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Wolf Biermann kam zum Gespräch  ins Deutsche Historische Museum Berlin.

© Steffen Roth für den Tagesspiegel

„Aggressives Selbstmitleid“: Wolf Biermann bescheinigt den Ostdeutschen chronische Seelenschäden

Der Lyriker und Liedermacher beklagt die politische Einstellung vieler Ostdeutscher und macht dafür auch das Mitläufertum zu DDR-Zeiten verantwortlich. Die Erfahrungen würden auch weitere Generationen prägen.

Der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann bescheinigt den Ostdeutschen in der Debatte um ihr Demokratieverständnis chronische Seelenschäden. „Die Ostdeutschen sind nach zwei Diktaturen hintereinander doppelt geprägt. Kaputte Häuser und Straßen kann man in 30 Jahren wieder aufbauen, kaputte Menschen dauern etwas länger“, sagte Biermann dem Tagesspiegel.

Die neue Ostalgie-Welle mit derzeit erfolgreichen Büchern über den DDR-Alltag und die verkorkste deutsche Einheit spiegele keineswegs eine Sehnsucht nach alten Zeiten wider: „Das ist keine Sehnsucht, das ist aggressives Selbstmitleid.“

In der DDR habe es für die Menschen viele gute Gründe gegeben, sich feige zu verhalten, führte Biermann in dem Interview aus. „Aber wenn Menschen alles Unrecht dulden, wenn sie im Betrieb oder in der Familie immer den Schwanz einziehen oder den Kopf, dann macht sie das chronisch seelenkrank. Diese Deformation wird unbewusst vererbt von Generation zu Generation“, so Biermann.

Diese Deformation wird unbewusst vererbt von Generation zu Generation.

Wolf Biermann über das Erbe der DDR
Wolf Biermann
Wolf Biermann

© Steffen Roth für den Tagesspiegel

Der 86-Jährige fügte in dem Gespräch an: „Wir alle gehen nicht nur kaputt an den Schlägen, die wir einstecken, sondern auch an den Schlägen, die wir nicht austeilen.“

Biermann bezeichnet Opposition gegen die DDR als sehr klein

Rückblickend bezeichnete Biermann, der in der DDR einer der wichtigsten Dissidenten und nach seinem legendären Konzert in Köln 1976 ausgebürgert worden war, die Opposition in der DDR als sehr klein. „Vielleicht waren wir an die 1000 Leute in der ganzen DDR, die sich gewehrt haben. Gemessen aber an 16 Millionen gehorsamen Untertanen in dieser Diktatur war das nicht viel mehr als bei einem Zweifüßler.“

Am Ende einer Diktatur wimmele es immer von Widerstandskämpfern. „Plötzlich sind aus dem Tausendfüßler Abertausende Freiheitshelden geworden.“

Biermann lebt in Hamburg. Am kommenden Mittwoch eröffnet im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Ausstellung „Wolf Biermann – ein Liedermacher und Lyriker in Deutschland“.

Das ganze Interview mit Biermann finden Sie am Sonnabend im gedruckten Tagesspiegel (E-Paper hier) und online auf www.tagesspiegel.de.

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