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Auflauf im Berlinale-Palast: Bloß nicht auf den letzten Drücker

© dpa

Martensteins Berlinale (V): Arretierung für die Akkreditierung

Martenstein ist auf der Berlinale akkreditiert - aber so toll ist das gar nicht. Ständig verliert und verlegt er seine Karte. Das führt zu viel größeren Problemen, die - da ist sich Martenstein sicher - Auswirkungen darauf haben, wie er, ja wie alle Kritiker, Filme im Kino tatsächlich wahrnehmen. Nur soviel: Kalahari.

Jeder Tag beginnt damit, dass ich die Berlinale-Akkreditierung suche. Das ist ein Plastik-Kärtchen mit einem Foto darauf, welches man immer vorzeigen muss. Kein Kärtchen – kein Film. Jeden Tag sage ich mir: Steck das Kärtchen einfach immer in die gleiche Seitentasche. Dann findest du es. Der Tag vergeht, man greift immer wieder in diese Tasche, greift in jene Tasche, man holt das Kärtchen heraus, steckt es wieder hinein, trifft Leute, man redet, man isst, irgendwann ist der Mund trocken, folglich muss getrunken werden … das Leben, versteht ihr. Das Leben ist zu groß und wunderbar, um ständig auf ein kleines Kärtchen zu achten.

Viele hätten gerne eine Akkreditierung, ich habe eine. Ich müsste froh sein. Morgens, wenn ich das Kärtchen suche, bin ich nicht froh. Eigentum verpflichtet. Wann habe ich das Kärtchen zum letzten Mal gesehen? Doch wohl, als ich es zum letzten Mal vorzeigen musste. Was habe ich angehabt? Doch wohl den schlunzigen Mantel. Aber das Kärtchen ist in dem schlunzigen Mantel nicht zu finden, stattdessen finde ich eine unbenutzte Wertmarke für das Freibad in Stuttgart-Vaihingen.

Wenn ich um neun ins Kino will, muss ich mich um spätestens 8.20 Uhr auf den Weg machen, damit es nicht eng wird. Ich hasse das, wenn es eng wird. Deshalb will ich immer um acht Uhr zehn los. Dann muss ich nicht rennen. Aber jeden Morgen um acht Uhr zehn merke ich, dass ich das Kärtchen nicht habe. Um genau 8.25 Uhr finde ich mein Kärtchen. Das ist der allerletzte Termin. Meistens steckt das Kärtchen in einer Manteltasche, von deren Existenz ich bis zu diesem Moment nichts geahnt habe.

Darf ich ganz offen sein? Ein anderes Problem besteht darin, dass ich kurz vor dem Film immer, und immer ganz plötzlich, auf die Toilette muss. Ich habe es eigentlich im Griff, ich meine, ich bin nicht inkontinent. Je knapper ich zeitlich dran bin, desto dringender ist es immer. Ich bin kein Einzelfall. Auf den Toiletten der Berlinale ist, zwanzig Sekunden bevor sie die Kinotüren endgültig schließen und niemanden mehr hineinlassen, der Teufel los. Kritiker von internationalem Renommee drängen sich vor den Becken wie verdurstendes Vieh vor einem Wasserloch in der Kalahari. Ich glaube, dass diejenigen, die es nicht mehr schaffen, den Film besonders kritisch sehen. Wenn ich die Formulierung lese „der Film hatte Längen“, dann weiß ich, was gemeint ist.

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