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Kultur: Auf jeden Fall Sex

Von Irland bis Israel: Die Berliner Schaubühne zeigt neue Dramatik

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Mit erstaunlicher Kondition schmatzt und lutscht die junge Rumänin Madalina (Lea Draeger) an einem phallischen Mikrofon. Später tritt Landsmann Bogdan (Rafael Stachowiak) hinzu und verschmiert das, was vom Billiglippenstift noch übrig ist, quer über ihr Gesicht. Dann legt sich Mady-Baby, so der Künstlername des hübschen Kindes, auf den Boden, grätscht die Beine und präsentiert ihren fleischfarbenen Netzstrumpfhosenzwickel.

Tatsächlich ist das Ersinnen szenischer Metaphern für Blow Jobs, schlechten Sex und die sexuelle Ausbeutung der gutgläubigen Frau durch den fiesen Mann eine der größten Herausforderungen, die Gianina Carbunarius Stück „Kebab“ an seine Regisseure stellt. Denn in jenem Werk, das die Schaubühne zum Auftakt ihres 7. Festivals der internationalen neuen Dramatik (F.I.N.D.) in deutschsprachiger Erstaufführung gezeigt hat, suchen drei jugendlich-hypernaive Rumänen in Irland nach den Verheißungen des Westens und finden den Straßenstrich und die Internet-Pornografie. Subtilität und Überkomplexität sind die Sache der 29-jährigen rumänischen Dramatikerin Carbunariu nämlich nicht.

Man sieht das Unglück schon in der dritten Aufführungsminute kommen, als Mady-Baby im Flugzeug nach Dublin zufällig neben Bogdan sitzt und außer der Vokabel cool auch die Information streut, ihr vorausgereister Freund Voicu (David Ruland) wolle für sie eine Tänzerinnen-Karriere anleiern.

Die einzigen, die nichts ahnen, sind die Bühnenfiguren. Sie brauchen 75 Minuten bis zum unschönen Ende. In Dublin angekommen, beginnt Madalina zunächst in einem Imbiss zu jobben, wobei sich der Kebab-Handel als metaphorische Fundgrube für die Warenhaftigkeit des Fleisches an und für sich erweist. Bald schickt Mady-Babys dumpfer, zu häuslicher Gewalt neigender Freund Voicu sie auf den Strich. Und als der Landsmann aus dem Flugzeug – Student der visuellen Kommunikation und in Voicus Weltverständnis damit hervorragend zum Porno-Regisseur qualifiziert – dazustößt, kommt es zu den erwarteten fatalen Verstrickungen: Die Frau wird benutzt, vom visuellen Kommunikateur real geschwängert und letztlich mit dem Blow-Job-Mikrofon hingerichtet.

Gianina Carbunariu hat „Kebab“ während eines Aufenthaltes am Royal Court Theatre in London geschrieben. Und man muss ständig an Thomas Ostermeiers Baracken-Hochzeit denken: „Kebab“ kommt als well-made play mit wohlkalkulierten Schockelementen daher. Der Regisseur der deutschsprachigen Erstaufführung, Enrico Stolzenburg, hat „Kebab“ genauso irritationsfrei besetzt, dafür aber gut gestrafft. Die Vorhersehbarkeitsmaschinerie schnurrt so forsch und unsentimental wie möglich ab; und dank dieser Maßnahmen bekommen die Klischees weniger Entfaltungsmöglichkeiten als in der Vorlage. „Kebab“ wurde letztes Jahr bei „F.I.N.D.“ in szenischer Lesung vorgestellt: Der schaubühneneigene Stückemarkt schlägt sich gern im Spielplan der folgenden Saison nieder.

Diesmal könnte das zu einem durchaus bemerkenswerten Repertoire führen. Denn die diesjährige F.I.N.D.-Reihe konzentriert sich mit Theatertexten aus Israel auf einen überaus interessanten Schwerpunkt. Die Gegenwartsdramatik hat in Israel einen anderen Stellenwert als in Deutschland. Nicht nur, weil sie durchaus als Forum der (politischen) Auseinandersetzung für ein breites Publikum gilt, sondern allein schon aufgrund der Tatsache, dass das Repertoire dort zu achtzig Prozent aus zeitgenössischer Dramatik besteht. Einen Kanon israelischer, hebräischer Klassiker gibt es nicht.

Die Stückauswahl der Schaubühne zeichnet die dramatische Entwicklungslinie über verschiedene Generationen nach: Sie beginnt mit „Mord“ des 1999 verstorbenen Hanoch Levin, eines der prominentesten israelischen Dramatiker überhaupt. Und sie endet bei den heute Dreißigjährigen: bei Ido Bornstein, der in seinem Stück „Hunger“ von Seminaren zur Persönlichkeitsentwicklung in Luftschutzkellern erzählt, und Yael Ronen, eine der viel versprechenden Stimmen der israelischen Jungdramatik. Ronen entwickelt ihre von frustrierten Single-Frauen, Soldaten, Terrorist spielenden Kindern sowie sexgierigen Fernsehmoderatoren und Attentatsberichterstattern bevölkerten Stücke gemeinsam mit ihrem jüdisch-arabischen Ensemble und schöpft ihr Material aus den Biografien der Beteiligten.

Was auf diese Art entsteht, ist gleichermaßen von politischer Brisanz wie von bösem, subversivem Witz: Ronens neues Stück „Reiseführer in das gute Leben“ wird von Barbara Weber als szenische Lesung eingerichtet, während „Plonter“ als Gastspiel des Cameri-Theaters Tel Aviv mit deutschen Übertiteln zu sehen ist.

Als neckische Festival-Beigabe haben der Schaubühne eng verbundene Autoren wie Richard Dresser, Händl Klaus, Falk Richter oder Marius von Mayenburg wieder Fünf-Minuten-Dramen geschrieben, die diesmal im zeitgeistigen Format des „Speed Datings“ verabreicht werden: Flirten gegen die Uhr.

„F.I.N.D.“ bis 1.4., „Kebab“ wieder am 5., 10. und 11.4. in der Schaubühne am Lehniner Platz.

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