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"Notturno" heißt der neue Film des Bären-Gewinners Gianfranco Rosi ("Seefeuer"), der an der syrischen Grenze spielt und in Venedig uraufgeführt wurde.

© La Biennale di Venezia/dpa

Tagebuch von den Filmfestspielen Venedig (6): Am Himmel rote Flammen

Krieg und Kino, Srebrenica, die Sowjetunion, Syrien: In Venedig laufen neue Filme von Jasmila Žbanic, Andrei Kontschalowski und Francesco Rosi.

Von Andreas Busche

Der Krieg ist auf dem Filmfest Venedig allgegenwärtig. Ein schwerer Jahrgang, immer wieder findet der Krieg seinen Weg zurück in den Wettbewerb um den Goldenen Löwen. Gleich zu Beginn mit Jasmila Žbanics Srebrenica-Drama „Quo Vadis, Aida?“, am Dienstag dann mit dem Beitrag des 83-jährigen Andrei Kontschalowski, „Dear Comrades!“, die leider arg konventionelle Dramatisierung eines von der kommunistischen Partei vertuschten Arbeiteraufstands 1962.

Der italienische Regisseur Gianfranco Rosi wiederum erlebte als Chronist von Alltagsroutinen in Krisensituationen seinen Durchbruch; mit dem Lampedusa-Film „Seefeuer“ gewann er 2016 den Goldenen Bären. Für „Notturno“ hat er im Grenzland zwischen Syrien und Kurdistan gefilmt. Seine Bilder sind vom Krieg infiziert, auch wenn Waffen nur bei der Entenjagd zum Einsatz kommen.

„Notturno“ interessiert sich wie schon „Seefeuer“ recht wenig für seine beschädigten Protagonisten, der Junge Ali bekommt als einziger einen Namen. Die Intimität der Bilder irritiert, weil der Regisseur gleichzeitig stets Distanz zu den Menschen zu suchen scheint.

Das aber hat wenig mit Respekt zu tun, eher fühlt man sich an eine Ästhetik der Magnum-Fotografien erinnert. Der Krieg wird zum Tableau: Ein Esel steht unbewegt auf einer nächtlichen Kreuzung, Flammen färben den Himmel über einer Schilflandschaft rot.

Wie sich die Bilder auch zum Krieg verhalten können, davon bekommt man in den Szenen aus einer psychiatrischen Klinik eine Ahnung. Patienten proben ein Theaterstück über ihre verlorene Heimat, im Hintergrund laufen Aufnahmen aus dem zerstörten Syrien: Militärcoups, zerstörte Heiligenstätten, Panzer in den Städten. Haben Bilder auch eine therapeutische Wirkung?

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Das Verhältnis von Kino und Krieg ist so alt wie das Kino selbst. Der Dokumentarfilm „Guerra e pace“ von Martina Parenti und Massimo D’Anolfi (in der Reihe „Orizzonti“) untersucht die Beschaffenheit des bewegten Kriegsbildes bis in die Gegenwart, vom Filmarchiv bis ins Militärarchiv der französischen Streitkräfte, wo Soldatinnen in „visueller Kriegsführung“ geschult werden. Heute sind Handybilder aus Kriegsgebieten die wichtigsten Dokumente. Aber sie stören auch die militärische Ordnung, weil sie den Propaganda-Apparat umgehen und sich direkt an uns wenden.

„Das Kino ist brutal“, meint einer der Archivare in „Guerra e pace“. Das frühe Kino blickte dem Tod auf den Schlachtfeldern noch direkt in die Augen. Vielleicht ist darum das eindrücklichste Kriegsbild beim Filmfest Venedig kein Frontfoto, sondern die Wand voller Buntstiftzeichnungen in „Notturno“: IS-Kämpfer, blutende Mütter, abgetrennte Köpfe. Die Kinder, Überlebende des Bürgerkriegs, haben sich das Trauma von der Seele gemalt, ein Junge erklärt stotternd sein Bild. Das ist der wahre Horror.

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