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Die Schriftstellerin Anna Katharina Fröhlich auf einem Foto von 2018.

© Imago/Sven Simon

Anna Katharina Fröhlichs Buch „Roberto und ich“ : Das innere Auge liest mit

Ein autobiografisches Kunststück: Anna Katharina Fröhlich schreibt in „Roberto und ich“ über eine außergewöhnliche Liebe und einen „Bund mit den Büchern“.

Von Carsten Otte

Stand:

Da wäre man gerne dabei gewesen, als Anna Katharina Fröhlich im Alter von 23 Jahren auf der Frankfurter Buchmesse den italienischen Verleger und Schriftsteller Roberto Calasso kennenlernte.

Fröhlich trat in einem „käfergrünen, bodenlangen, vielleicht aus einem Gardinen- oder Bezugsstoff genähten Wollkleid mit Damastmuster, Puffärmeln und einer Reihe grün glänzender Plastikknöpfe unter einem breitrandigen, ebenfalls grünen Filzhut“ auf und wurde dem offenbar beeindruckten Chef des renommierten Adelphi-Verlags vorgestellt.

Die junge Frau begriff die Messe als einen Jahrmarkt der Eitelkeiten, „wo man sich auf die Suche nach einer Liebe machte“, und nach einem kurzen Wortwechsel stand für sie fest, dass der damals 54-jährige Calasso erobert werden musste.

In „Roberto und ich“ erzählt Anna Katharina Fröhlich von einer Liebesgeschichte, die in einer anderen Epoche zu spielen scheint: Die Erzählerin und Hauptfigur ist von dem leidenschaftlichen Eigensinn angetrieben, sich der Welt der Literatur, schöner Formulierungen und verwegener Gedanken zu verschreiben. Selbst ein Studium der Philosophie in Mailand war der Autorin damals zu profan.

Wendepunkte des inneren Erlebens

Ihr Selbstbewusstsein ist so grenzenlos wie aus der Zeit gefallen: „Ich war schön, ging nicht zur Wahl, las keine Zeitung, interessierte mich nicht für die Moden und Marotten der Gegenwart, war Tochter eines Schriftstellers und Beute eines Heißhungers nach Büchern.“  

Für Fröhlich stand nach der ersten Begegnung im Oktober 1995 fest, dass Calasso „genau der richtige Mann“ war, „vor dem ich mit meinem Leben und mit meinen Lektüren prahlen konnte.“ Mit einem Augenzwinkern blickt sie zurück, aber auch mit dem beseelten Wissen, ein fast unwirkliches Liebesglück erlebt zu haben. Die Erinnerungen werden dabei keineswegs chronologisch ausgebreitet.

Sie fokussiert sich auf Wendepunkte des inneren Erlebens und entwickelt damit eine romanhafte Spannung. Detailreich schildert Fröhlich, wie sie Roberto in das elterliche Haus am Gardasee lockt und ihn mit einem belletristischen Überschwang beeindruckt. Ihr Wunsch ist es, „auf ähnliche Weise zu lieben wie die weiblichen Figuren von Proust und Balzac“.

Literarisches Eigenleben

Sie wird den Geliebten fortan oft auf Reisen begleiten. Das ist schön und schrecklich zugleich, denn immer ist die gemeinsame Zeit begrenzt. Die Schattenseiten der literarisch überhöhten Liebe werden jedenfalls nicht ausgespart. Calasso wird nicht nur als „Apologet des Eros“ beschrieben, sondern auch als Ehebrecher mit Sternzeichen Zwilling, „dessen zwiefache Natur zwei vollkommen verschiedene Persönlichkeiten in sich vereinigt. Diese Natur machte Roberto weltlich und geistig, unterhaltsam und abweisend, treu und untreu zugleich. Auf allen Gebieten seines Lebens herrschte Dualität.“

Die Angst vor dem Ende der Beziehung war in den Anfangsjahren immer präsent. Eifersucht und Momente der Einsamkeit begleiten Fröhlich ständig. Wie umgehen mit dem wachsenden Kinderwunsch? „Roberto und ich“ erzählt dennoch kein Ehedrama. Kurz wird erwähnt, dass Fröhlich und Calasso zwei gemeinsame Kinder haben, dass die Liebenden nicht nur bürgerliche Grenzen ignoriert haben, sondern dass sich über Jahrzehnte auch eine Art von Alltag entwickeln musste, der von räumlicher Distanz geprägt war.

Das Band, das die beiden aber fortwährend verband, war wohl wirklich ein „Bund mit den Büchern“, ein Gespräch über europäische und amerikanische Romane, über italienische Kunst und indische Mythen. So wird auch in „Roberto und ich“ ständig aus Werken der Weltliteratur zitiert. Der Stil dieser Erinnerungsreise ist mindestens so barock wie das prächtige Messegewand der Autorin, die längst ein literarisches Eigenleben entwickelt und Romane wie „Wilde Orangen“, „Kream Korner“ oder „Der schöne Gast“ veröffentlicht hat.

Was wohl Calassos Ehefrau sagt?

Selbstverständlich fragt man sich, was Calassos Ehefrau, die Schweizer Schriftstellerin Fleur Jaeggy, über dieses Buch sagt und was sie über Robertos Beziehung zu Anna Katharina Fröhlich denkt, die viel mehr war als eine Affäre. Tatsächlich blieben Jaeggy und Calasso bis zu seinem Tod im Juli 2021 verheiratet. Es gibt einige Rätsel und Fragezeichen, die in diesem Text eingeschrieben sind. Aber vielleicht entspringt diese Neugier just jenem Geist, der solchen Büchermenschen weitgehend fremd war und ist.

Für das innere Auge ist eine Grabplatte nicht undurchdringlich.

Anna Katharina Fröhlich in „Roberto und ich“

Unlängst hat Jaeggy den „Grand Prix Literatur“ erhalten, den mit 40.000 Franken höchstdotierten Literaturpreis der Schweiz. Vermutlich hat Fröhlich ihr gratuliert. Jedenfalls erfahren wir in „Roberto und ich“, dass Fröhlich und Fleur über den Ort der Grabstätte des geliebten Mannes gesprochen und sie sich für San Michele, Venedigs Friedhofsinsel, entschieden haben.

In der berückenden Schlussszene besucht Fröhlich den verwunschenen und von Calasso geliebten Ort, denkt über die Namen nach, die sie auf den Steinplatten liest. Welche Lebenswege sind wohl mit den Eckdaten der Toten verbunden?

„Für das innere Auge ist eine Grabplatte nicht undurchdringlich“, heißt es an einer Stelle. Mit dem inneren Auge einer Autorin, die durch Steine hindurchsehen möchte, durchmisst Anna Katharina Fröhlich ihre große Liebesgeschichte, porträtiert eine Verlegerlegende, schreibt selbst Literaturgeschichte und schafft das Kunststück, aus dieser Überfülle ein berauschendes Buch zu machen.

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