
© NDR/Boris Laewen
ARD-Eventserie „Schwarzes Gold“: Ölrausch in der Lüneburger Heide
Revolverhelden, schurkenhafte Großbauern und eine toughe Heldin machen aus dem Historienstoff über den deutschen Ölboom um 1900 einen Heimatwestern. Die Unwahrscheinlichkeitsskala der Handlung? Nach oben offen.
Stand:
Gerade wollte man aufatmen, in der Hoffnung, dass die deutschen Fernsehmacher nach Oktoberfest- und Mozart-Serie langsam wirklich jeden saftigen Historienstoff verwurstet hätten, da kommt schon die nächste Kostümshow um die Ecke.
Wer noch aus seligen Fernsehmuseumszeiten das texanische Dallas samt fiesem Ölbaron J. R. Ewing für das Serienmekka der Ölgier hält, wird sich nun den Namen Wietze einprägen müssen.
In diesem Kaff am Rand der Lüneburger Heide ereignet sich nicht nur in „Schwarzes Gold“, sondern auch in der Realität um 1900 ein Ölförderboom, von dem heute noch das dort ansässige Deutsche Erdölmuseum erzählt.
Schon 1858 gelingt in Wietze eine der weltweit ersten erfolgreichen Erdölbohrungen. In einem sonst von ärmlicher Heidebauernwirtschaft dominierten Landstrich. Bis in die 1960er Jahre prägt die Erdölindustrie den anwachsenden Ort, und zwischen 1900 und 1920 liefert das Heidedorf, das Arbeiter von überall her anwirbt, bis zu 80 Prozent der gesamten deutschen Erdölförderung.
Wenn das nicht mal ein überraschender deutscher Serienstoff ist! Wie einst Jack London und Charlie Chaplin, die das dramatische Material menschlicher Geldgier am Beispiel des US-Goldrauschs am Klondike in Roman und Film verwandelten, haben auch Headautor Justin Koch und das Regieduo Nina Wolfrum und Tim Trachte das Blut-, Schweiß- und Tränen-Potenzial erkannt, das in der Ölsuppe schwappt.
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Die Gier nach Geld und Macht, Hoffnung auf den Durchbruch ländlicher Klassenhierarchie, patriarchaler Größenwahn, eine Familienfehde samt verbotener Liebe mit Capulet- und Montague-Appeal, Ausbeutung, Arbeitsmigration, Arbeiterstreik, Kulturclash von Agrar- und Industriegesellschaft, Ökofrevel, Bauernstolz, Männergewalt, Frauenwiderstand, frühe Umweltaktivisten und korrupte Polizei – in „Schwarzes Gold“ gibt es nichts, was es nicht gibt.

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Trotzdem entfaltet sich die Serienmechanik zu Beginn mit vielen Beautyshots lilafarbener Heidepanoramen in niedersächsischer Gemächlichkeit. Während das Drehbuch noch die Exposition durch den Totalabsturz der Bauernfamilie Lambert entwickelt, die erst den Schafstall (wieso Schafe und nicht ortstypische Heidschnucken?), dann den Hausvater und schließlich ihren erdölträchtigen Waldboden an den Großbauern Pape (Tom Wlaschiha, bekannt aus „Game of Thrones“ und „Stranger Things“) verliert, stellt sich schon die bei Serien aus einheimischer Produktion übliche Vorhersehbarkeit des Plots ein.

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So eignet sich „Schwarzes Gold“ mitsamt der aufwendigen High-End-Ausstattung und den pittoresken Fachwerk- und Reetdach-Ansichten aus dem Museumsdorf Hösseringen im Landkreis Uelzen, einem der Hauptdrehorte, allerliebst als beruhigendes Unterhaltungsfutter zum Ende eines sorgenvollen Jahres.
Was die Schauwerte angeht, wird die Saga um Johanna Lambert (Harriet Herbig-Matten, bekannt aus „Maxton Hall“), einer armen Bauerntochter, die sich im Kampf gegen den skrupellosen Patriarchen Pape zur Jeanne d’Arc der Ölarbeiter mausert, erst richtig sexy durch die Hüte. Das Regieduo Wolfrum und Trachte hat sich offenbar Andreas Prochaskas Alpenwestern „Das finstere Tal“ von 2014 gut angeschaut und erkannt: Coole Westernhüte sind die halbe Miete.

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Hans Zimmers musikalischer Westerntouch
Mitsamt dem von Hans Zimmer und Aleksey Igudesman mit Westerngitarren, Mundharmonika-Motiven und Akkordeonklängen auf Countryfolk getrimmten Score, den für das Westerngenre typischen Landschaftspanoramen und klassischen Showdown-Einstellungen der Pistoleros nimmt sich die Heide, ein beliebtes 50er-Jahre-Heimatfilmmotiv, doch gleich viel internationaler aus. Sogar einen Postkutschen – äh, einen Ölkutschen-Überfall gibt es.

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Dass die für die Produktion federführende ARD-Anstalt, der Norddeutsche Rundfunk, dem eigenen Lokalkolorit in der Sprache der Protagonisten so wenig zutraut, ist ein deutliches Manko. Jessica Schwarz als verhärmte Bäuerin Martha Lambert und Lena Urzendowsky als von Zwangsverheiratung bedrohte Großbauerntochter Luisa Pape parlieren in feinstem Hochdeutsch, teils gar in heutigem Vokabular, ohne dass das nach subtiler künstlerischer Absicht klingt. Das kostet Authentizität und Atmosphäre.
Wenn man Publikum und Ensemble schon kein Heidjer-Plattdeutsch zumuten möchte, wie es um 1900 in Wietze jeder und jede Frau sprach, sind bei Historiensettings inzwischen oft Mischformen oder eine mit Akzent versehene Tonalität, in diesem Fall eine norddeutsche Sprachfärbung, State of the Art.

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In Fatih Akins Kinodrama „Amrum“ konnte man kürzlich erst erleben, wie viel Identität es einem Historienthema bringt, wenn die Schauspielerinnen ein paar Sätze in der Friesensprache Ömrang draufhaben. Im Alpenraum – siehe Matti Geschonnecks jüngstes ZDF-Historiendrama „Sturm kommt auf“ – ist man da schon lange deutlich selbstbewusster. „Schwarzes Gold“ schielt dagegen auch mit der Figur des britischen Unternehmers Tyler Robertson (Marton Csokas), der als Strippenzieher einer im Entstehen begriffenen Weltindustrie inszeniert ist, auf eine internationale Auswertung.
Worauf sich derzeit viele Drehbuchautoren und -autorinnen einigen können, das prägt auch „Schwarzes Gold“: ein feministischer Angang. Frauenfiguren, die handeln, die wüten, die töten und nicht nur lieben und leiden. Das entspricht zwar nicht den Realitäten um 1900, aber die Serie ist schließlich Kintopp aus dem 21. Jahrhundert. Da dürfen moderne Zugänge sein, auch wenn Johannas Leben als einziges weibliches Mitglied des Ölarbeiterlagers verwunderlich wirkt.
Hier trainiert der Arbeitsmigrant Jakub Mazurak (Slavko Popadic) die von der Mutter wegen ihrer Eigenmächtigkeit verstoßene Johanna im Boxen. Großbäuerin Elisabeth (Henny Reents) hat auf dem Pape-Hof bei den Finanzen die Hosen an. Und Sohn Richard (Aaron Hilmer), Johannas Jugendliebe, mimt als Gewalt verabscheuender Softie den niedersächsischen neuen Mann.
Es ist eine Gesellschaft im Umbruch, die „Schwarzes Gold“ erzählt, und dabei dramaturgisch gern mal auf die nach oben offene Unwahrscheinlichkeitsskala haut. Die Schießereien und das unterlaufene Waffenverbot unter den rauen Gesellen auf den Ölfeldern des Klein-Texas in Wietze, die sind historisch verbürgt.
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