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Kultur: Aldo Rossi trieb es zu bunt

Es gab eine Zeit, da hat der Mailänder Architekt Aldo Rossi mit großem Ernst seine Arbeit verrichtet.Eine berühmt gewordene Friedhofsanlage hat er gebaut, statuarische, unerbittliche Architektur.

Es gab eine Zeit, da hat der Mailänder Architekt Aldo Rossi mit großem Ernst seine Arbeit verrichtet.Eine berühmt gewordene Friedhofsanlage hat er gebaut, statuarische, unerbittliche Architektur.Grundschüler und Bewohner hat er mit der Strenge seiner Schulen und Wohnhäuser verstört.Doch schon in den achtziger Jahren machte sich ein Wandel in seiner Arbeit bemerkbar.Seine anfangs weiße, rationalistische Architektur bekam kraftvolle Farben, tendierte schließlich in den Neunzigern zu verspielt wirkender Buntheit.Schienen die markanten Rot-grün-Kontraste, etwa beim Mailänder Flughafen oder bei seinen Berliner IBA-Wohnhäusern Koch-, Ecke Wilhelmstraße noch sein Entwurfsprinzip der Komposition städtischer Archetypen zu stützen, so begannen die Kritiker sich spätestens ab der vierten Grundfarbe angewidert abzuwenden.Plakative Buntheit in der Architektur, das vertrug sich weder mit der Doktrin der Moderne noch des Rationalismus, das galt als hemmungsloser Postmodernismus.Seitdem war es auf akademischer Ebene still um ihn geworden.Umso erfolgreicher nahm er Bauherren für sich ein, die eine Chance sahen, mit signifikanter, wohl auch populärer Architektur Marktvorteile zu erringen.

Der 1997 verstorbene italienische Architekt hat viel für Berlin gearbeitet, mehr als für jeden anderen Ort, seine Heimatstadt Mailand ausgenommen.Wohnungsbauten in der Tiergartener Drakestraße und in der Kochstraße sowie ein ganzer Straßenblock an der Landsberger Allee sind realisiert worden, sein spektakulärer Entwurf für das Deutsche Historische Museum im Spreebogen, sein Vorschlag für den Potsdamer Platz sowie Geschäftshäuser an der Friedrichstraße und am Leipziger Platz blieben auf dem Papier.Rossi machte aus seiner Geistesverwandtschaft zur rationalistischen Haltung deutscher Architekten keinen Hehl, er verehrte Karl Friedrich Schinkel, Heinrich Tessenow, Ludwig Mies van der Rohe, ein wenig vielleicht auch Paul Ludwig Troost, mit dessen trockenem, monumentalen Klassizismus er liebäugelte.Noch beim Deutschen Historischen Museum sind diese Einflüsse deutlich.

Später jedoch hat Rossi den Weg der preußischen Tugenden verlassen und gleichzeitig einen Individualstil entwickelt.Das Quartier Schützenstraße in der Berliner Friedrichstadt stellt den Höhepunkt und, nach dem Tod des Architekten, den Abschluß dieser Entwicklung dar.Als die Investoren Peter und Isolde Kottmair das Projekt vorstellten, wollte man angesichts des bunten Modells den Anschlag auf den guten Geschmack nicht wahrhaben oder war versucht, einen anderen Modellbauer zu empfehlen, der nicht schon für Märklin und Faller gearbeitet hatte.

Inzwischen nimmt das Bauvorhaben im Maßstab 1:1 das Quartier zwischen Schützen-, Charlotten-, Zimmer- und Markgrafenstraße ein, und es ist tatsächlich so bunt geworden - zu bunt, wie viele meinen.Ganz nebenbei hat es den Beweis erbracht, daß es mit dem Kodex des "steinernen Berlins" nicht so weit her ist, wenn Prominenz im Spiel ist.Wenngleich die Farben etwas verblassen werden, wird das Quartier seine Eigenständigkeit gegenüber den tumben Großblöcken in seiner Umgebung bewahren, reflektiert es doch als einziges die Grundstücksverhältnisse vor dem Krieg: 19 Einzelhäuser bilden den Block, dessen Inneres von mehreren Hinterhäusern in vier Höfe gegliedert wird.

Freilich täuschen die Einzelfassaden, weil dahinter Büroflächen durchlaufen, aber zwölf eigenständige Gebäude sind es allemal.Die Mehrzahl der Fassaden hat den doppelgeschossigen, massiv erscheinenden Sockel wie die historischen Vorbilder des Quartiers, darüber erheben sich bis zur Traufhöhe die rot, rosa oder grün gefärbten Wände aus unterschiedlichen Materialien (Das blaue Haus in der Charlottenstraße hat Rossis Weggefährte Luca Meda gestaltet).Die Dachzone staffelt sich gemäß den Vorschriften zurück, aber auch hier erwirkte Rossi erstaunliche Ausnahmen.Blechdächer mit doppelten Gaubenreihen erinnern mehr an Paris als an Berlin.Eines der Gebäude fällt aus der Reihe, entspricht mit seiner sichtbar geschraubten Metallfassade und dem Treppenerker mit etwas überzogener Hutkrempe eher den ringsum in der Friedrichstadt präsenten Büroneubauten.Götz Bellmann und Walter Böhm, Rossis Berliner Kontaktarchitekten, durften an diesem Haus ihre eigenen Ideen umsetzen.Eines der Gebäude ist in der Substanz historisch, ein letzter Vorkriegszeuge, dessen Neorenaissancefassade nun sorgfältig restauriert wird.Das Nachbarhaus wiederum sieht nur zur Hälfte alt aus, denn die beiden unteren Geschosse wurden nach fotogrammetrischen Aufnahmen der Ruine abgetragen und in Beton, Styropor und Stuck neu aufgeführt: Wenn man dranklopft, klingt es ziemlich hohl.

Ein weiteres Haus sieht sehr alt aus, denn hier hat sich Aldo Rossi einen Scherz erlaubt und einen italienischen Renaissancepalazzo nach Berlin verpflanzt.Es handelt sich um die Kopie der Innenhoffassade des Palazzo Farnese in Rom, die Antonio da Sangallo d.J.geplant, aber bis zu seinem Tod 1546 noch nicht fertiggestellt hatte.Michelangelo vollendete den Bau, von ihm stammt das Obergeschoß.Rossi reduzierte den Entwurf auf drei Achsen, ein bemerkenswertes Beispiel bauhistorischer Genmanipulation.Breite Natursteinstreifen beiderseits schaffen Distanz zu den Neubauten, doch verräterische offene Fugen stellen sie als Steintapete bloß.Die Fugen der in Italien aus Pietra Serena fein gemeißelten Steine des Palazzo selbst sind geschlossen - mit der Silikonspritze.Die ganze Schizophrenie der Bauhistorie mit modernen Mitteln wird am Fuß der aufgemauerten Palazzofassade deutlich, wo der schwere Sockel einige Zentimeter über dem Fußboden zu schweben scheint.Hinter dem 2,8 Millionen Mark teuren Fassadenkostüm mit seiner enormen Geschoßhöhe sind repräsentative Salons vorgesehen.Was schon fertig ist, die Treppenhäuser, erreicht allerdings nur Ostblock-Niveau mit fahlem, bulgarischem Marmor und PGH-Design.

Mit dem römischen Falsifikat des Palazzo Farnese wollte der Meister den Berlinern zeigen, was eine Harke ist.Etwas seriöser ausgedrückt: Er wollte der deutschen Neorenaissance der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts einmal das Original gegenüberstellen.Ob er den Bau auch als Wortmeldung zum zwischen den Parteigängern der italienischen und der nordischen Renaissance neu entflammten Ursprungstreit verstanden wissen wollte? Nun steht er also da, sich seiner Fremdheit bewußt.Doch absurderweise ist es dieser falsche Palazzo, dem jene städtischen Qualitäten innewohnen, deren Verlust allseits beklagt und als Misere der Friedrichstadt dingfest gemacht wird.Er gibt sich in die historische, als urban und stadtverträglich erkannte Parzellengröße, hat eine individuelle innere Struktur und bringt diese nach außen zum Ausdruck.So gesehen kann man einiges von ihm lernen.

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