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Ausstellung mit Anish Kapoor u.a.: Künstler erinnern im Bundestag an den Ersten Weltkrieg

Alle aus demselben Holz geschnitzt: Über dreißig internationale Künstler gedenken in einer Schau im Bundestag dem Ersten Weltkrieg.

Das Holz war billig. Es lässt sich nicht industriell verarbeiten, es ist versehrt. Verletzt wie viele der Soldaten, die im Ersten Weltkrieg an der umkämpften Front im Elsass standen, woher auch die Eichenstämme mit ihren Schusslöchern und Verfärbungen kommen. Über Umwege gelangten sie an den Künstler Volker-Johannes Trieb. Der fand es zu schade, das historisch aufgeladene Material für eine beliebige Skulptur zu verwenden. Dass die Eichenquader nun bearbeitet im Deutschen Bundestag stehen – als „symbolhafte Friedenszeichen“ –, verdankt sich vor allem Triebs Engagement.

Dreißig weitere Künstler aus Ländern, die in jenen Krieg militärisch involviert waren, sind in das Projekt eingestiegen. Darunter Stars wie der gebürtige Inder Anish Kapoor, Sean Scully, Günther Uecker, Hermann Nitsch oder Geta Brâtescu, die mit 92 Jahren noch während der Vorbereitungen zur Ausstellung verstarb. Ihr Studio hat die Arbeit der Rumänin, die im Kommunismus unterdrückt und deren Werk erst spät entdeckt wurde, als filmisches Vermächtnis zu Ende gebracht. Die Künstlerin reflektiert die Folgen des ersten globalen Krieges, die nicht bloß im elsässischen Hirtzbach bis in die Gegenwart reichen.

Bei den anderen Skulpturen der Ausstellung „1914/1918 – Not Then, Not Now, Not Ever“ schält sich oft rasch heraus, wer welchen Quader bearbeitet hat. Bei Uecker etwa strotzt die Oberfläche nur so vor eingeschlagenen Nägeln, die sich allerdings traurig zur Seite neigen. Wie ein Feld vertrockneter Blumen oder geknickter Lebensläufe. Ein anderes Werk ist mit blutroter Farbe übergossen – und auch ohne den Blick ins Begleitheft mit dem Foto eines bärtigen älteren Mannes, der sitzend seine Schüttkanne über das Holz hält, identifiziert man gleich Hermann Nitsch als Urheber.

Das Besondere: Jede Künstlerin und jeder Künstler hat einen knapp 30 mal 30 mal 30 Zentimeter großen Block für seine Arbeit bekommen. Gleichheit, unabhängig von der Prominenz des Einzelnen. Höchstens galt die Auflage, sich keinesfalls zu beschränken. So wird im Clubraum des Bundestags, wo die Werke auf ihren Transportkisten stehen, erst auf den zweiten, dritten Blick klar, dass alle aus demselben Material gemacht sind. Die Ergebnisse fallen so vielfältig aus, dass man den Quader oft gar nicht mehr erkennt.

Bei Anish Kapoor ist er ausgehöhlt, das roh behauene Innere leuchtet tiefrot wie eine Wunde. Tony Cragg hat das Holz für seine Tischskulptur „Destructure“ in drei weiße und drei naturbelassene Holzscheite gespalten, die sich theoretisch wieder zusammenfügen ließen. Man kann lange darüber streiten, ob dieses mehrteilige Ensemble nun ein besonders abstrakter oder ein eher seichter pädagogischer Verweis auf den gemeinsamen Ursprung aller Einzelteile ist.

Andere Künstler wie der 1974 in der Ukraine geborene Aljoscha fügen dem ursprünglichen Material noch etwas hinzu und verändern sogar seine Beschaffenheit. Aljoscha hat das Holz verbrannt, die Asche mit Acryl und rosa Ölfarbe vermischt und ein Wesen geschaffen, das im Kosmos des Künstlers unter „Biofuturismus“ firmiert. Von Politpropaganda hält er wenig, stattdessen sollen sich die teils fleischigen, teils schwerelosen Figurenfragmente über jede Art der Vereinnahmung erheben. Dass sie dennoch etwas über die Sinnlosigkeit des Tötens erzählen, das den Körper als reines Schlachtmaterial vernichtet, versteht sich von selbst.

Wieder andere Arbeiten reagieren unmittelbar auf das Thema. Bei David McCracken ist aus dem Block eine Kiste voll Holzwolle geworden, in die sich mühelos eine silbern schimmernde Bombe stopfen lässt. Berlinde De Bruyckere faltete für ihre Skulptur „Marquette Anderlecht“ Filz, der an die Schlafdecken von Lazaretten erinnert. Sean Scully hat einen kleinen Sarg geschnitzt und den immer selben Namen in mehreren Sprachen darauf verewigt: „The Disappearing Boys“, so der Titel, vermisst jede Gesellschaft; egal welcher Nation. Bei Jean Boghossian aus Armenien besteht der Klotz aus zwei gezackten Hälften, die sich nicht wieder lückenlos zusammenfügen lassen. Zu den zartesten Interventionen gehört die Arbeit von Huang Yong Ping. Sein Holzklotz ruht in einer Kiste auf dem Boden. Wer hineinschaut, auf den blicken starre Augen mit blauer, grüner oder brauner Iris zurück. Der chinesische Künstler hat die Löcher im Holz mit Puppenaugen gefüllt, die daran erinnern, was die Natur in den Kriegsjahren „mitansehen“ musste. Das tote Holz wird zum Sprechen gebracht. Ein kleiner Handgriff, dessen eindrückliches Bild im Kopf bleibt.

„1914/1918 – Not Then, Not Now, Not Ever“, Deutscher Bundestag, Reichstagsgebäude. Bis 6. Januar. Besichtigung im Rahmen einer kostenlosen Führung, buchbar über www.art-culture-international.de

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