
© dpa/Rolf Vennenbernd
Auch Zeitschriften haben eine Seele: Selbstständige Begleiter
Sie wollen nicht nur gelesen, sondern auch gut aufgeboben sein. Und sie vermehren sich in der Wohnung: Vom Leben mit Zeitschriften.

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Heute taste ich mich vor in das geheime Leben der Zeitschriften. Dazu muss ich gleich sagen: Hier gilt noch das gedruckte Wort. Zeitschriften kommen online nicht gut, ebenso wenig wie Bücher. Und mehr noch als diese Pappkameraden besitzen Zeitschriften die Eigenschaft, sich heimlich zu vermehren; während Socken ständig verschwinden, aber das ist ein anderes Thema.
Zuerst die Cartoons
Zum Beispiel der „New Yorker“. Er erscheint wöchentlich, kommt aber irgendwie öfter. Vermutlich hängt das mit der Zustellung aus Übersee zusammen. Mal ist keiner im Briefkasten - und dann eine ganze „New Yorker“-Familie. Ich schaue mir zuerst die Cartoons an, dann das Inhaltsverzeichnis, und in der Regel schaffe ich aktuell nur ein oder zwei Texte. Dann lege ich die Zeitschrift im Wohnzimmer ab, doch bald darauf - noch eine unwahrscheinliche Eigenart dieser Dinger - liegt die Ausgabe im Flur. Oder sie erwartet mich in einer Reisetasche.
Zwischen Bett und Tonne
Zeitschriften sind zäh und widerständig. Sie altern auch nicht wirklich. Im Schlafzimmer finde ich ein Heft mit herrlichen Fotos und Urlaubsgeschichten aus Griechenland. Ja, Rhodos ist „unglaublich“, nichts wie hin, und Meteora verbreitet „Magie“. Wie lange liegt dieses Exemplar schon hier? Hatte ich es nicht in die Papiertonne geworfen?
Einer der besten Cartoons der letzten Monate zeigt einen zornigen Gott mit den Gesetzestafeln, der ein skeptisch dreinblickendes Volk anherrscht: „Zeit für ein Update!“ Ich habe ja schon angedeutet, dass ich den „New Yorker“ eigentlich nur der Cartoons wegen lese.
Dank der oft langatmigen Buchbesprechungen erübrigt sich dann auch die Buchlektüre, und nach der Gastrokritik ist immer klar, wohin man nicht zum Dinner geht beim nächsten Besuch in New York. Kürzlich las ich über einen Italiener, wo das teuerste Glas Wein 98 Dollar kostet. No thanks!
Zeitschriften sparen Zeit und Geld. Gleichzeitig verlangen sie ihren Anteil von Zeit und Geld und Aufmerksamkeit. Sie ähneln in gewisser Weise Haustieren. Oder eher noch Pflanzen. Zeitschriften brauchen Pflege und Platz. Und nicht nur, dass sie regelmäßig Nachwuchs zeugen. Sie können auch eifersüchtig sein. „The Atlantic“ haben wir jetzt abonniert, auch weil der Titel nur monatlich kommt. Der „New Yorker“ ist darüber nicht glücklich: Die aktuelle Ausgabe ließ sich seufzend in die Badewanne fallen.
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