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Wie geht es weiter an der Volksbühne?: Auf der Suche nach der Zukunft

Ein mit Spannung erwarteter Kongress an der Berliner Akademie der Künste hat sich mit dem Mythos und der Zukunft der Volksbühne befasst. Was ist dabei herausgekommen?

Das Schlusswort hat Samuel Beckett: „Es geht nicht darum, ob wir scheitern werden, das steht außer Frage – sondern wie wir scheitern“, erklärt Berlins Kultursenator Klaus Lederer als letzter Redner des eineinhalbtägigen Kongresses „Vorsicht Volksbühne!“ in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Ein Satz, mit dem er sich offenbar auch schützen will: vor den turmhohen Erwartungen, die Theaterdeutschland jetzt, nach dem Rückzug von Chris Dercon, an ihn stellt.

Wie es weitergehen soll mit der Volksbühne, welche künftige Intendanz denkbar ist nach der Interimszeit von Klaus Dörr bis 2020, was die Volksbühne überhaupt ist und war, was sie sein kann und sein soll: Das sind hier drängende, teils leidenschaftlich diskutierte Fragen.

Wirklich konkrete Antworten hat natürlich niemand, weder auf dem Podium noch im Publikum. ie auch. Dazu sitzt der Schock „über das brutale Ende der Castorf-Ära“ (Klaus Dobbrick, Leiter der Abteilung Ton/Video an der Volksbühne) und über as in diesem Ausmaß unerwartete Versagen von Dercon noch zu tief. Suchende sind sie alle, mit dem Senator an der Spitze, der aus seiner Abneigung gegenüber Dercon nie einen Hehl gemacht hat, der aber auch keine „coole Roadmap in der Tasche hat“.

Für den zweitägigen Kongress nimmt er sich allerdings Zeit. Um zuzuhören und Stimmungen aufzunehmen, also um das zu tun, was Ex-Kulturstaatssekretär Tim Renner und der sich eisern über die Causa Volksbühne ausschweigende Regierende Michael Müller bei ihrer Dercon-Entscheidung für überflüssig hielten

Die Wunden sitzen noch zu tief

Interessant, wer nicht gekommen ist: Frank Castorf, der große abwesend Anwesende, einfach weil keine Diskussion über die Volksbühne auch nur fünf Minuten ohne ihn auskommt. Carl Hegemann, René Pollesch, Herbert Fritsch, große, prägende Schauspieler wie Martin Wuttke, Sophie Rois oder Milan Peschel: alle nicht da.Alexander Scheer soll zwei Stunden vor Kongressbeginn abgesagt haben. „Sie müssen Verständnis haben“, erklärt Christian Grashof, stellvertretender Direktor der Sektion Darstellende Kunst an der Akademie, „die meisten können einfach nicht. Die Wunden sitzen noch zu tief.“

Der große abwesend Anwesende: Ex-Intendant und Regisseur Frank Castorf.
Der große abwesend Anwesende: Ex-Intendant und Regisseur Frank Castorf.

© DPA/Tobia Hase

Und wer ist da? Festspiele-Intendant Thomas Oberender erinnert daran, was die Volksbühnenbewegung eigentlich war, die in Berlin mit der Freien Volksbühne noch ein zweites ikonisches Haus hervorbrachte. Nicht um billige Tickets ging es, sondern um eine andere Gesellschaft, man wollte „das Publikum neu gründen“. Teil des Problems, so Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters, sei der doppelte Volksbühnen-Mythos: die Castorf-Ära und die Epoche davor, mit Namen wie Erwin Piscator oder Benno Besson. Klar ist: Eine künftige Intendanz darf sich von diesem Erbe nicht einschüchtern lassen, sollte sich aber damit auseinandergesetzt haben. „Dass der Handstreich gelingen konnte“, sagt Wolfgang Engler, der ehemalige Rektor der Schauspielschule „Ernst Busch“ mit Blick auf die Dercon-Berufung, „hat auch damit zu tun, dass keiner die Traute hatte, Castorf zu beerben.“

Noch einmal wird ein Loblied auf Castorf gesungen

Ja, niemand hat Antworten – wenn es um die Zukunft geht. Da gleicht der Kongress einem Kometen, mit minimalem Spielraum nach vorne und riesigem Schweif nach hinten. Zur Vergangenheit, zum Mythos Volksbühne hat jeder was zu sagen, vor allem die, die ihn hautnah miterlebt haben: die Gewerke, vertreten durch Klaus Dobbrick oder Kostümdirektorin Ulrike Köhler. Sie erzählt vom „angstfreien Arbeiten“, das unter Castorf möglich war. „Natürlich konnten nicht alle mitbestimmen, unser Theater hat nie demokratisch funktioniert. Aber es gab diese Verlässlichkeit, weil jeder wusste: Alle tun, was sie können.“ Castorf als Ermöglicher, als einer, der die Zügel oft enorm lose ließ, aber dadurch unglaubliche Kreativität ermöglichte. Was wird jetzt geschehen mit all dieser Erfahrung? Wie lange bleibt so ein Organismus bestehen, wenn er nicht gefordert wird? „Wir warten nur darauf, wieder zu produzieren“, sagt Köhler, „es kann sofort losgehen.“ Der Blick geht also nach vorne, wobei nicht klar ist, „wo dieses Vorne eigentlich liegt in einer Zeit, in der so vieles zurückweist“ (Oberender). Khuon plädiert für einen genauen Blick, der nicht „alles mit einer These abfrühstückt“, Engler fordert, eine künftige Volksbühne müsse sich mit der Frage befassen, wieso in der Krise des Kapitalismus „alles Wasser nur auf die Mühlen der Rechten läuft“. FU-Gastprofessorin Evelyn Annuß hat die Petition „Zukunft der Volksbühne neu verhandeln“ initiiert, die 40 000 Mal unterschrieben wurde. Sie fordert kernig ein Beratungsgremium und vor allem: Zeit. „Der Lappen muss keineswegs um jeden Preis hochgehen.“ Daran entzündet sich der heftigste Streit: Wie soll die neue Spitze gefunden werden, wie öffentlich kann und darf das Verfahren sein, soll es eine einzelne Person sein oder ein Kollektiv?

Kleiner Schlagabtausch zwischen den Ex-Besetzern und Jochen Sandig

Die Gruppe Staub zu Glitzer, die die Volksbühne im Herbst besetzt hatte, kapert den Kongress mit zahlreichen Wortmeldungen; zudem sitzt Nils Bunjaku für die Gruppe auf dem Podium. Er muss sich von einem erregten Radialsystem-Gründer Jochen Sandig anhören, dass sie keineswegs die gentrifizierungskritische, postkoloniale und genderzentrierten Diskurse erfunden hätten. Bunjaku kontert, dass die Gruppe trotzdem etwas Neues getan, nämlich diese Diskurse „in Handlung gebracht“ habe. Hängen bleibt trotzdem, dass für Staub zu Glitzer der Prozess der Findung einer neuen Theaterleitung wichtiger zu sein scheint als das Ergebnis. Und dass, um mit Carl Hegemann zu sprechen, „die Verbindungslinie von Chris Dercon zu Staub zu Glitzer darüber läuft, dass beide keine Ahnung von Theater haben.“

Der Gescheiterte: Chris Dercon kam und kämpfte und ging.
Der Gescheiterte: Chris Dercon kam und kämpfte und ging.

© dpa/Paul Zinken

Wer Ahnung hat oder haben sollte, ist natürlich Klaus Dörr, der kommissarische Intendant. Doch ausgerechnet er flüstert nur ins Mikro, gibt sich sphinxhaft, will kein wirkliches Gespräch aufkommen lassen, sagt nur das Nötigste. Was auch verständlich ist, da will sich einer nicht aufs Glatteis führen lassen und keine Pläne vor der Zeit bekannt geben. Dörr hat das Haus in einem Moment höchster Not übernommen – er sollte eigentlich Geschäftsführer unter Chris Dercon werden – und ist froh, wenn er den Spielbetrieb überhaupt wieder zum Laufen bringen kann.

Interims-Intendant Klaus Dörr deutet an, dass Herbert Fritsch wiederkommen könnte

Der Grundkonflikt: Einerseits will man den Tim-Renner-Fehler nicht wiederholen und sich Zeit lassen für ein transparentes Berufungsverfahren. Andererseits muss aber möglichst schnell ein Spielplan her. Immerhin, und da wird Dörr doch etwas substanzieller, hat er mit den Regie-Protagonisten der letzten Jahre gesprochen. René Pollesch möchte nicht, dass seine Arbeiten mit Fabian Hinrichs wieder an der Volksbühne gezeigt werden. Dörr deutet aber an, dass eventuell Herbert Fritschs „Die (s)panische Fliege“ zurückkehren könnte. Der Wunsch, die großen Regisseure und Schauspieler der letzten Jahre wieder an der Volksbühne zu sehen, ist übermächtig und auf dem Kongress mit Händen zu greifen. Auch wenn keine konkreten Ergebnisse oder gar Namen zu erwarten waren, ist der Kongress am Ende doch mehr als eine Alibiveranstaltung. Er hat Köpfe durchgepustet, Konflikte strukturiert. Und ohne der Basisdemokratie am Theater das Wort zu reden, hat er gezeigt: Es rächt sich, bei einem Berufungsverfahren die Meinung der Mitarbeiter und die Stimmung in der Stadt zu ignorieren.

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