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Harmonie-Strategie. Daniel Harding dirigierte Bruckners Fünfte.

© Stephan Rabold

Berliner Philharmoniker: Erlösung ist möglich

Der britische Dirigent Daniel Harding spielt Bruckners 5. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern.

Anton Bruckner ist ein Solitär in der Musikgeschichte: Erzkatholisch, emotional verklemmt, gesellschaftlich ambitioniert aber wenig kompatibel, in seiner Kunst aber absolut furchtlos, ein Extremist, der Sinfonien schuf, die allem entgegenstanden, was seine Zeitgenossen der 1860er bis 90er Jahre als „gute“ Musik goutierten.

Weil man den armen Mann aber nicht im luftleeren Raum stehen lassen kann, müssen sich die Interpreten entscheiden, ob sie Bruckner ästhetisch rückwärts in der Tradition der Romantik verankern wollen oder ob sie ihn zum Visionär machen, zum Wegweiser der Moderne.

Die Sinfonie wir zur monumental-märchenhaften Tondichtung

Als Claudio Abbado 1995 mit den Berliner Philharmonikern Bruckners fünfte Sinfonie auf CD einspielte, betonte er das Zerklüftete der Partitur, arbeitete mit einer harten Schnitttechnik, setzte die einzelnen Abschnitte wie Blöcke gegeneinander, getrennt durch brutale Pausen und maximal ausgereizte Lautstärkegrade. Die Wirkung war erschütternd. Daniel Harding wählt bei seinem Auftritt mit den Philharmonikern jetzt den entgegengesetzten Weg, erklärt die Fünfte zur monumental-märchenhaften Tondichtung, bei der sich alle Ungereimtheiten als Überraschungsmomente deuten lassen, alle Kontraste aus der Lust am effektvollen Erzählen entstehen.

Im Kopfsatz kann Harding damit sofort Sogwirkung entfalten, wenn er die kontrastierenden Elemente unter einem großen Bogen zusammenbindet, so dass sich die Musik entfalten kann wie ein Hochgebirgspanorama, das in wechselnde Lichtstimmungen getaucht wird. Der Hörer wird vom Klang umgeben wie der Wanderer von der Natur, das Waldhorn tönt und die Hirtenflöte, sanft singen die Violinen, die Holzbläser beschwören alpine Idylle.

Im Scherzo entdeckt der Maestro Schunkel-Passagen

Das ist pure Klangkulinarik, Harding dirigiert mit weicher, fließender Gestik, die Philharmoniker spielen betörend schön, erhaben und goldschimmernd selbst in den wuchtigsten Tutti-Passagen. Als Wechselspiel von Zeitlupen-Ländler und Opernszene mit seufzender Primadonna zieht das Adagio vorüber, im Scherzo entdeckt der 43-jährige britische Maestro gemütliche Schunkel-Passagen und Anklänge an Wagners „Meistersinger“-Welt. Und doch kommt es zu Durchhängern in den Spannungsbögen – weil Daniel Harding beim Erklimmen der akustischen Gipfel stets schon wieder an den Abstieg denkt.

Auf das Finale war Anton Bruckner besonders stolz. Denn hier hat er seine Meisterschaft als Kontrapunktiker unter Beweis gestellt, mit der anspruchsvollsten Form der klassischen Tonsatzlehre, der Fuge. Für die er allerdings ein absolut avantgardistisches Oktavsprungthema wählt, das zudem noch von der Soloklarinette maximal schrill in den Raum geworfen wird. In seinem harmoniesüchtigen Zugriff auf die Fünfte weiß Daniel Harding aber auch diesen Widerspruch zu glätten: „Erlösung ist möglich“ lautet sein Credo, der Höchste selber erscheint als deus ex machina im Choral der Blechbläser, das trocken-akademische Stimmengeflecht wird von weihevoller Sakralatmosphäre überwölbt, und am Ende jubeln die Philharmoniker volle 52 Takte im Fortissimo, ganz so, wie sich der Komponist das wünschte.

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