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Betonlektionen: Berlin lässt seine Baudenkmäler der Spätmoderne verkommen

Ob ICC oder Bierpinsel – an den Wahrzeichen der späten Moderne aus den sechziger und siebziger Jahren scheiden sich die Geister. Besonders in Berlin hat diese Epoche einen schweren Stand, galten ihre Bauten doch in der Ära des Senatsbaudirektors Hans Stimmann nicht nur als fatale Energieschleudern, sondern vielfach auch als städtebauliche Sündenfälle.

Dabei sind etliche Berliner Beispiele dieser Zeit längst Wahrzeichen: Was wäre Mitte ohne den Fernsehturm, der gerade seinen vierzigsten Geburtstag feierte? Und die Philharmonie, 1963 eröffnet, gehört zu Berlins international bekanntesten Bauwerken.

Etliche Bauten der späten Moderne sind mit 40 Jahren keineswegs im besten Alter und zeigen deutliche Zeichen von Midlife-Krise oder Verfall. Als sich die Besuchermassen bei der „MoMA“-Ausstellung in Scharen um Ludwig Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie schlängelten, war der marode Zustand des Hauses kaum zu übersehen. Die großen Fensterflächen sind unschön in mehrere Scheiben geteilt, und der Rost frisst sich immer tiefer in den Stahl. Bei den Staatlichen Museen hat man das Problem erkannt. Für dieses Jahr ist eine Schadenserhebung durch das Bundesamt für Bauordnung und Raumwesen geplant. Wann die Instandsetzung beginnen kann, ist offen.

Die Bauten der späten Moderne stellen die Denkmalpflege vor Herausforderungen. Das gilt für die energetische Optimierung ebenso wie für die Frage der Restaurierbarkeit der neuen Baumaterialien, besonders auch der Kunststoffe, die seit den sechziger Jahren verwendet wurden. Hier ist Grundlagenforschung gefordert – sonst droht in den kommenden Jahren die Entsorgung einer ganzen Epoche. Bisher gibt es kaum Restaurierungen, bei denen es gelang, Erscheinungsbild und Materialität zu erhalten.

Manch einem ihrer Gegner würde das Ende der späten Moderne vermutlich ein Lächeln auf die Lippen zaubern – doch bei Denkmalpflegern führt es zu Sorgenfalten auf der Stirn. So ist in Berlin der Bestand denkmalwerter Bauten der sechziger und siebziger Jahre noch nicht einmal ansatzweise erfasst. Für Berlins Landeskonservator Jörg Haspel fehlt es sowohl an wissenschaftlicher Forschung als auch an den notwendigen Kriterien für die Unterschutzstellung, aber vor allem am Personal, um sich dieser Aufgabe zu widmen.

Manchmal, so scheint es, fehlt es aber auch an Mut. So steht auch das ICC noch immer nicht unter Denkmalschutz. Dabei hat der silbrig schimmernde Bau im Futurismus-Look, der nach einem Entwurf von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte 1979 eröffnete, Berlins steile Karriere als erfolgreiche Messemetropole erst ermöglicht. Doch während die Berliner Politik seit Jahren öffentlich zwischen Sanierung und Abriss des ICC hin und her schwankt, schmuddelt der Bau weiter vor sich hin.

Keineswegs besser steht es um die Pop-Art-Architektur von Ludwig Leos „Umlaufkanal des Instituts für Wasser- und Schifffahrtstechnik der TU“ (1975/76) im Tiergarten. Unter Architekturfans ist die Riesen-Röhre seit Jahren eine Pilgerstätte. Aber die Zukunft des Instituts, das sich laut Haspel „in einem Besorgnis erregenden Zustand“ befindet, ist völlig offen. Und auch bei der Bauabteilung der TU weiß man bisher nicht, wie weiter mit dem Baudenkmal.

Wer genauer hinschaut, der entdeckt in Berlin einen ganzen Kosmos der späten Moderne. Erst kürzlich lenkte eine Ausstellung über Hermann Fehling und Daniel Gogel das Augenmerk auf diese bedeutenden Scharoun-Nachfolger, die mit ihren Instituten für die Max-Planck-Gesellschaft einen wichtigen Beitrag zur deutschen Wissenschaftsarchitektur geleistet haben. Die expressiv-organischen Formen ihrer Bauten wirken wie frühe Vorläufer des Dekonstruktivismus eines Frank O. Gehry oder einer Zaha Hadid.

Doch ihr bis heute atemberaubendes „Institut für Hygiene und medizinische Mikrobiologie der FU“ von 1974 am Teltowkanal in Steglitz sucht man vergebens auf der Berliner Denkmalliste. Ebenso wie das benachbarte Benjamin-Franklin-Klinikum (Architekten Curtis, Davis, Mocken), das 1967 seine Pforten öffnete. Stattdessen staut sich dort der Sanierungsbedarf in Millionenhöhe. Für die Denkmale und solche, die es werden sollten, bedeutet dieser berlintypische Vernachlässigungs-Schlendrian nichts Gutes.

„Berlin war bis zum Ende der DDR ein architektonisches und städtebauliches Schaufenster des Westens wie des Ostens“, sagt Landeskonservator Haspel. So prägen zahlreiche Bauten der späten Moderne bis heute das Stadtbild – doch sie werden dabei keineswegs so respektvoll behandelt wie Denkmale früherer Zeitabschnitte. Dabei ist Eile geboten, nicht nur weil ICC, Bierpinsel und Neue Nationalgalerie inzwischen in die Jahre gekommen sind oder gar zerbröseln.

Längst warten bereits neue Aufgaben für den Denkmalschutz. Denn auch der Druck auf die Projekte der „Internationalen Bauausstellung“ erhöht sich, mit denen Berlin in den achtziger Jahren für weltweite Aufmerksamkeit sorgte. Deutlich wird dies am Abriss der Wohnanlage von Oswald Mathias Ungers am Lützowplatz. Berlin ist einmal mehr dabei, sich auf Kosten seiner Baugeschichte selbst zu überholen. Die Zeugnisse der späten Moderne drohen dabei auf der Strecke zu bleiben.

Jürgen Tietz

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