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Blutbesprenkelte weiße Westen. Außenminister Ribbentrop verkündet am 22. Juni 1941 den Angriff auf die Sowjetunion. Foto: akg-images

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Auswärtiges Amt: NS-Vergangenheit - Furchtbare Diplomaten

Am Donnerstag wird die Studie über die Verstrickung des Auswärtigen Amtes in der Nazi-Zeit vorgelegt. Nach '45 wurden die Nazi-Täter protegiert, die Gegner diskriminiert.

Franz Rademacher war ein rechtschaffener Mann. Er kam aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater wollte, dass aus dem Jungen etwas wird und ließ ihn studieren. 1937 gelang Rademacher der Eintritt ins Auswärtige Amt. Drei Jahre später übernahm er die Leitung von D III; das war das Judenreferat in der neu gebildeten Abteilung Deutschland. Am 6. April 1941 marschierten die Deutschen in Jugoslawien ein, eroberten das Land im Handumdrehen und zerschlugen es. Serbien kam unter deutsche Militärverwaltung. Am 16. Oktober 1941 fuhr Rademacher nach Belgrad. Wieder in Berlin, erstattete er Bericht: „Die männlichen Juden sind bis Ende der Woche erschossen, damit ist das in dem Bericht der Gesandtschaft angeschnittene Problem erledigt.“

Léon Poliakov und Joseph Wulf haben Rademachers Belgradreise in ihrem Buch „Das Dritte Reich und seine Diener“ ausführlich dokumentiert. Rückblickend schrieb Wulf: „Ich habe 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht und das alles hat keine Wirkung. Du kannst Dich bei den Deutschen tot dokumentieren.“ Wenig später nahm sich Wulf aus Verzweiflung über die Wirkungslosigkeit seines Tuns das Leben.

Als der amerikanische Historiker Christopher Browning auf der Suche nach einem Dissertationsthema war, warnte ihn sein Doktorvater: Die Beschäftigung mit dem Auswärtigen Amt könne ihn die Karriere kosten. Browning ignorierte die Warnung und 1978 erschien seine Arbeit über das Judenreferat. Browning ist heute ein weltweit anerkannter Holocaustforscher, seine wichtigen Bücher sind alle ins Deutsche übersetzt worden. Nur bei diesem Buch dauerte es mehr als dreißig Jahre, bis eine deutsche Übersetzung herauskam.

Rademacher hatte 1941 in seiner Spesenabrechnung als Zweck der Reise „Liquidation von Juden“ angegeben. „Der Spiegel“ hatte das in einem Bericht über NS-Diplomaten im Auswärtigen Amt schon 1971 zitiert. Auch bei Browning findet sich das schaurige Zitat. In der Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ ist der Vermerk, mit Brownings Buch als Quellenangabe, wiederum zitiert. Jahrzehntelang hatte der offenherzige Umgang des Diplomaten Rademacher mit dem Judenmord niemanden interessiert. Diesmal ist das mediale Echo gewaltig.

Ausgangspunkt für die vorliegende Publikation war eine Kontroverse um die Nachrufpraxis des Auswärtigen Amtes. 2003 war Franz Nüßlein verstorben, der als Staatsanwalt im sogenannten Reichsprotektorat Böhmen und Mähren an zahlreichen Todesurteilen mitgewirkt hatte. Nach Kriegsende floh er nach Süddeutschland, wurde von den Amerikanern verhaftet und an die Tschechoslowakei ausgeliefert, wo er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 1955 wurde Nüßlein im Zuge der Entlassung von Kriegsgefangenen als „nicht amnestierter Kriegsverbrecher“ in die Bundesrepublik abgeschoben, wo er noch im selben Jahr in den Auswärtigen Dienst übernommen wurde. Seine einzige Auslandsverwendung führte ihn in das faschistische Spanien. Als Nüßlein starb, erhielt er den üblichen Nachruf in der Hauszeitschrift InternAA. Das „ehrende Andenken“, das das Amt ihm bewahren wollte, empörte eine frühere Mitarbeiterin. Sie gab den Anstoß dafür, dass Außenminister Fischer im September 2003 verfügte, ehemalige Mitglieder der NSDAP sollten künftig keinen Nachruf mehr erhalten. Der Erste, den das betraf, war im Jahr darauf Franz Krapf. Er war nicht nur Parteimitglied gewesen, sondern 1933 auch der SS beigetreten. Krapf war außerdem einer der fünf „ehrenamtlichen Mitarbeiter“ des Reichssicherheitshauptamtes im Auswärtigen Amt, er versorgte die Mörderzentrale in der Prinz-Albrecht-Straße laufend mit Informationen.

Diesem Mann wurde „das ehrende Andenken“ verweigert, was zu einer nie dagewesenen Revolte unter deutschen Spitzendiplomaten führte. Ein Botschafter, vormals Büroleiter von Hans-Dietrich Genscher, der den Minister in einem offenen Brief scharf angriff, musste zwangspensioniert werden. 76 Mitarbeiter des AA warfen Fischer „anmaßende Selbstüberschätzung“ vor. In der FAZ, dem Zentralorgan des Fischer-Bashing, schalteten prominente Altdiplomaten eine Todesanzeige für Krapf. Zahlreiche Leserbriefe erschienen, in redaktionellen Beiträgen wurde Fischers Erlass als „unsachlich, unanständig, unehrlich“ angeprangert.

Am Ende berief der Außenminister zur Klärung der Sachlage eine Historikerkommission, die nach vierjähriger Arbeit jetzt ihren Bericht vorgelegt hat. Die vier international angesehenen Experten waren unter dem Gesichtspunkt des Pluralismus ausgewählt worden. Unterstützt von einem Dutzend hochqualifizierter Mitarbeiter haben sie ein epochales Werk vorgelegt. Es ist eine bedrückende Lektüre, die Geschichte von Korpsgeist und Kumpanei, Naivität und Ignoranz, Lüge und Vertuschung, die Geschichte einer elitären Beamtenschaft, die jahrelang einer ungeheuerlichen Mord- und Vernichtungsmaschinerie zuarbeitete und dabei nicht selten sogar die Initiative ergriff. Deutsche Diplomaten organisierten und koordinierten beispielsweise in Bulgarien, Griechenland und der Slowakei die Deportationen in die Vernichtungslager.

„Das Amt und die Vergangenheit“ entlarvt lange gehegte Legenden. Das Auswärtige Amt war nicht nur kein Hort des Widerstands. Es war auch kein Refugium altgedienter Ministerialbürokraten, die unter einer schlechten Regierung ihr Land nicht im Stich lassen wollten und einfach weiter ihren Dienst verrichteten. Es gab auch keine gezielte Infiltration durch Nationalsozialisten, die war gar nicht notwendig. Kennzeichnend für das Auswärtige Amt war vielmehr die „Selbstgleichschaltung“. Zwischen den Beamten in der Wilhelmstraße und der Regierung Hitler herrschte ein antidemokratischer und ein antisemitischer Konsens, wobei die meist adeligen Diplomaten den traditionellen Oberschichtenantisemitismus vertraten, der weniger radikal war als der genozidale Erlösungsantisemitismus der Nationalsozialisten. Aber beide wollten den „Schandfrieden“ von Versailles überwinden und Deutschland wieder zur Großmacht machen. Nur in der Beurteilung des Kriegsrisikos gab es Differenzen.

Im Mai 1933 erließ die NSDAP angesichts der Flut von Aufnahmeanträgen eine Mitgliedersperre, die aber für Angehörige des Auswärtigen Amtes bald wieder aufgehoben wurde. In mehreren Wellen traten die Diplomaten der NSDAP bei, 1943 waren 573 von 703 Angehörigen des höheren Dienstes Parteigenossen.

Den zweiten und größeren Teil ihrer Darstellung haben die Autoren der Nachkriegszeit gewidmet. Hier treffen wir die „feinen Herren mit den blutbesprenkelten weißen Westen“ (Robert Kempner) fast alle wieder. Im März 1952 sind 49 von 75 Ministerialdirektoren, -dirigenten und Referatsleitern ehemalige Mitglieder der NSDAP. Männer wie Fritz Kolbe, die im Widerstand gewesen waren, wurden dagegen als Verräter stigmatisiert und ihre Wiederverwendung im Auswärtigen Dienst von den alten Wilhelmstraßen-Seilschaften erfolgreich hintertrieben. Es ist dieser zweite Teil des Buches, der ebenso schockierend wie verdienstvoll ist. Die Schrecken des Holocaust sind auch in ihren gewaltigen Dimensionen inzwischen im Wesentlichen bekannt. Auch die tiefe Verstrickung der Ministerialbürokratie und der diplomatischen Vertretungen war für Fachleute kein Geheimnis. Aber das Ausmaß der personellen Kontinuität nach 1945 und die Skrupellosigkeit, mit der sie durchgesetzt wurde, werden hier erstmals systematisch beschrieben. Dabei wird auch deutlich, dass es keine Rolle spielte, ob der Außenminister der CDU, der SPD oder der FDP angehörte.

Paradigmatisch ist der Fall Werner von Bargen. Der hatte unter anderem Judendeportationen in Belgien organisiert. Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages kam 1952 zu dem einstimmigen (!) Ergebnis, dass Bargen für eine weitere Verwendung im Auswärtigen Dienst nicht geeignet sei. Daraufhin wurde er eine Zeit lang offiziell beurlaubt und arbeitete als Dozent in der Attachéausbildung. Bereits 1954 wurde er reaktiviert und rückte zum stellvertretenden Leiter der handelspolitischen Abteilung auf. Bargen gehörte zu den schwer Belasteten, die im Ausland nur in arabischen Ländern eingesetzt wurden. So wurde er Botschafter in Bagdad. Anlässlich seiner Pensionierung erhielt der Mann, der einst das „Abschlachten“ von Juden begrüßt hatte, das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland.

Zu denen, die 2003 gegen die von Außenminister Fischer angeordnete neue Nachrufregelung protestierten, gehörte auch Ludwig Biewer, der Leiter des Politischen Archivs. In „Das Amt und die Vergangenheit“ wird er namentlich nur einmal erwähnt, als Verfasser eines ungewöhnlich inkompetenten Gutachtens. Dabei ging es ihm um die Verhinderung der Würdigung eines Diplomaten, der Widerstand geleistet hatte. Im Nachwort beklagen die Autoren in diplomatisch vornehmen Worten die Behinderung ihrer Arbeit durch die Archivleitung. Die Ausgliederung dieser Bestände aus dem Bundesarchiv ist eine der fragwürdigen Traditionen des Auswärtigen Amtes.

1947 begann der Prozess „The United States of America vs. Ernst von Weizsäcker et. al.“, der sogenannte Wilhelmstraßen-Prozess. Angeklagt waren neben anderen Ministerialen acht Diplomaten. Der ranghöchste war Staatssekretär Weizsäcker, der als Kriegsverbrecher zu einer vergleichsweise milden Strafe von zunächst sieben, dann fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 1950 edierte Robert Kempner die wesentlichen Dokumente des Prozesses. Auf dem Umschlag des Buches stand in großen roten Versalien: „Dieses Buch muss jeder Deutsche lesen!“ Ein Appell, der ungehört verhallte. Was das für Folgen hatte, wissen wir jetzt ganz genau. Und die Zeichen stehen gut, dass „Das Amt und die Vergangenheit“ von vielen Deutschen gelesen wird. Hoffentlich sind auch ein paar Diplomaten darunter.

Christopher R. Browning, Die „Endlösung“ und das Auswärtige Amt. Das Referat D III in der Abteilung Deutschland 1940-1943, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, 320 Seiten, 49, 90€. – Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann, „Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“, Karl Blessing Verlag, München 2010, 879 S., 34,95 €. Das Buch wird am heutigen Donnerstag um 19.30 Uhr im Haus der Kulturen der Welt von Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier vorgestellt.– Ernst Piper lehrt Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.

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