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Randnotiz für Passanten. Das umstrittene Ezra-Pound-Zitat auf dem Charlottenburger Walter-Benjamin-Platz.

© imago

Architektur und Antisemitismus: Alle Kultur ist Barbarei

Ist der Charlottenburger Walter-Benjamin-Platz ein „rechter Raum“? Vorschlag zur Befriedung einer Berliner Debatte.

Warum entfalten drei Zeilen des amerikanischen Dichters Ezra Pound (1885-1972), eingelassen in die Steinquader des Walter-Benjamins -Platzes in Berlin-Charlottenburg, eine Debatte, die weit über die Architekturszene Berlins hinausreicht? Weil sie genau dazu auffordern. Das Zitat hat die Architekturzeitschrift „Arch+“ im Sommer zum Anlass genommen, dem Platz das Potential eines „rechten Raums“ zuzusprechen. Und seinem Architekten, Hans Kollhoff, eine „antisemitische Flaschenpost“ vorzuwerfen. Die Frage, ob urbane Räume „rechts“ sein können, hat Architekten, Stadtplaner und Journalisten elektrisiert. Doch die Frage, was Pounds Zitat bedeutet und wie wir als städtische Gesellschaft damit umgehen sollen, ist offen geblieben.

Worum geht es in den drei Zeilen, die Hans Kollhoff, der Architekt, bei der Fertigstellung des Platzes, der im Jahr 2000 noch Leipzig-Kolonaden hieß, eingravieren ließ? Es handelt sich um den Beginn des „Canto XLV“, das Pound 1936 in Italien schrieb: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ Der Verfasser bleibt ungenannt, und die Tafel scheint kaum einem aufzufallen.

Für Ezra Pound waren „Die Cantos“, an denen er zwischen 1915 und 1967 schrieb, alles. Als er mit ihnen anfing, griff er auf Elemente verschiedener Kulturen zurück. In den ersten Teilen feierte er die Vielfalt, die Kultur weltweit hervorbringt, und antwortete auf die Nationalisierung der Kultur mit einem universalen Gedicht. Doch dies ist nur die eine Seite eines Werks, dessen andere die Barbarei ist. Denn Pounds Dichtung nahm seit Anfang der 1930er Jahre, als er nach Italien zog, einen neuen Ton an.

In den Mittelpunkt seiner „Cantos“ stellte er den unverhältnismäßigen Profit, den er zum Kern aller menschlichen Konflikte stilisierte. Seine Kritik am Wucher, den Pound mit dem italienischen Wort „usura“ bezeichnete, galt nicht mehr lombardischen Geldverleihern oder deutschen Fuggern. Es waren zunehmend Juden und die Vorstellung einer jüdischen Hochfinanz, die Pound für Hungersnöte, soziale Ungleichheit, Kriege und die Krisen des Kapitalismus verantwortlich sah. Und nicht nur der Wirtschaft, auch der Architektur drücke der jüdische Wucher seinen Stempel auf: Dort, wo „Usura“ mit unangemessenen Zinsen herrsche, könne keine gute Architektur gedeihen.

Was ist der Kontext dieses Gedichts? Als Pound 1924 nach Italien auswandert, wurde er schnell zum begeisterten Anhänger Mussolinis. Vor allem dessen Wirtschaftspolitik, die mit Landenteignung, Währungsaufwertung und dem staatlichen Aufkaufen von Unternehmen und Banken die Vision einer faschistischen Gemeinschaft auch ökonomisch herzustellen versuchte, hatte es Pound angetan. Der Dichter übernahm auch den faschistischen Kalender und datierte alle seine Briefe ab 1932 damit. Ein Jahr später empfing der „Duce“ Pound persönlich. Auch als der Schriftsteller nach Kriegsende literarisch wie persönlich verstummte, distanzierte er sich bis zum seinem Tode 1972 nicht vom Faschismus.

Ob Architektur „rechte Räume“ hervorbringen kann, wurde in den letzten Monaten überwiegend mit Nein beantwortet. Wer täglich den Walter-Benjamin-Platz überquert, das Straßenfestival besuchte, das die italienischen Gastwirte im Sommer auf der einen Ecke veranstalteten oder das Planschbecken erlebt, in das Kinder den Brunnen an der anderen Ecke umfunktionieren, würde nie auf diese Idee kommen. Kollhoff wählte das Zitat, als der Berliner Architekturstreit um die neue Gestalt der Hauptstadt in den 1990er Jahren auf dem Höhepunkt war und viele Architekten nach historischen Rechtfertigungen für ihre Entwürfe suchten. Wenige haben sich damals mit dem Kontext dieser Legitimationsstrategien beschäftigt. Kollhoff verteidigte das Zitat in Interviews weiterhin damit, dass es die Bedingungen des Konsum- und Finanzkapitalismus konkret benenne.

Doch die Verhältnisse haben sich geändert. Wir müssen in Zeiten, in der rechtsradikale Positionen für manche einen Ausweg aus den Problemen der Globalisierung zu liefern scheinen, antisemitische Übergriffe sich häufen und die Synagoge von Halle zum Ziel eines Anschlags wird, solche Texte erst recht beim Namen nennen – und sie mit unseren Antworten konfrontieren.

Walter Benjamin selbst, der unweit des Savignyplatzes zur Schule ging und in seiner „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“ wunderbare Erinnerungsskizzen entwarf, gibt sie uns an die Hand. Er hat wie Pound Zeit seines Lebens über die Entstehungsbedingungen von Kultur nachgedacht. Sein letzter Text aus dem Jahr 1940, die berühmten Thesen „Über den Begriff der Geschichte“, lassen sich heute auch als Antwort auf Pounds Gedicht von 1936 lesen. Einmal heißt es: „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.“ Benjamin selber hatte dabei große geschichtliche Brüche vor Augen. Genau diese Ambivalenz kennzeichnet auch Pounds „Cantos“. Deshalb gehören Benjamins Zeilen unter Pounds Zitat auf den Boden.

Hilfreich wäre eine öffentliche Anhörung, zu der das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf einladen könnte. Hilfreich wäre die Kooperation mit dem Architekten des Benjamin-Platzes, Hans Kollhoff, dem das Urheberrecht über die Platzgestaltung zusteht. Doch vor allem brauchen wir den öffentlichen Protest der Stadtgesellschaft, die ein antisemitisches Zitat, so unauffällig es daherkommt, nicht akzeptiert. Mit Benjamin auf Pound zu antworten, wäre der Weg, das Zitat dort zu lassen, wo es ist, aber durch Namen und Datum als Dokument genau jener Zeit kenntlich zu machen, der Walter Benjamin zum Opfer fiel.

Ulrike von Hirschhausen lehrt Europäische und Neueste Geschichte an der Universität Rostock.

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