademie der Künste, Berlin Foto: Kerstin Marth

Abenteuer Provenienzforschung: Wiederaufgetaucht, restituiert oder nur verdächtig?

Auf Spurensicherung: Eine Ausstellung legt offen, wie die Berliner Akademie der Künste ihre Besitzstände nach fragwürdigen Provenienzen durchforstet.

Es gibt auch falsche Fährten. Wladimir Majakowskis handgemalte Kostümentwürfe im Besitz der Akademie sind keine Raubkunst. Die Großaquarelle mit ihrem knallbunten, witzigen Figurengewimmel erwiesen sich im Zuge der Provenienzrecherchen vielmehr als sorgfältige Kopien, mitsamt ihren kyrillischen Bleistiftnotizen. Die Blätter wurden im Staatlichen Majakowski-Museum Moskau 1978 offenbar eigens für eine Westberliner Ausstellung angefertigt. In diesem Fall half bei der Klärung buchstäblich Knöpfezählen. Nicht zehn, sondern neun Rundknöpfe prangen, in der Replik, auf dem Kugelbauch eines säbelrasselnd von Majakowski karikierten Deutschen.

Auch im Fall eines figürlich geschnitzten, „königlichen“ Hockers aus Westafrika kann Archivdirektor Werner Heegewaldt Entwarnung geben. Das Stück aus dem 1965 in der Ostberliner Akademie gegründeten Paul-Robeson-Archiv ist keineswegs ein hochrangiger „Ashanti chieftain´s stool“, wie seinerzeit in den Unterlagen vermerkt. Als Dutzendware wurde das Möbel wohl eher für den Touristenmarkt geschnitzt, wie zugezogene Ethnologen feststellten.

Nun steht das markante Sitzmöbel wirkungsvoll wie in einem Schattentheater inszeniert am Beginn der Schau. Man will die Gäste neugierig machen, einen Blick hinter die Kulissen und auf die verborgenen Objektgeschichten zu werfen. Das 100seitige Begleitbüchlein gibt´s kostenlos dazu. Auch Kinder und Jugendliche sollen ran. Sie haben den Audioguide im Vorfeld erstellt.

Provenienzforschung galt lange Zeit als sprödes, nur für Fachleute relevantes Metier. Das ist vorbei. Die Akademie ist nicht die einzige Institution, die offensiv nach Wegen sucht, um in der breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit, Sensibilität und Verständnis zu wecken. Tatsächlich ist die Materie komplex, jeder Einzelfall liegt anders und will bis ins Kleinste ausgeleuchtet werden. Längst geht es nicht mehr ausschließlich darum, NS-Raubkunst in der eigenen Sammlung zu identifizieren. Auch postkoloniale Aufarbeitung der Bestände, kriegsbedingte Verluste und neuerdings vermehrt unrechtmäßige Besitzerwechsel zu DDR-Zeiten rücken in den Fokus.

„Mühlental bei Amalfi“ von Carl Blechen (1829).
„Mühlental bei Amalfi“ von Carl Blechen (1829).

© Akademie der Künste, Berlin Foto: Oliver Ziebe

Wem etwa gehört Otto Nagels private Kunstsammlung? Juristisch ist der Fall klar und ad acta gelegt. Aber für die Akademie bleibt das Thema brenzlig. Schließlich war der Arbeitersohn Nagel höchstselbst Präsident der Ostberliner Akademie. Nach dem Tod seiner Witwe sah sich die Tochter Sybille 1985 plötzlich mit völlig überhöhten Erbschaftssteuerforderungen konfrontiert: ein probates Mittel des Staates, um die sozialkritischen Werke des Malers an sich zu bringen. Die Erbin willigte notgedrungen in eine Nachlass-Schenkung ein.

Auch was Republikflüchtige wie der erfolgreiche Bühnenbildner Rudolf Heinrich im Osten zurückließen, betrachtete der DDR-Staat als sein Eigentum. Ausgestellte Karteikarten, Fotodokumente, Archivalien machen die Methoden der Provenienzforschenden nachvollziehbar.

Auch die Causa Max Liebermann brennt der Institution unter den Nägeln. Die Gespräche mit den Erben in USA laufen. Ein handliches Skizzenbuch des Akademiepräsidenten avancierte zum NS-Raubkunst-Verdachtsfall, als Provenienzforscherin Doris Kachel darin den Nachlassstempel der Witwe Martha Liebermann entdeckte. Damit war klar: Das Büchlein voller flott notierter Alltagsszenen gehörte ihr noch 1935. Sie wurde vom Regime drangsaliert und in den Selbstmord getrieben.

„Havelziehbrücke in der Mark“ von Max Kaus (1931).
„Havelziehbrücke in der Mark“ von Max Kaus (1931).

© VG Bild-Kunst, Bonn, 2022, Akademie der Künste, Berlin Foto: Oliver Ziebe

Seit die Akademie 2017 die Provenienzen speziell für die NS-Zeit systematisch aufgearbeitet hat, konnten rund 400 Gemälde und Skulpturen gecheckt werden. Sieben Werke landeten in der Kategorie „bedenklich“. Unverzüglich an die Lost Art-Onlinedatenbank gemeldet wurde etwa Aristide Maillols Gipsbüste seines Malerkollegen Pierre-Auguste Renoir mit Hut.

Ein Vorbesitzer hatte die Plastik unter ungeklärten Umständen im von den Nazis besetzten Paris erworben. Ein anderes Verdachtsobjekt ist Fritz Erlers großformatiger „Schwarzer Pierrot“ von 1908, einst im Besitz eines jüdischen Galeristen. Dass unter dem karnevalesk kostümierten Protagonisten ein weißhäutiger „Fechter“ verborgen liegt, den der Künstler übermalte, kam erst jetzt im Zuge der Recherchen heraus.

Tatsächlich, das Aufgabenfeld ist uferlos. Allein die über 1200 Künstlernachlässe im Akademiearchiv bieten Forschungsbedarf, ebenso die Bibliothek. Eng verwoben mit den Provenienzrecherchen ist die Suche nach im Zweiten Weltkrieg verlorenen Werken. Ausgelagert, zerstört, verschollen: 2188 Kunstobjekte listet die Akademie als Kriegsverluste auf, mit hoher Dunkelziffer. Andrerseits taucht manches unverhofft aus den Wirren der Geschichte auf.

Das klassizistische Landschaftsgemälde „Nemisee“ von Peter Ludwig Lütke galt nach dem Krieg als derart beschädigt, dass der Senat die Anweisung gab, es zu vernichten. Das Schreiben ist ausgestellt. Doch das Gemälde existiert, wenn auch fragmentarisch. 2019 tauchte das geschickt zurechtgeschnittene Ölbild im Auktionshandel auf. Irgendwer muss es damals „gerettet“ haben.

Ein Buch aus Walter Benjamins verschwundener Bibliothek fischte ein Sammler aus dem Internet-Antiquariatshandel. Randbemerkungen in Benjamins winziger Handschrift lassen seine Gedanken aufblitzen. Gar auf einer Mülldeponie fand sich 2012 eine Munitionskiste voller Lebensdokumente einer NS-verfolgten, jüdischen Pianistin, Ella Jonas-Stockhausen. Das ramponierte Objekt trägt jetzt die Inventarnummer 389 in der Kunstsammlung der Akademie.

Wie verschlungen die Wege der Kunstwerke sein können, zeichnet eine Landkarte mittels Pfeilen nach. Zwei Spitzenwerke des 18. Jahrhunderts feiern hier ihre glückliche Wiederkehr: Anton Graffs Meisterporträt eines Schauspielers verschlug es als Kriegsbeute mit der Roten Armee nach Moskau und 1958 retour, zunächst allerdings fälschlich nach Dresden. Seit kurzem erst ist der feinsinnig Porträtierte wieder da.

Daneben blickt einem mit flamboyantem Fellhut und lässig offenem Rüschenhemd der Stuttgarter Hofmaler Harper entgegen. Die Berliner Malerin Anna Dorothea Therbusch hat den Kollegen porträtiert. Im Zweiten Weltkrieg in die Neue Reichsmünze ausgelagert, verschwand das Bild spurlos in den Wirren danach. Unlängst meldete sich das Württembergische Landesmuseum. Man habe da ein Werk mit unrechtmäßiger Vorgeschichte im Bestand. Therbuschs hochkarätiges Werk durfte zurückkehren, nach Berlin.

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