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Kultur: "Also bin ich nun der, der ich bin"

Hans-Joachim Meyer, ZK-Präsident deutscher Katholiken: über Verzagtheit, Herzblut und PolitikTAGESSPIEGEL: Sie sind Minister.Für Kunst und Wissenschaft!

Hans-Joachim Meyer, ZK-Präsident deutscher Katholiken: über Verzagtheit, Herzblut und Politik

TAGESSPIEGEL: Sie sind Minister.Für Kunst und Wissenschaft! Aber auch: engagierter Katholik.Sie traten 16jährig der CDU bei, sind sieben Jahre später aus-, aber 1990 wieder eingetreten.Welcher Berufung gehört denn nun Ihr Herz?

MEYER: Politik ist eine Aufgabe, die gelegentlich fasziniert, aber auch bedrückt: Ich könnte das nicht ohne Basis im Glauben.Wer in der Mehrzahl der Fälle nur das kleinere Übel wählen kann - darin liegt das Korrumpierende der Politik -, verliert leicht den Willen zur Unterscheidung.Und verschweigt dann, daß es auch Fälle gibt, in denen eine klare Alternative vorliegt.Besonders in einer Gesellschaft, die für alles Argumente hat, was ja auch das Professorendasein mit sich bringt: Begründen kann man alles.Zu meinem Beruf kam ich, weil meine damalige Freundin und jetzige Frau mir riet, Anglistik zu studieren.Mein Jurastudium war gescheitert.Latein reichte nicht für irgendwas, Russisch ist schwer: also Anglistik.Dieser Beruf hat mich zu einem gewissen Grade geprägt, doch habe ich dazu Distanz.Als mir Biedenkopf für Sachsen das Ministeramt anbot, habe ich angenommen.Aber auch da könnte ich sagen: Ich mache es morgen nicht mehr.Nicht leichten Herzens, aber Herzblut würde ich keines vergießen.So nahe darf man sich Beruf und Politik nicht kommen lassen.Das wichtigste ist der Glaube.

TAGESSPIEGEL: Auf dem "Katholikentag der Einheit", 1990 in Berlin, erinnerten Sie daran, wie verzagt man in der DDR war, als die Welt sich "von uns abgewandt hatte".In einer anderen Rede blickten Sie damals auf Europa: Sie wollten zwar nicht die Heilige Allianz von 1812 heraufbeschwören, aber vielleicht doch eine ...Vision.Verzagtheit? Vision? Hat Ihr Glaube sich in den Jahren geändert?

MEYER: Die Verzagtheit bezog sich darauf, daß ich mich erinnerte, seit dem Scheitern des Prager Frühlings nicht mehr erwartet zu haben, noch eine grundlegende Veränderung unserer Gesesellschaft zu erleben.Das Nachdenken über die Heilige Allianz war gerichtet auf Visionen, die ich 1990 meinte wahrzunehmen: Eine Rechristianisierung Europas hielt ich für eine Illusion.Ich muß aber bekennen, daß es eine Phase in meinem Leben gab, wo ich eine sozialistische Entwicklung für möglich hielt.Da ist für mich der Glaube wichtig gewesen: Niemals eine solche Perspektive zu meinem eigentlichen Lebensfundament zu machen.Man muß aufs offene Meer hinaus und kann sich nicht der Vorstellung hingeben, wir hätten irgendeinen Kompaß, der uns irgendwo hinführt.Für diese Erfahrung des Unbehütetseins, der Notwendigkeit, sich loszulassen, nicht auf eine feste Heimat zu vertrauen, hat sich der Glauben als das Belastbare, das Dauerhafte herausgestellt.Andere wichtige Dinge - politische Überzeugung, soziales Engagement, wissenschaftliches Interesse - geben dem Leben Vielfalt, Fülle, Reichtum, Farbe.Aber der Kern ist etwas anderes.

TAGESSPIEGEL: Der politische Einfluß des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK) müsse wieder wachsen, sagten Sie zu Beginn Ihrer Präsidentschaft, 1997.Wird das nun, ab Mittwoch in Mainz, ein Wahlkampf-Katholikentag werden, zumal viel Polit-Prominenz auftritt?

MEYER: Es gab Zeiten einer außerordentlichen Nähe zwischen dem ZdK und einer Partei: in den ersten Jahrzehnten des Deutschen Reiches.Weil Bismarck meinte, man müsse gegen die Katholiken als Reichsfeinde vom Leder ziehen.Da die Katholiken bereits Mitte des 19.Jahrhunderts versucht hatten, aus der unterpriviligierten Minderheitenposition herauszukommen, brachte sie das nun in große Nähe zur Zentrumspartei.Es gab auch Konflikte wie 1922 zwischen dem Münchner Kardinal Faulhaber, der erklärte, die Revolution 1918 sei Hochverrat, und dem Katholikentagspräsidenten Adenauer, der sich für die Weimarer Verfassung aussprach.Für mich als CDU-Mitglied ist wichtig, daß sich in ZdK-Debatten die Vielfalt des politischen Lebens abbildet.Die Gefahr besteht darin, daß die Kirche da eine Art politisches Varieté bietet.Unser Versuch muß sein, zur ethisch motivierten öffentlichen Debatte, die ja immer konturloser wird, etwas beizutragen.

TAGESSPIEGEL: Auch auf Katholikentagen scheinen politische Reizthemen zu dominieren.Wird ein unique selling point der Kirche dabei noch wahrnehmbar?

MEYER: Diese Gesellschaft befindet sich am Vorabend erheblicher Veränderungen: Die Gestaltungsmöglichkeiten im nationalen Rahmen werden immer geringer.Daraus folgt für Politiker die Versuchung zu sagen: Die Lösung brennender Probleme ist gar nicht unsere Aufgabe.Zudem wird gelegentlich mit dem Taschenspielertrick gearbeitet, zu sagen, was der Staat nicht mehr löse, sei auch kein Thema der Politik.Der soziale Katholizismus hat mitgebaut an den Strukturen, die den Sozialstaat ausmachen: für Verhältnisse, die nicht mehr existieren.Statt die Strukturen auf Biegen und Brechen zu verteidigen, ist der einzige Ansatz für uns, an die ethischen Prinzipien, nach denen sie gebaut wurden, nachdrücklich zu erinnern - und über neue Strukturen nachzudenken.

TAGESSPIEGEL: Der deutschen Wandlungswilligkeit mißtrauen Sie wohl: So werde sich an der Rechtschreibreform zeigen, sagten Sie neulich, ob die Gesellschaft überhaupt veränderungsfähig sei!

MEYER: Es ist nicht unser Verdienst, daß wir im Osten uns sehr rasch ändern mußten.Die westdeutsche Gesellschaft aber weiß nicht, in welchem Maße die Globalisierung sie zu tiefen Veränderungen zwingen wird.

TAGESSPIEGEL: Gibt es denn in der Zwickmühle Individualismus / Kollektivismus doch noch den legendären Dritten Weg?

MEYER: Den Vorwurf, der Dritte Weg sei illusionär, benutzt man gelegentlich dazu, einer blinden Spontaneität der gesellschaftlichen Entwicklung das Wort zu reden.Ich sage nicht, es gäbe den Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus.Aber wir müssen jene großen Kräfte, die dem Individualinteresse entspringen, binden und austarieren: gegenüber den Interessen des Gemeinwohls, der Schwächeren, der Minderheiten.

TAGESSPIEGEL: Pluralität, zwischen Individualismus und Kollektivismus, ist in der Kirche oft ein Problem.Zum Beispiel wenn ZdK-Präsident Meyer sagt, man müsse gegen Roms Instruktion zur Laienaktivität Widerstand leisten.Freiheit in der Kirche - geht das eigentlich?

MEYER: Einheit ist nur lebendig in der Vielfalt.Die Kirche schwebt in der Gefahr, eher auf die Einheit zu setzen.Die Freiheitserfahrung von 1848, als die Katholikentage begannen, war die einer Minderheit, die sich organisiert hatte und dann in einer Gesellschaft, in der nach 1848 Freiheit kein prägender Wert mehr war, auf Geschlossenheit setzte.Das hat vielen den Zugang zum Wert der Freiheit verstellt, sie eher sensibel gemacht für deren Risiken - bis heute.Ich erfahre das, wenn manchen Katholiken nicht klar ist, daß auch innerkirchlicher Dialog keine Harmonieveranstaltung ist.

TAGESSPIEGEL: 1848 trafen sich in Mainz 1500 Katholiken, 1949 in Bochum waren es 500 000.Was ist das Ziel: Kadertruppe oder Massenkirche? Sie haben sich mal sehr geärgert, daß aus Deutschland Meldungen nach Rom gingen, die den Eindruck erweckten, hier sitze eine Volkskirche im Speck.Soll die Kirche eher gegen den Strom, als kleine, gesundgeschrumpfte Schar ins 21.Jahrhundert gehen? Sie sind doch gerade froh, aus so einer Nische heraus zu sein!

MEYER: Was Sie gesagt haben, unterschreibe ich.Aber ich ziehe nicht die Konsequenz, wir sollten in einen frommen Turm gehen.Kontur ja, Mauer nein.Zum Beispiel "Schwangerschaftsberatung": Wo ist das Zeugnis deutlicher? Wenn die Kirche mit Nachdruck den Schutz ungeborenen Lebens vertritt und sagt: "Wir werden mit jeder Mutter, die zu uns kommt, um das Leben ihres Kindes ringen" - scheint mir das glaubwürdiger, als zu sagen: "Wir ziehen uns auf eine Position zurück, die das Nein zum Ausdruck bringt, weil es eine Mehrheit gibt, die das Entscheidungsrecht der Frau für höherrangig hält".

TAGESSPIEGEL: Welche Themen der Saison waren sonst noch wirklich wichtig: die Laieninstruktion? Holocaust? Kirche und Grüne? Sexualität? Zölibat?

MEYER: Die Debatte um die Laieninstruktion hat mich wütend gemacht, weil sie wenig Realitätsverständnis offenbarte.Als wären die brennenden Probleme der Kirche, die uns auf diese Aktualität des Laienengagements stoßen, vorübergehend! Als könnten wir uns allein auf Modelle früherer Zeiten verlassen.Ein großer Irrtum.

TAGESSPIEGEL: Wenn man mit Kirchenleuten der Dritten Welt darüber spricht, sagen die: Rom ist weit, wir machen so weiter.Hat die Aufregung auch etwas mit den Deutschen zu tun?

MEYER: Wir sind wohl die einzigen, die sich da so aufgeregt haben.Die anderen taten, als seien sie gar nicht gemeint.Das ist sicher klug.Das ist in Deutschland schwer möglich.

TAGESSPIEGEL: Wie halten Sie als Sprachwissenschaftler es aus, daß offizielle kirchliche Verlautbarungen in einer so abweisend-spröden Sprache ergehen?

MEYER: Die katholische Kirche hat einst die Tradition des römischen Rechts aufgenommen und sich nutzbar gemacht..Damit ist sie auch Erbin eines legalistischen Denkens geworden: hat eine Sprache ausgeprägt, dafür sind Passagen der Laieninstruktion ein schockierendes Beispiel, die Menschen heute verletzt.Ein anderer Punkt ist, daß durch die Liturgiegeschichte und den Umgang mit der Heiligen Schrift eine Sprach-Tradition von hohem Wert entstanden ist.Für Menschen, die das vergleichen mit heutigen Elementen sprachlicher Unkultur, ist es bitter zu sagen: Wir geben auf, was uns teuer ist, um verständlich zu sein - ein schmerzhafter, schwieriger, unverzichtbarer Prozeß.

TAGESSPIEGEL: Wenn man aber für "Heil" und "Gnade" dann Begriffe der Sozialpädagogensprache einsetzt, entsteht wieder eine andere Formelhaftigkeit.

MEYER: Man muß sich erinnern, daß die Bibel auch Literatur ist! Wir müssen uns mit der Sprache moderner Dichtung befassen.Soziologensprache verstehen nur Insider, das erfüllt die Leute eher mit Abscheu, sie empfinden das als Sprache des Hochmuts.

TAGESSPIEGEL: Herr Meyer, wo über Sie geschrieben wird, fallen solche Adjektive: asketisch, steif, leise.Kein Medientyp.Wie lebt ein Politiker mit Innenleben?

MEYER: Ich glaube, das Bild der Öffentlichkeit von Politikern ist sehr oberflächlich.Auch den angeblichen Routiniers (wenn man sie näher kennenlernt) kann plötzlich etwas sehr wichtig sein, was in Karriere-Kategorien eher stört.In manchen Situationen wünscht man sich vielleicht, einem mediengängigen Typ zu entsprechen.Aber wenn man darauf setzt, der zu sein, der man ist, prägt man ein Profil aus, an das sich die Leute gewöhnen.Sodaß mit den Jahren der Eindruck entsteht: Wenn du die Chance hättest, ein anderer zu werden und wärest so töricht, das zu tun, würden sich Freund und Feind enttäuscht von dir abwenden.Also, insofern: bin ich nun halt der, der ich bin.

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