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Ich bin ein Star, holt mich hier raus. Isabelle Huppert (links) spielt in Brillante Mendozas „Captive“ eine Geisel, die von muslimischen Terroristen monatelang durch die philippinischen Wälder getrieben wird.

© Berlinale

Berlinale: "Captive" mit Isabelle Huppert: Barfuß durch die Hölle

Der Regisseur Brillante Mendoza will im Wettbewerb mit seinem Entführungsfilm „Captive“ aufrütteln – und verliert sich im Dschungelcamp.

Die Erwartungen waren hoch – und von Anfang an geteilt. Die einen sagten bereits vor Berlinale-Beginn, der neue Mendoza könne schon deshalb nicht viel taugen, weil er nicht in Cannes laufe, und das gebe seine Meister bekanntlich ungern wieder her; wofür zudem sprach, dass Cannes den sperrigen philippinischen Regisseur 2008 mit „Serbis“ für seinen Wettbewerb und damit für den Weltmarkt entdeckt und 2009 dann mit der grausigen Gangstermördernachtgeschichte „Kinatay“ richtig groß gemacht hatte. Die anderen fanden dagegen nicht nur das Bashing noch nirgendwo gesichteter Filme wenig überzeugend. Warum, so fragten sie, sollte Mendoza, erst in seinen späten Vierzigern international entdeckt, nicht ebenso brillant anderswo weitermachen – etwa in Berlin?

Nach zwei Kinostunden beschwerlicher Buschwaldreise zwischen Blutegeln und Breitmaulwaranen sowie gefühlt zwölfmaligem MP-Dauerfeuer ist der bereits leicht ermattete Wettbewerbsbeobachter geneigt, Ersteren recht zu geben. Mendozas filmische Rekonstruktion der mit 377 Tagen wohl längsten Geiselnahme der Welt brennt zwar vor Aufwand und Ehrgeiz, das Geschehen in seiner akuten Dramatik und zwischenzeitlichen Veralltäglichung der Lebensgefahr wiederzugeben; darüber hinaus aber entwickelt der Regisseur weder ästhetisch noch narrativ oder gar moralisch eine markante Perspektive. Abgesehen von schnellen Schnitten und unruhiger Handkamera, wie sie bei inszenierten Reportagefilmen längst Weltniveau sind, nirgends eine aufregende oder gar anregend irritierende filmsprachliche Form. Und in seinem Erzählgestus belässt Mendoza es weitgehend bei der lockeren, manchmal dokumentarisch anmutenden Chronik der davonlaufenden Ereignisse.

Es ist der 27. Mai 2001, als ein Terrortrupp der islamischen Separatistenorganisation Abu Sayyaf in einem Tropeninsel-Resort 20 Geiseln nimmt. Eine davon: die NGO-Aktivistin Thérèse Bourgoine (Isabelle Huppert). Mit dem Boot geht es zur Insel Basilan – und dort unter immer wieder aufflammenden und abgewehrten Attacken der Armee immer tiefer in den Busch. Das Ziel? Lösegeld, sonst gar nichts. Nach und nach werden manche der Entführten freigekauft, andere sterben an Entkräftung oder bei den Feuergefechten, und Thérèse Bourgoine gehört zu den wenigen, die bei der letzten, blutigen Befreiungsaktion noch übrig sind. Und sie überlebt.

Was den Verlauf dieser Geiselnahme von üblichen kriegerischen Scharmützeln zumindest anfangs unterscheidet, ist der scheinbar hohe religiös-moralische Anspruch, mit dem die Geiselnehmer zu Werk gehen. Diebstahl ist den Geiseln untereinander bei Strafe des Handabhackens verboten – wohl aber lassen die teils blutjungen Terroristen bei ihrem Überfall auf das Tropen-Resort, der in seinem nervenzerfetzenden Stakkato an den Schluss von Michel Houellebecqs Roman „Plattform“ (2001) erinnert, massenweise Schmuck mitgehen. Auch wird den Gekidnappten eingeschärft, fremde Frauen zu berühren, sei im Islam tabu – doch als die Terroristen ihr Bedürfnis nach Sex nicht weiter aufschieben mögen, wird flink eine Vergewaltigung als Zwangsverheiratung legitimiert. Aber dass der Mensch des Menschen Bestie ist – wussten wir das nicht schon?

Noch problematischer wirkt Mendozas Entscheidung, die Rolle der tapferen Globalsozialarbeiterin mit einem Weltstar zu besetzen. Isabelle Huppert kniet sich zwar eifrig in den Schlamm und Schmutz des Buschwaldalltags hinein, dennoch hat das bald was von Dschungelcamp. Salopp gesagt: So lange Isabelle Huppert dabei ist, ist hier alles bloß Kino. Das gilt auch für Thérèses späte ersatzmütterliche Annäherungen an einen zwölfjährigen Kindersoldaten unter den Entführern. Am deutlichsten wird der Verfremdungseffekt in der einzigen Szene, in der Huppert ihre Schauspielkunst voll ausspielen darf: vor der Kamera eines philippinischen TV-Teams, als Thérèse unter Tränen ihre Kinder grüßt. Dass die Entführer angesichts des weltweiten Ausstrahlungserfolgs ihren Lösegeldtarif prompt erhöhen, wirkt da nur mehr wie eine zynische Pointe.

Was also will der Regisseur, der seine unbarmherzigen Gesellschaftsdiagnosen gern mit scheinbarer Unbeteiligtheit vorträgt, mit „Captive“ sagen – über die Erinnerung an einen fait divers der Terrorgeschichte hinaus? Im Presseheft formuliert er seine Botschaft so: „Jeder ist gefangen auf seine Weise.“ Abgesehen davon, dass die einen Maschinenpistolen haben und die anderen nicht: Das ist denn doch ein bisschen wenig. Jan Schulz-Ojala

Sind die echt?“ Nach den ersten Drehtagen wollte Isabelle Huppert es genau wissen, sicher ist sicher. Denn die Filmterroristen  seien wirklich bedrohlich gewesen. „Captive“-Regisseur Brillante Mendoza hatte volles Verständnis für die Frage, konnte den Star aber beruhigen: Nur Profi- und Laienschauspieler im „Captive“-Team, niemand von Abu Sayyaf.

Eine symptomatische Frage – und ein Indiz, dass es dem Regisseur tatsächlich gelungen ist, „die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu verwischen“, wie Huppert auf der „Captive“-Pressekonferenz sagte. Auf dem Podium konnten sie und ihre Kollegen Katherine Mulville und Sid Lucero in Ruhe von ihren Ausnahme-Erfahrungen auf dem Dschungel-Set berichten. Vorbereitung aufs Drehen? Von wegen. Immer wieder habe Mendoza sie in unerwartete Situationen versetzt, um „eine Art Chaos zu schaffen, das vielleicht nur er zu kontrollieren weiß“, sagte Huppert. Das Ziel: die Schauspieler in einen „Zustand des extremen Überraschtseins zu bringen“. Nicht mal einander vorgestellt habe er sie. Es habe auch keine Gespräche mit ehemaligen Geiseln gegeben, es blieb nur die eigene Vorstellungskraft.

Mendoza dagegen hatte sich gründlich vorbereitet – die Originalschauplätze besucht und dort mit ehemaligen Geiseln, Geiselnehmern und beteiligten Militärs gesprochen. Seine Schauspieler aber schloss er von diesem Vorwissen aus, zeigte allenfalls kleine Teile des Skripts – und hielt sich dann doch nicht dran. Keine klassische Arbeit an einer Rolle war also gefordert. „Es ging vor allem darum, sich auf das einzustellen, was an jedem Tag geschah“, so beschreibt es Huppert, nennt es sogar ihre „unglaublichste Erfahrung als Schauspielerin“. „Mendoza stellt sich schonungslos der Realität, überschreitet die Grenzen des Films, so dass jeder vergisst, dass er eigentlich in einem Film ist.“ Angesichts der extremen Erfahrung falle es ihr nun „schwer, wieder zur Routine zurückzukehren“. Na, das wird schon wieder. Andreas Conrad

„Die Rückkehr in den Alltag

fällt mir schwer“, sagt Huppert auf der Pressekonferenz

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