
© Kai-Uwe Heinrich TSP
Akustische Reize: Maulwürfe beschallen
Mit Klassik vertreibt man Obdachlose und Drogenabhängige von Bahnhofsvorplätzen. Mit seismischen Schwingungen unerwünschte Gartengäste. Und dann gibt es noch die Taktik von Radio 3.
Stand:
Unsere Nachbarin vom 2. Stock hat sich einen Maulwurf-Beschaller gekauft. Ich weiß dass, weil wir als Hochparterrebewohner immer die erste Anlaufstelle der Paketdienste sind. „Die Viecher machen mich wahnsinnig“, seufzte sie beim Abholen des voluminösen Kartons - und nahm ihn mit in ihr Sommerdomizil vor den Toren der Stadt, wo sie einen Garten hat.
Der Hersteller verspricht, dass sich die rasenzerstörenden Buddler ruckzuck vertreiben lassen, dank der „aggressiven seismischen Schwingungen“, die das Gerät aussendet. Weil die sich „schnell in der Erde ausbreiten“, würden sich die genervten Maulwürfe umgehend andere Betätigungsfelder suchen.
Lieben Sie Brahms? Nee!
Irgendwie erinnert das an den fiesen Trick, mit dem man früher in Hamburg unerwünschte Besucher vom Bahnhofsvorplatz verscheucht hat: Tag und Nacht ließ man dort klassische Musik aus den Lautsprechern rieseln – und tatsächlich trollten sich die Obdachlosen ebenso wie die Drogenabhängigen.
In Leipzig hat man mit so einer Bahnhofs-Beschallung ebenfalls gute Erfahrungen gemacht, wobei hier aus lokalpatriotischen Gründen natürlich vorrangig Werke von Johann Sebastian Bach zum Einsatz kamen. Und sogar vier Berliner U-Bahnhöfe verwandelten sich bei einem Pilotprojekt der BVG ab 2022 zu Orten der Harmonie, zumindest akustisch.
Die Playlist dafür bestellten die hauptstädtischen Verkehrsbetriebe allerdings nicht bei der zuständigen Kultur-Welle des RBB, sondern beim kommerziellen „Klassik Radio“. Eine prophetische Entscheidung, wie sich jetzt herausstellte. Denn die jüngste Reform des RBB-Senders Anfang April führte zu einer Verbannung der Werke von Beethoven, Brahms und Co. aus den Premium-Sendezeiten am Morgen sowie am Nachmittag.
Stattdessen gibt es jetzt zwischen den Wortbeiträgen Düster-Pop von Nick Cave auf die Ohren, treibende Balkan-Beats, französische Säusel-Chansons, Folk, Jazz und Elektro. Was bei Klassik-Fans eine ähnliche Reaktion auslöst wie aggressive seismische Schwingungen bei Maulwürfen.
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