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Neue Schule für Fotografie: Berliner nehmen Ruhrgebiet in Augenschein

In Mitte ist ein neues Foto-Forum entstanden. Zum Auftakt sind Bilder aus Berlin und dem Ruhrgebiet zu sehen.

Bis zur Eröffnung dauert es noch eine Stunde. Dort weißelt ein Student noch schnell ein paar Löcher in der Wand, hier hängt ein anderer die letzten Fotografien auf. Teresa-Sophie Weickens „Fußspuren“ hängen schon. Für die Serie hat die 22-jährige Fotografiestudentin aus Friedrichshain Angehörige ihrer im westfälischen Unna lebenden Familie aufgenommen. Fragend, unsicher oder selbstbewusst, fast herausfordernd wirken die Gesichter. Zukunftsfroh, skeptisch? Der Blick ins Jahr 2020 ist das Thema der Ausstellung „20/20 – Kannst du es sehen?“, mit der die Neue Schule für Fotografie ihr Forum in der Brunnenstraße einweiht.

Zwölf Studenten aus Berlin und dem Ruhrgebiet sind auf die Suche nach Zukunftsaussichten gegangen – und nach der fremden Perspektive auf die Heimat der anderen. Berliner nehmen das Ruhrgebiet in Augenschein – und umgekehrt. „Sie sollten einen möglichst klischeefreien Blick entwickeln“, sagt Dozent Marc Volk, der das Projekt gemeinsam mit Hendrik Lietmann von der Ruhrakademie Schwerte durchgeführt hat. Volk unterrichtet seit der Gründung der Neuen Schule 2007 in der Brunnenstraße. Anders als etwa der Fotograf Bertram Kober, einer seiner neun Kollegen, gehört er nicht zu den Veteranen der berühmten Vorgängerinstitution, der Fotoschule Fotografie am Schiffbauerdamm, kurz FAS.

Die FAS war 2001 von Jörn Vanhöfen gegründet worden und musste 2006 Konkurs anmelden. Rund ein halbes Jahr später riefen einige ehemalige Dozenten, auch der heutige Vorsitzende Manfred Schmalriede, den Verein Internationale Akademie für Fotografie ins Leben, aus dem die Neue Schule für Fotografie hervorging. „Anders als in der eher spezialisierungsfreudigen FAS wollen wir spartenübergreifendes Können und Wissen in allen wichtigen Bereichen der analogen und digitalen Fotografie vermitteln“, sagt Volk. Dafür stehen den 84 Studenten in Mitte auf über 500 Quadratmetern zwei Dunkelkammern, mehrere Labore, ein großer Computerraum und Seminarräume zur Verfügung. Mit dem neuen Ausstellungsraum, dem 150 Quadratmeter großen Forum, haben sie jetzt eine Art Schaufenster bekommen. Hier sollen nun regelmäßig Ausstellungen stattfinden.

„Ich mag die familiäre Atmosphäre und empfinde die Betreuung durch die Dozenten als sehr engagiert“, sagt Teresa-Sophie Weicken, die nach ihrem baldigen Abschluss gern als Porträtfotografin arbeiten möchte – ob eher in Richtung Kunst oder Journalismus, weiß sie noch nicht. Sie glaubt aber, dass sie mit dem, was sie an der Neuen Schule gelernt hat, viele Möglichkeiten hat. „Und das bezieht sich nicht nur auf vernünftigen Bildaufbau oder Konzeptumsetzung, sondern auch darauf, nie aufzugeben“, sagt Weicken.

Zu ihrer Abschlussklasse gehört der 24-jährige Friedrichshainer Jakob Wierzba, der sich für „20/20“ kein neues Konzept überlegt hat, sondern seinen künstlerischen Schwerpunkt – vieldeutige Räume, die optisch in die Irre führen – auch im Ruhrgebiet weiterverfolgt. Seine Fotografien verzichten auf jede lokale Referenz und untersuchen sachlich-kühl das Nebeneinander von Vergangenem und Zukünftigem. Mit solch theoretisch-analytischer Fotografie möchte er sich auch nach seinem Abschluss weiterbeschäftigen – wenn mit der Bewerbung alles klappt, an der r Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.

Stärker dem Dokumentarischen verpflichtet als die eher assoziative Bildsprache der Berliner wirken die Fotos, auf denen die Studenten aus dem Ruhrgebiet das Berlin des Jahres 2020 imaginieren. Debbie Runkel hat in ihrer Serie „Dogtown“ Berlin aus der Sicht von Hunden fotografiert, auf rund 50 Zentimeter Augenhöhe. „Als ich bei meinen Besuchen unter anderem in Neukölln und Kreuzberg unterwegs war, hatte ich den Eindruck, dass diese Stadt in zehn Jahren komplett von Hunden regiert sein könnte“, sagt die 27-Jährige. Ihre trashigen, leicht unscharfen, verwackelten Fotos hat sie mit einer Ein-Euro-Kamera gemacht.

Ihre Kommilitonin Magdalena Spinn war für die Serie „Kinderlos“ auf zahlreichen Spielplätzen in Berlins Innenstadt unterwegs und hat Bilder von leeren Rutschen, Schaukeln und Sandkästen mitgebracht – fotografische Dokumente gegen das Klischee vom Prenzlauer Berg als Hochburg der Gebärfreudigkeit. Am eindrucksvollsten in der Reihe der Berlin-Bilder sind jedoch die „Habenichts“ betitelten Schwarz-Weiß-Porträts, die Nora Reschke von Obdachlosen gemacht hat. Berührende Momentaufnahmen, die Raum für Individualität und Würde lassen und vielfache Deutungen erlauben.

Nora Reschke und den anderen vier Projektteilnehmern aus dem Ruhrgebiet hat die Zeit in Berlin gut gefallen, zwischen den Studenten der beiden Schulen sind Künstlerfreundschaften entstanden. „Das entspricht unserem Ziel, Fotografen auszubilden, die über den Tellerrand hinausblicken können“, erläutert Marc Volk. Denn das sei die beste Garantie, um später erfolgreich auf dem hart umkämpften Markt der Fotografie arbeiten zu können – im Bereich Magazin oder Reportage genauso wie in der Mode oder der Kunst.

Forum der Neuen Schule für Fotografie, Brunnenstraße 188 –190. Die Ausstellung „20/20“ ist bis zum 24. Februar zu sehen, Di–Sa 14–18 Uhr, Eintritt frei. Infos auf www.kannstduessehen.de und auf www.neue-schule-berlin.com

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