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Harte Liebe. Vincent zur Linden und Moritz Treuenfels in „Das Vermächtnis“. Foto: Sandra Then

© Sandra Then

Auf Wiedersehen in New York: Berliner Theatertreffen eröffnet

Sieben Stunden und viele Jahre in der gay community in New York: Zum Auftakt zeigt das Residenztheater München „Das Vermächtnis“

Auf der Bühne geht das Licht an, das Spiel beginnt. Ein ungewöhnlicher Auftakt beim Theatertreffen. Keine Präliminarien, keine staatsministerliche Rede, Claudia Roth beehrt den Deutschen Filmpreis, der am gleichen Abend in Berlin verliehen wird. Und auch kein wegweisendes Intendantengrußwort. Matthias Pees hat draußen unter den blühenden Kastanien schon die Theatertreffen-Jury gelobt und keinen Zweifel daran gelassen, dass die Auswahl für das Festival auch in den nächsten Jahren von der hoch geschätzten Kritikertruppe vorgenommen wird.

Und dann kam Trump

Und noch etwas ist anders. Zur Eröffnung im Haus der Festspiele zeigt das Münchner Residenztheater „Das Vermächtnis“ von Matthew Lopez. Siebeneinhalb Stunden realistisches Erzähltheater. Nichts Performatives, Überschriebenes, kein Kunstwille, der sich in den Vordergrund stellt. Philipp Stölzl, der Regisseur und Bühnenbildner, beschäftigt sich geradewegs mit - es ist kaum zu glauben - Menschen und ihren Träumen und Abstürzen, und das mit traditionellen Mitteln. Schon verrückt, dass man das so betonen muss.

New York am Ende der Obama-Präsidentschaft. Liebe, Sex, Drogen, Freundschaftskonflikte, Karrierekämpfe, Selbstfindungsdramen in der schwulen Community. Ein reines Männerensemble, in dem Vincent zur Linden, der Jüngste, in einer Doppelrolle als Stricher und angehender Schauspielstar (das Theater selbst ist hier auch ein Thema unter vielen) auffällt.

Erst am Ende wird eine Schauspielerin auftreten, einzige Frau auf der Bühne: Nicole Heesters. Sie trägt die Bürde aller Mütter. Sie hat damals in der Epidemie (nicht Covid!) ihren Sohn durch Aids verloren. Irgendwie hat es der Autor mit den Müttern; er weist ihnen viel Schuld zu, überhaupt. Und die einzig wirklich unsympathischen Typen sind die geldgeilen Hetero-Söhne eines älteren Schwulen.

Die neue Bedrohung

Aids-Opfer geistern durch das Landhaus, das fast zur Hauptfigur wird. Die Trauer über die verlorenen Freunde und die Frage, was die Aids-Erfahrung heute bedeutet, da Republikaner in den USA queeres Leben bedrohen, zieht sich durch das 2018 in London uraufgeführte Stück. Ein Jahr später lief „The Inheritance“ am Broadway. Für das Theatertreffen ist „Das Vermächtnis“ schon durch die schiere Dimension eine gute Wahl. Dieses Theater macht sich nicht klein.

Es will Alltag zeigen. Zu den stärksten Szenen gehört die Auseinandersetzung mit einem superreichen schwulen Immobilienentwickler und Trump-Spender. Das zerreißt den Kreis der Freunde, aber dann wird das Thema schnell wieder abgeräumt. Witz und Schlagfertigkeit, schnelle Wechsel bestimmen den ersten Teil, während es nachher - grob - um die ganz großen Weichenstellungen geht. Selbstzerstörung oder Erlösung, Trennung oder Versöhnung.

Du kannst dich retten

Sehr amerikanisch: Du hast dein Leben selbst in der Hand. Du kannst es optimieren. Heilung ist eine Chance! Es ist eine Utopie nennen, was Matthew Lopez da ansteuert, oder auch nur Kitsch. Ganz unberührt aber geht man aus diesen heißen biografischen Wechselbädern nicht heraus.

Wer dabei an Serien denkt, liegt richtig. Matthew Lopez hat sich von E. M. Forsters Roman „Howards End“ inspirieren lassen, aber vor allem auch von der seriellen Schreibtechnik. Sein Stück teilt sich gut in neun oder zehn Folgen auf, das Personal ist fit für die Serie, das Setting, das Drama ist da und (viel zu viel) gesellschaftlicher Stoff. Die Aufführung zeige, dass Theater immer noch besser sei als Netflix, meint die Jury. Unsinn! „Das Vermächtnis“ entwickelt da eigene Kraft, wo das Theater den inneren Fernseher ausschaltet, der fast die ganze Zeit mitläuft.

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