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Er kann auch anders: Alligatoah demonstriert auf der Bühne seit Neuestem brachiale Wucht.

© imago/HMB-Media/Markus Koeller

Alligatoah will mehr als nur ein Musiker sein: Neue Härte, alte Ironie

Radikale Neuinterpretation eines Klassikers: Der Berliner Rapper überrascht mit seiner Show in der Uber Arena. Auf melodischen Singsang folgen ungewohnt harte Sounds.

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Die Bühne, düster ausgeleuchtet, ein Sammelsurium aus Büro-Relikten, umgeworfen und durcheinander – als hätte jemand nach jahrelanger Schreibtischarbeit entschieden, dass es Zeit ist, die Ordnung der Welt auf den Kopf zu stellen.

Alligatoah hat es bei seinem Konzert in der Berliner Uber Arena zumindest versucht. Schnell wird klar: Der Mann, der eigentlich Lukas Strobel heißt, will mehr sein als „nur“ Musiker. Er ist Kunstfigur, satirischer Spiegel von Popkultur und Gesellschaft, Jongleur zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit. Seit Jahren pendelt er zwischen Rap, Chanson und zuletzt auch Metal, stets mit einem Gespür dafür, menschliche Abgründe in pointierten Texten zu verhandeln.

Wenig Platz für Nostalgie

Für manche Fans der ersten Stunde dürfte dieser Abend eine Herausforderung sein. Wer mit dem Alligatoah aufgewachsen ist, der erbarmungslose Situationskomik mit melodischem Singsang vereint, wird nun mit ungewohnt harten Sounds konfrontiert.

Die Ästhetik des 2024 erschienenen Albums „Off“ wird live zur brachialen Wucht. Einige der neuen Songs greifen so stark auf klassische Metal-Elemente zurück, dass sie stellenweise mehr wie eine stilistische Übertreibung als eine organische Weiterentwicklung wirken. Ein Balanceakt, der nicht immer mit der sonst so feinsinnigen Ironie des Künstlers im Einklang steht.

Berlin, ich spüre Blockaden. Kann es sein, dass Ihr noch nicht im Einklang mit eurem inneren Kind seid?

Alligatoah als „Metal Health Coach“

Und auch der Mut zur Provokation, der Alligatoah einst auszeichnete, geht teilweise verloren. Besonders in Momenten, die Raum für Spontaneität bieten könnten, wirkt die Show durchchoreografiert.

So schlüpft der Künstler in die Rolle des „Metal Health Coach“, der dem Publikum zuruft: „Berlin, ich spüre Blockaden. Kann es sein, dass Ihr noch nicht im Einklang mit eurem inneren Kind seid?“ und es zu Atemübungen und Dehnungen animiert – unterhaltsam gemeint, aber eher vorhersehbar und schon gar nicht rebellisch.

Doch zwischen die wuchtigen Songs schleichen sich immer wieder ruhigere Momente. „Niemand“, eine melancholische Reflexion über Einsamkeit und fehlende Zugehörigkeit, entfaltet in der reduzierten Live-Version eine noch intensivere Wirkung.

Nostalgie war gestern: Rapper Alligatoah alias Lukas Strobel.

© imago/Christian Grube/ArcheoPix

„Ich bin niemand, will niemand sein“, singt Alligatoah mit brüchiger Stimme, begleitet von seiner eigenen Akustikgitarre. Die Halle wird still – einer der wenigen Augenblicke, in denen der Künstler nahbarer scheint.

Ein weiteres Highlight ist ganz klar „Partner in Crime“, einer Hymne auf toxische Komplizenschaft – aufgenommen mit Tarek K.I.Z.. Und natürlich wird die Hoffnung des Publikums nicht zerstört: Alligatoah performt den Track nicht allein.

Die Energie zwischen den beiden Künstlern ist spürbar, ihr Zusammenspiel auf der Bühne nahtlos. „Ich bleib’ dein Partner in Crime, scheiß’ auf die Konsequenzen“, rappen Tarek und Alligatoah im Wechsel, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Das Publikum singt, tanzt und feiert.

Bruch mit Ansage

„Willst du mit mir Drogen nehmen? / Dann wird es rote Rosen regnen / Ich hab’s in einer Soap gesehen / Willst du mit mir Drogen nehmen?“ – Zeilen, bei denen eine ganze Generation sofort die passende Melodie im Ohr hat. Kaum ein Lied ist so eng mit Alligatoahs Karriere verknüpft wie „Willst du“. Entsprechend hoch ist die Euphorie, als die ersten Töne erklingen.

Doch anstelle der vertrauten, melancholischen Ballade setzt es ein donnerndes Riff, begleitet von schweren Drums. Plötzlich wirkt der Song nicht mehr wie ein augenzwinkernder Fluchtgedanke, sondern wie ein dunkler Befreiungsschlag. Ein Moment, der das Publikum spaltet: Während einige begeistert mitgehen, scheint anderen der radikale Wandel zu viel; mitgesungen wird natürlich trotzdem, die Lyrics sitzen schließlich.

Das Konzert bestätigt endgültig, was sich auf „Off“ bereits andeutete: Alligatoah hat sich musikalisch radikal weiterentwickelt. Der einstige Satire-Rapper, der mit dem ironischen Zeigefinger auf die Gesellschaft zeigte, ist härter geworden, lauter – und gleichzeitig nicht unbedingt kompromissloser. Kann der frische Sound langfristig die Vielschichtigkeit bewahren, die ihn einst auszeichnete?

Manche der neuen Songs sind kraftvoll, doch wirkt die stilistische Ausrichtung stellenweise zu kalkuliert – als wäre der experimentelle Geist, der Alligatoahs Frühwerk prägte, einem festgelegten Konzept gewichen.

Was Alligatoah an diesem Abend definitiv beweist: Er erfindet sich lieber neu, als sich in Nostalgie zu verlieren. Die Show ist ein Spektakel, bloß wünscht man sich gelegentlich weniger Theater, einen Hauch mehr Chaos.

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