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Obskurer Sidekick: Udo Kier als manischer Fotograf.

© Pertramer/Pichler/Superfilm

Berlinale-Special „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“: David Schalko verlegt Filmklassiker nach Wien

Eidinger, Rois, Bleibtreu: In David Schalkos Remake von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ tummeln sich die größten deutschen Schauspielstars.

Die Ösis mal wieder. Nicht genug, dass sie mit Sebastian Kurz den jüngsten Bundeskanzler haben, mit Bilderbuch die coolste deutschsprachige Popband und mit Josef Hader den besten Schauspieler unter den Kabarettisten. Jetzt machen sie sich auch noch über deutsche Filmklassiker in ehrwürdigem Schwarzweiß her. Wobei Fritz Lang, dessen Geniestreich „M“ 1931 herauskam, ja selber Österreicher war, bevor er 1922 Deutscher und 1939 Amerikaner wurde. Doch dass die als eine der ersten deutschen Tonfilmproduktionen überhaupt in Berlin angesiedelte Jagd auf einen von Peter Lorre verkörperten Triebtäter einmal ins Wien des Jahres 2019 verlegt werden könnte, hat er gewiss nicht kommen sehen. Nun ist es dank David Schalkos Remake soweit.

„Na, willst du einen Luftballon?“, fragt der an einen Horrorclown erinnernde Verkäufer die kleine Elsie und beugt sich einschmeichelnd zu ihr herunter. Schneeflocken tanzen. Menschenleer ist die Gasse. Ein Pfeifen tönt von Irgendwoher. Obacht, es ist Edvard Griegs berühmte Peer-Gynt-Melodie, seit den Dreißigern als Erkennungszeichen von Kindermördern wohlbekannt. Mag Wien unter der glitzernden, wie eine Studiokulisse ausgeleuchteten Schneehaube noch so traut aussehen, Gefahr ist im Verzug. Ja, wenn er pfeift, dann laufen wir.

In erster Linie ein Porträt der Stadt Wien

Die Melodie, die gespenstischen Ballons, der Name des Mädchen, die Kuckucksuhr in der Stube der aufs Kind harrenden Mutter: David Schalko hat von Altmeister Lang nicht nur die zentralen Handlungsstränge der Geschichte, sondern auch viele Details übernommen. Und seien es die den Look der sechsteiligen Serie und manche Figurenzeichnung prägenden expressionistischen Zitate. Der österreichische Regisseur, der sich mit schwarzhumorigen Serien wie „Altes Geld“ und „Braunschlag“ als Spezialist für böses Fernsehen etablierte und letztes Jahr mit dem Roman „Schwere Knochen“ von sich reden machte, betrachtet sein sechsteiliges Remake ohnehin als Hommage. Fritz Langs „M“ sei politisch interessant, weil er vom Vorabend des Nationalsozialismus handele, sagt David Schalko im Gespräch. „Da lag schon diese brutalisierte Stimmung in der Luft.“ Genau die interessiere ihn, weil sich derzeit in Österreich, Deutschland und anderen westlichen Ländern ebenfalls ein Vorabendgefühl breitmache. Inklusive starker Verrohungs- und Entdemokratisierungstendenzen.

Genau das ist das Szenario, von dem die Koproduktion von TV Now (dem neuen RTL-Streamingdienst), ORF und Schalkos Produktionsfirma Superfilm erzählt. In zweiter Linie. In erster Linie ist „M“ ein im Gewand eines hyperrealistischen Schauermärchens daher kommendes Porträt der Stadt Wien. Mal traumwandlerisch, mal sarkastisch im Ton und von Sphärenmusik umspült. Und ein Polizeithriller, in dem – wie im Original – die Schützenhilfe vom organisierten Verbrechen kommt, dem Sophie Rois als Spazierstock schwingende Domina vorsteht. Noch artifiziellere Charaktere wie Udo Kier als unentwegt knipsender Fotograf im Fuchspelz und Bela B. als bleichgesichtiger Seher, der seine Hinweise auf die verschwundenen Kinder mittels Schaufensterpuppen bezieht, fungieren als obskure Sidekicks. Psychisch lädierter, aber dafür naturalistischer fallen die Elternfiguren aus, die im Fall der toten Elsie Lars Eidinger und Verena Altenberger spielen. Sympathiesonderpunkte gehen an Sarah Viktoria Frick als Semmeln mampfende Kommissarin.

Manipulatives Rauschen der Bilder und Botschaften

„In Österreich ist der Rechtsruck so weit gediehen, dass die Instrumentalisierung einer Kindermordserie zugunsten der Aushebelung von Bürgerrechten absolut denkbar wäre“, ist David Schalko überzeugt. Als populistische Einpeitscher der These, dass die Morde direkte Folge einer vernachlässigten Sicherheitspolitik sind, fungieren in „M“ ein skrupelloser Medientycoon (Moritz Bleibtreu) und ein von sich selbst berauschter Innenminister (Dominik Maringer).

Dieser schneidige Youngster versteht es geschickt, die vom Duzfreund-Senderchef geschürte Hysterie für das Durchwinken einer flächendeckenden Videoüberwachung zu nutzen. Angesichts seiner chamäleonhaften Geschmeidigkeit stellen sich sofort Assoziationen an die Herren Kurz oder Macron ein. Ihm gehe es um einen managerartigen Politikertypus, der in Europa gerade auf dem Vormarsch sei, sagt David Schalko. „Der Politiker, der glaubt, den Staat wie ein Unternehmen führen zu können und die Ideologie nur noch als Werkzeug auf dem Weg zum Erfolg nutzt.“ Das ist die auf allen Kanälen verstärkte Strategie, die in „M“ zügiger aufgeht, als es den Kommissaren gelingt, die verschwundenen Kinder zu finden. Ein manipulatives Rauschen der Bilder und Botschaften, dass lang nicht so gruseln macht – und doch viel gefährlicher ist, als das Pfeifen in der leeren Gasse.

12.2., 18.30 Uhr (Zoo-Palast 1); 13.2., 16 Uhr (Zoo-Palast 2), 20.30 Uhr (Blauer Stern)

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