
© Searchlight Pictures/Disney
Bob-Dylan-Biopic „A Complete Unknown“ : Ein epochales Kinomärchen
Mit einem großartigen Timothée Chalamet erzählt James Mangold die Geschichte des jungen Bob Dylan, der die Welt erobert. Ältere Dylanologen könnten Einwände haben.
Stand:
Wie viele Schauspieler braucht man, um Bob Dylan darzustellen? Bei Todd Haynes, dem diesjährigen Präsidenten der Berlinale und Regisseur von „I’m Not There“ (2007), waren es sechs. Vier Männer, eine Frau, ein Junge. Und von Cate Blanchett, die den rebellischen Dylan gab, sagten manche, sie sei besser als das Original. Heath Ledger, Christian Bale und Richard Gere als Dylan in verschiedenen Phasen seines öffentlichen und konsequent abgeschirmten Privatlebens waren auch nicht schlecht.
Martin Scorseses Dylan-Film „Rolling Thunder Revue“ (2021) über die chaotische Tour von 1975 tarnt sich als Dokumentation. Dabei sind etliche Geschichten glatt erfunden. Zeitzeugen kommen zu Wort, die es nie gab. Im Untertitel heißt dieser Streich „A Bob Dylan Story“. Eine von vielen.
Wo ist Bob Dylan?
Dylan ist nicht da, Dylan ist immer ein anderer. Das ewige Versteckspiel. Der Verleihung des Literaturnobelpreises in Stockholm blieb er fern, schickte stattdessen Patti Smith. Für Sam Peckinpahs Western „Pat Garrett and Billy the Kid“ (1973) schrieb er die Musik und spielte einen verdrucksten Typen, der kaum etwas sagt und sich Alias nennt. Dylan ist nicht zu fassen. Das war stets die Überlebensstrategie des heute 83-Jährigen, der immer noch tourt mit seiner Band. Keine Zuweisungen, keine Einordnungen – und von Zeit zu Zeit radikale stilistische Schwenks.
Und nun ein Biopic. Ganz traditionell auf den ersten Blick. Schwerer Verstoß gegen das erste Dylan-Gebot: Mach dir kein Bild. Und plötzlich noch einmal alles anders. Bob Dylan findet Timothée Chalamet großartig in der Rolle des jungen Bob Dylan in James Mangolds „A Complete Unknown“. Wobei sich der Titel auf den zweiten Blick als doppelter Treffer erweist.
Mangold erzählt die Geschichte des unbekannten jungen Mannes aus Minnesota, der 1961 nach New York kommt, um die Folkszene zu erobern. Und ja, ein Unbekannter, ein Missverstandener wird er bleiben, als der Erfolg ihn zu ersticken droht. „A Complete Unknown“ zitiert Dylans vielleicht größten Song, „Like A Rolling Stone“. Mangolds Film endet in diesem Moment, als Dylan, hochberühmt und als Prophet gefeiert und herumgereicht wie eine Trophäe, sich aufs Land zurückzieht. Er braust mit dem Motorrad davon.
Vor dem Crash
Es ist das Jahr 1966. Dylan-Fans wissen, was jetzt passieren muss: Er hat einen schweren Unfall. Das zeigt Mangold nicht. Er entlässt seinen Helden in die Freiheit.
Die frühen Sechzigerjahre. Kuba-Krise, der Marsch der Bürgerrechtsbewegung nach Washington, wo Dylan auftritt, die Ermordung Kennedys. Die Beatles kommen. Die Pop-Kultur politisiert sich und entwickelt eine völlig neue, komplexere Ästhetik und Tonsprache. So ist „A Complete Unknown“ zwangsläufig ein Historien- und Kostümfilm. So authentisch wie möglich. Um das New Yorker Village nachzubauen, ging die Filmcrew nach Hoboken, auf die andere Seite des Hudson. Die Szenen um das Newport Folk Festival herum wurden nach Cape May, New Jersey, verlegt. Alles soll echt aussehen. Wie damals.

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Timothée Chalamet singt alle Songs selbst, spielt Gitarre und Mundharmonika, Mikrofone aus der alten Zeit wurden benutzt. Gleiches gilt für die Instrumente. Das kann man nur als tollkühn oder lebensmüde bezeichnen. Aber es funktioniert. Chalamet, Jahrgang 1995 und auch schon ein erfahrener Schauspieler, ein Star, hat sich jahrelang auf diese Rolle vorbereitet, für die er einen Oscar bekommen könnte. Und er ist in diesem Film Bob Dylan, ohne ihn zu parodieren. Er würde jeden Dylan-Look-Alike-Contest locker gewinnen, aber bleibt Chalamet, diese Differenz ist wichtig. Dylan präsentiert auch Versionen seiner selbst.
Durch die besessene Detailgenauigkeit bekommt „A Complete Unknown“ etwas Museales. Damit ist nichts gegen Museen gesagt. Mangold erzählt eine Heldengeschichte mit märchenhaften Zügen. Man kann das problematisch finden, aber die Sixties waren gewiss ein Jahrzehnt schnell entstehender und auch schnell wieder vergehender Mythen. Diesem Mechanismus widersetzt sich Dylan - der real existierende und sein Kino-Bild – von Anfang an. Darum geht es im Wesentlichen in dieser Story. So viele Dylan-Songs beschreiben ein Farewell, eine Flucht.
Eine Love-Story mit dem Publikum ist es nur für kurze Zeit, dann zieht Dylan die elektrische Gitarre wie ein Gewehr. Auch mit den Frauen springt er so um. Parallel laufen zwei Liebesgeschichten, allerdings nicht so intensiv, dramatisch und zerstörerisch wie in „Walk the Line“ (2005), Mangolds Biopic über den drogenabhängigen Johnny Cash. Im Dylan-Film jetzt wirkt alles etwas glatter, freundlicher.
Frauen werden ausgenutzt
Joan Baez hilft ihm auf die Sprünge, öffnet ihm Türen, sie ist damals schon jemand in der Folk-Musik. In einer nächtlichen Szene im Chelsea Hotel überspannt er den Bogen, sie knallt ihm ins Gesicht: „You are completely full of shit“. Monica Barbaro spielt die Madonna mit Hingabe, auch sie interpretiert die Songs selbst. Fast zu schön, wenn sie zusammen „It Ain’t Me Babe“ auf der Bühne darbieten.
Doch das Harte, Verletzende fällt allen hier schwer. Elle Fanning hat die gewiss auch nicht leichte Rolle von Dylans früher New Yorker Freundin und Muse Suze Rotolo, hier heißt sie Sylvie. Sie macht das gut. Aber man wird das Gefühl nicht los, dass diese Zeit des Aufbruchs immer weiter wegrückt, je heftiger man sie zurückholen will wie in diesem Film.
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Das hat mit der politischen Situation des Jahres 2025 zu tun, mit Trump und Konsorten, die Amerika wieder groß und jung machen wollen. Aber nicht so wie im Dylan-Frühling, sondern wie in den Fünfzigern, bei McCarthy und den politischen Hexenjagden. Das bekommt man nicht aus dem Kopf. Bob Dylan war schon allein durch seine Existenz, sein Auftreten eine Provokation. Ein Versprechen. Der Typus einer neuen Zeit, die heute wie eine verlorene Utopie aussieht.
Wobei Dylan bis heute ein Traditionalist geblieben ist. Er pflegt das amerikanische Archiv, den Blues, die Balladen der Outlaws, in seinem Buch „The Philosophy of Modern Song“ (2022) lässt sich das mit großem Gewinn nachlesen. Das widerständige Erbe liegt auch James Mangold am Herzen. Wenn sein Jung-Bob den todkranken Woody Guthrie (gespielt von Scott McNairy) im schäbigen Hospital besucht, wenn er für sein Idol spielt, können einem schon die Tränen kommen.
Es steuert auf die historische Auseinandersetzung mit Pete Seeger zu. Der Anführer der Folk-Bewegung nimmt den jungen Dylan-Götterboten unter seine Fittiche. Der Vatermord wird unausweichlich. Edward Norton verkörpert den aufrechten Banjo-Mann mit einem Sendungsbewusstsein, einer unerschütterlichen Güte, die verrückt macht; eine Mischung von Heiligem und Herbergsvater. Norton ist großartig!
Mangold nimmt sich auch ein paar Freiheiten. Das Newport Folk Festival 1965 war der Wendepunkt, Dylan schockt die Fans mit einem aggressiven, elektrischen Set. Der berühmte „Judas“-Ruf aus dem Publikum kommt aber erst später, auf der England-Tour. Pete Seeger schäumt. Dem Pazifisten muss die Axt entrissen werden.
Es bleibt nach alldem eine Frage: How does it feel? Was macht „A Complete Unknown“ mit älteren Dylanologen? Sie werden Einwände haben, sicher zu Recht. Das ist nur einer von vielen möglichen Dylans, und die Geschichte geht noch lange weiter. Und wie ist es für die, die wenig oder nichts von ihm wissen? Timothée Chalamet schafft etwas äußerst Rares. Seine Performance übertrifft die Erwartungen.
Ein unbekannter Dylan-Fan hat im Netz einmal gesagt: Dylan war nicht die Stimme seiner Generation. Er spricht für die ganze Menschheit. 1961, 1965, das liegt in den Sternen. Die Aktiven von damals sind in ihren Achtzigern oder tot. Opernstars klangen seinerzeit auch anders als heute, wie der Film über Maria Callas jetzt zeigt. Und wer Bob Dylan in den letzten Jahren im Konzert erlebt hat, kennt das Risiko. Die Enttäuschung. Das Hochgefühl. Auf der nach unten offenen Dylan-Skala steht „A Complete Unknown“ ziemlich weit oben.
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