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Kunstwerke

© Tsp

Austellung: Der Schrecken malt mit

Der Minimalismus in der Kunst bleibt eine Konstante. Von Anbeginn in den 60er Jahren war er beliebt für seine Vieldeutigkeit. Die Berliner Kunst-Werke interpretieren ihn in der Ausstellung "Minimal/Political" nun politisch.

Die Arbeit ist ein Affront, obwohl sie harmlos auf dem Boden liegt: ein kleiner, flacher Betonkubus in der Mitte der Ausstellungshalle, perfekt ausgestrahlt. Sobald der Besucher aber den Titel kennt, ahnt er die Geschichte dahinter und ist entsetzt. Die Bezeichnung „Burial“ (Begräbnis) ist wörtlich zu nehmen, denn die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles hat in dem Betonblock eine Frühgeburt versiegelt, die ansonsten im Biomüll des Krankenhauses gelandet wäre. Stattdessen erhielt der kleine Leichnam einen steinernen Sarg und reist nun als Kunstobjekt um die Welt. Der Quader trägt schwer an seinem Gewicht; seine Maße sind in Zentimetern nicht zu berechnen. Der Schrecken zählt mit.

Dieses Überraschungsmoment ist allen Arbeiten der Ausstellung „Minimal / Political“ in den Kunst-Werken zu eigen. Nur auf den ersten Blick beschreiben sie abstrakte Formen, Kreis, Quadrat, Dreieck, das typische Vokabular der Minimal-Art. Bei genauerem Hinsehen offenbaren sie jedoch eine Dimension, die sie über diese sich selbst genügende Kunstbewegung der sechziger Jahre hinauskatapultiert. Frank Stellas Diktum von 1966 „What you see is what you see“, mit dem sich die Minimalisten jeglicher inhaltlichen Auseinandersetzung entzogen, ja die politischen Debatten der damaligen Zeit demonstrativ ignorierten, gilt bei der Folgegeneration nicht mehr. Sie ködert den Betrachter mit den coolen Formen, die heute in der Alltagsästhetik, im Möbeldesign, bei Hifi-Geräten und Parfümflacons angekommen sind, um ihn über optisches Wohlgefallen zu bitteren Erkenntnissen zu bringen.

Ein Sujet nach dem Geschmack von Klaus Biesenbach, dem Mitbegründer der Kunst-Werke und heutigen Kurator am Museum of Modern Art in New York. Für viele seiner Ausstellungen, etwa „Die Zehn Gebote“, ist die Erzählbarkeit bezeichnend, das narrative Moment in der Kunst. Auch in „Minimal / Political“ transportiert jedes Werk eine Geschichte, wodurch ein stetiges Summen die Ausstellungsräume zu erfüllen scheint. Wer so viele kleine Dramen zusammenträgt, insgesamt 32 Arbeiten, inflationiert aber auch die Erschütterung und riskiert die Neutralisierung.

Als Alphabet des Post-Post-Minimalismus – der politisierte Minimal ist mindestens die zweite Wiederkehr dieser einst beinharten Kunst in sanfterer Form – eignet sich die Ausstellung jedoch allemal. Es reicht von dem algerischen Künstler Adel Abdessemed, der zwei perfekte Kreise aus Armeestacheldraht an die Wand gehängt hat, bis zu Aaron Young, der wie bei einem gigantischen Stundenglas Sand durch zwei Löcher in der Decke rieseln lässt. Tagelöhner haben ihn zuvor ins Haus geschafft. Am Boden bilden sie die geometrische Grundform eines Kegels. Die beiden Mittdreißiger stehen für jene jüngere Generation, die wieder politische Kunst macht, mit einer poetisch-melancholischen Note.

Doch schon in der Ursprungsphase des Minimalismus gab es Abweichler wie Hans Haacke und Dan Graham. In Haackes „Condensation Cube“ (1963 – 65) verdunstet oder kondensiert in einem Acrylglaswürfel Wasser je nach Außentemperatur. Dieses Sinnbild des ökologischen Kreislaufes widersprach vollkommen dem gestrengen Minimal-Regelwerk, der verordneten Statik. Grahams Café Bravo im Hof der Kunst-Werke – ein aus zwei ineinander verschränkten, 4 x 4 x 4 Meter großen Glas-Aluminium Würfeln gebildeter Pavillon – erfüllt hier bereits seit Jahren eine soziale Funktion.

Wichtigste Referenzfigur aber bleibt der Mitte der neunziger Jahre verstorbene Felix Gonzalez-Torres, der mit simplen Mitteln eine ganze Kulturkritik formuliert hat: Sein Papierhaufen aus weißen Blättern trägt den Untertitel „Passport“. Einerseits beschreibt er damit einen utopischen Ort, bei dem es keine Grenzen, keine Daten, keine Zuordnungen gibt, andererseits den schreckensvollen Zustand von Menschen ohne Papiere, von Staatenlosen.

Was die ersten Minimalisten geradezu panisch vermieden haben, gehört nun zur Voraussetzung der wiederaufgelegten Variante: der menschliche Faktor. Ob Mona Hatoum für ihren Stacheldrahtwürfel die eigene Körpergröße als Bezugsgröße nimmt oder Rosemarie Trockel ihre blau, rosa und gelb emaillierten Eisentafeln mit gewöhnlichen Herdplatten versieht – diese Kunst balanciert zwischen reiner Ästhetik und konkreter Bezüglichkeit.

Das drastischste Beispiel liefert Santiago Sierra, der afrikanische Flüchtlinge in Südspanien für einen Hungerlohn 3000 kubische Erdlöcher ausheben ließ. Aus der Luft gleicht seine minimalistische Landart-Skulptur einem Gräberfeld. Wie Teresa Margolles, Adel Abdessemed und Mona Hatoum lässt er Erfahrungen aus Krisengebieten in die „reine“ Kunst einfließen und verleiht ihr neue gesellschaftliche Relevanz. Der Minimalismus beginnt zu leben.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 25. 1.; Di-So 12-19, Do 12-21 Uhr. Katalog 29 €.

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