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Die Jury beim Bachmannpreis 2021.

© privat

Bachmannpreis 2021: Wenn das Wünschen nur helfen würde

Anna Prizkau bevorzugt Tolstoi, Leander Steinkopf ironisiert das gute Leben, Fritz Krenn ist betont unzeitgemäß: Der zweite Tag des Bachmann-Lesens.

Es gehört zu den Vorzügen des diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Lesens, dass viele der Beteiligten mehr denn je darum bemüht sind, auch die Außenwelt in die Wettbewerbsblase hereinzuholen.

Das konnte man am ersten Tag verfolgen, als Friederike Mayröcker in Wien beerdigt wurde und der Juror Klaus Kastberger ihr zu Ehren vor der zweiten Leserunde am Nachmittag eines ihrer Gedichte vortrug. Überdies hatte er den gesamten Tag ein „Larifari“-Mayröcker-T-Shirt an.

Und das setzt sich am zweiten Lese- und Diskussionstag fort, da wiederum Kastberger ein von dem österreichischen Kabarettisten, Liedermacher und Maler Alf Poier gestaltetes Erdmännchen-Muku-Muku-Shirt trägt. Philipp Tingler hat in seinem Kleiderschrank ein altes Shonen-Knife-Band-T-Shirt (neunziger Jahre, japanischer Girl-Pop) gefunden.

Kracht- und Schubert-Zitate

Mara Delius mag den Anblick einer ewigen grünen Stricktasche vor sich auf den Tisch; und Vea Kaiser stellt irgendwann während der Diskussion über Leander Steinkopfs Text ein Buch gut sichtbar auf, nämlich, klar, Steinkopfs Berlin-Roman „Stadt der Feen und Wünsche“ aus dem Jahr 2018. Ob Leander Steinkopf das was nützt bei diesem Wettbewerb?

Seine Erzählung über eine neo-bürgerliche Hochzeit wird kontrovers besprochen, ist aber ein brav-biederes Stück Erzählprosa für gehobene Lifestyle-Magazine. Da hilft auch das Kracht-„Faserland“-Zitat am Ende nichts.

War schon der erste Tag bis auf Necati Öziris Vortrag ein eher durchwachsener bis schlechter, scheint sich auch an diesem Freitag zu zeigen, dass der 2021-Jahrgang einer der schwächeren in der Geschichte dieses Wettbewerbs ist.

Anna Prizkaus Kindheits- und Migrationserzählung „Frauen im Sanatorium“ ist da noch eine der besten: 19. Jahrhundert, großes Kino, viel Stoff, viel Farbe, eine gewollte oder ungewollte Helga-Schubert-Referenz („Alles wird gut“), leider mit Sätzen wie „Ich drückte die Lider fest zusammen“ (um jemand sehen zu können).

Tolstoi oder Dostojewski

Und vor allem nicht ganz so gut wie Prizkaus Videoporträt. Darin beantwortet die Autorin in ihrer Berliner Lieblingsbar vorgeblich angetrunken 25 Fragen, etwa Tolstoi oder Dostojewski?, und sie: Tolstoi. Oder was denken Sie beim Namen Ingeborg Bachmann? Und Prizkau: Paul Celan.

Der erst 25 Jahre alten Klagenfurter Autorin Verena Gotthardt kann man zugute halten, dass sie mit ihrem Heimattext stilistisch überzeugt hat. Er besteht aus einem tollen, ellipsenreiche Kurzsatzstakkato. Das Gegenteil davon ist Lukas Maisels Boy-meets-girl-Tinder-Erzählung, die vor Schlichtheit kaum in die Gänge kommt und weit entfernt von der prätentiösen Uneigentlichkeit eines Leif Randt und seines Romans „Allegro Pastell“ ist. Und obwohl die Jury von Fritz Krenns "virtuoser Literaturbetriebsetüde" (Insa Wilke) mitunter durchaus begeistert ist, fallen immer wieder Vokabeln wie "von gestern", "aus der Zeit gefallen" oder "unzeitgemäß".

In einer idealeren Bachmannpreis-Welt hätte Maisel sich formal etwas von Gotthardt abgeschaut und auch Krenn weniger formale Sorglosigkeit walten lassen, und schon wäre der Wettbewerb literarisch gut auf Höhe – und so gegenwärtig und mit der Welt verbunden wie lange nicht.

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