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Kultur: Auferstanden aus der Truhe

Die DDR als Tiefkühlkost: Annett Gröschner bringt ihren Roman „Moskauer Eis“ auf die Gorki-Bühne

Es gibt viele Techniken, verderbliche Dinge zu konservieren. Man kann sie einkochen oder einfrieren, man kann sie einbalsamieren und in Pyramiden endlagern oder ausstopfen und ins Museum stellen. Oder man jagt die Geschichte durch den Fleischwolf der Regression und lässt gelebtes Leben zum RTL-tauglichen Show-Format schrumpfen, bis von der Vergangenheit nur noch ein paar Schlager und alberne FDJ-Kostüme übrig sind.

Annett Gröschner hat eine andere Technik gefunden, lebendige Momente aufzubewahren: Sie schaut sehr genau hin und dann schreibt sie auf, was sie gesehen und gehört hat. So entstehen Reportagen, Essays, historische Momentaufnahmen und bisher ein Roman („Moskauer Eis“), der jetzt im Studio des Maxim Gorki Theaters in einer Adaption auf die Bühne kommt. „Ich finde, dass es nur zwei Arten von Autoren gibt: solche, die recherchieren, und solche, die nicht recherchieren. Ich gehöre auf jeden Fall zur ersten Sorte. Ich habe sehr viel in Archiven gesessen und endlos Akten gelesen, Material abgegrast. Diese papierene DDR hat mich fasziniert, auch weil man in der DDR vor der Wende in viele Archive gar nicht reinkam. Das war das Geheimwissen der Macht“, sagt sie.

Viele ihrer Recherchen setzen sich mit DDR-Geschichte auseinander, aber weil sie lieber den Nahaufnahmen der Alltagsgeschichte traut als den ideologischen Großbehauptungen, taugen ihre Texte weder für kuschelige Ostalgie noch für die Rhetorik der Abrechnung. Eine Recherche über Aufbau und Demontage des ersten deutschen Kernkraftwerks in Rheinsberg („Erinnerung an eine strahlende Zukunft“) oder die Geschichte des 1.FC Magdeburg („Sieben Tränen muss ein Clubfan weinen“) eignen sich nicht für das Nachspielen der Schlachten des Kalten Krieges. Ein sehr spezieller Blick auf das Ende des Zweiten Weltkrieges entsteht, wenn Gröschner in einem Berliner Archiv einen Berg von Schulheften findet, in denen Kinder vom Prenzlauer Berg unmittelbar nach Kriegsende in Schulaufsätzen über ihre Nächte im Bombenkeller und die Erlebnisse im brennenden Berlin schreiben. Vor neun Jahren, also lange bevor die ideologisierte Debatte über Deutsche als Opfer des Bombenkrieges durch die Feuilletons tobte, veröffentlichte Gröschner dieses Fundstück aus dem Archiv („Ich schlug meiner Mutter die brennenden Funken ab“). Auch das: eine Großaufnahme eines Moments deutscher Geschichte. In der Aufmerksamkeit und Geduld der Wahrnehmung, im wachen Blick für seltsame Nebensächlichkeiten, in der subversiven Demontage eingeschliffener Wahrnehmungsraster erinnern Gröschners Texte an die Endlosrecherchen, die Gabriele Goettle regelmäßig in ihren Büchern und der taz veröffentlicht.

„Lieb gewordene Mythen zu torpedieren, macht mir Spaß. Ob das Ost- oder Westmythen sind, ist mir völlig egal. Die Geschichte des westdeutschen Terrorismus interessiert mich genauso wie zum Beispiel Protokolle von Berliner DDR-Grenzsoldaten, die festhalten, wie sie unmittelbar nach dem Mauerbau von Westberlinern beschimpft worden sind. Das hat etwas Bizarres“, erzählt sie. Das spöttische Unterlaufen klischierter Geschichtsbilder und das Fixieren einzelner Momente sind gleichzeitig Motor und Stoff von Gröschners erstem Roman. „Moskauer Eis“ handelt von einer Familiendynastie von Tiefkühl-Ingenieuren und vom Alltag der DDR von den Sechzigerjahren bis zur Wiedervereinigung – ein Plot, in dem sich Mentalitätsgeschichte skurril und komisch bricht.

„Im Prinzip konnte man alles einfrieren“, grübelt die Ich-Erzählerin Annja, die Tochter eines Tiefkühl-Forschers, „Muttermilch, Tote, Erbsen, Bohnen, die ganze DDR-Landwirtschaft, Marmor, Akten, überhaupt hätte man die ganze ehemalige DDR mit einer Kühlzelle überbauen und konservieren können.“ Womit dieses seltsame kleine Land dann endgültig zu einer großen Installation, zu einer Art Kunstwerk geworden wäre. Dass der vor vier Jahren erschienene Roman jetzt auf die Bühne kommt, freut die Autorin: „Man klopft die Texte noch mal ab auf ihre Gegenwärtigkeit.“

Das Timing ist gut gewählt. Während im Theater und der Berliner Kulturpolitik die Gereiztheiten zwischen Ost- und Westdeutschen wieder etwas schroffer ausbrechen, unterläuft Gröschners spöttische Erzählung die verhärteten Fronten. Die DDR – ein Fall für die Tiefkühltruhe. In der Kühlbox landet in Gröschners Roman auch der nach der Wende arbeitslose Kühl-Ingenieur, der sich aus Protest gegen die Zeitläufte schockgefriert, um so konserviert entweder auf den Untergang der Bundesrepublik zu warten oder sich als menschliche Eis-Bombe ins Weltall zu schießen.

„Moskauer Eis“, Studio des Maxim Gorki Theaters, Premiere heute um 20 Uhr.

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