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Kultur: Brauchen wir eine Amnestie für DDR-Eliten, Herr Hein?

CHRISTOPH HEIN ist einer der profiliertesten Autoren aus der früheren DDR.Mit seinen Romanen "Horns Ende" (1985) und "Der Tangospieler" (1989) reflektierte er die private und politische Realität, thematisierte offen auch Anwerbungsversuche der Stasi.

CHRISTOPH HEIN ist einer der profiliertesten Autoren aus der früheren DDR.Mit seinen Romanen "Horns Ende" (1985) und "Der Tangospieler" (1989) reflektierte er die private und politische Realität, thematisierte offen auch Anwerbungsversuche der Stasi.1944 in Schlesien geboren, arbeitete Hein nach dem Studium der Philosophie zunächst als Regieassistent bei Benno Besson an der Ost-Berliner Volksbühne.Sein Drama "Die Ritter der Tafelrunde" wurde im Frühjahr 1989 zur prophetischen Metapher des Zusammenbruchs eines politischen Systems.Seit Oktober 1998 ist der in Berlin lebende Schriftsteller erster Präsident des vereinigten deutschen PEN-Clubs.In seiner Antrittsrede erklärte Hein, es sei nach jahrelangen internen Querelen die erste Pflicht des PEN, sich für verfolgte, von totalitären Regimes mit dem Tod bedrohte Autoren einzusetzen.Zuletzt erschien im Aufbau Verlag sein autobiographischer Roman "Von allem Anfang an".

TAGESSPIEGEL: Christoph Hein, unmittelbar nach dem Mauerfall haben Sie vorhergesagt, es brauche etwa 40 Jahre, bis die beiden Teile Deutschlands wirklich wiedervereinigt sein würden.

HEIN: Als ich das sagte, wurde mir Pessimismus und Miesmacherei vorgehalten.Inzwischen ist die Annahme, daß die Überwindung der Folgen ebenso lange dauern wird wie die Teilung selbst, wohl eher übertrieben optimistisch.

TAGESSPIEGEL: Was hat Sie bei dieser Entwicklung am meisten überrascht?

HEIN: Daß die junge Generation, die in Deutschland Ost und West nach dem Mauerfall erwachsen geworden ist, diese Mauer noch immer im Kopf hat.Das sind offenbar Folgen der nach wie vor unterschiedlichen Sozialisation.Überrascht hat mich auch, daß die West-Berliner bis heute gerne vom "Osten" reden und offenbar noch immer nicht begriffen haben, daß sie inzwischen selber Ostdeutsche geworden sind.

TAGESSPIEGEL: Die PDS definiert sich gerne als einzig authentische Vertretung der Ostdeutschen.

HEIN: Mir scheint, sie ist dabei, sich im politischen System der Bundesrepublik zu etablieren.Das war so nicht vorauszusehen.Sie ist jetzt eine von vier Regionalparteien in Deutschland - neben der CSU, die es nur in Bayern gibt, und den Grünen sowie der FDP, die beide faktisch nur in der alten Bundesrepublik existieren.Einen Verdienst hat sich die PDS bei allen inneren Widersprüchen jedoch im Laufe der Jahre erworben: Sie bietet vielen Menschen Gelegenheit, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen, die sonst ins radikale Spektrum abdriften könnten.Das ist eine enorme Leistung.Ich halte es sehr wichtig für den inneren Frieden in Deutschland, daß die PDS diese Funktion übernommen hat.Das wird man in Bonn und bald in Berlin begreifen müssen.

TAGESSPIEGEL: Die Pläne, den Palast der Republik in der Mitte Berlins abzureißen und dafür das preußische Stadtschloß wieder zu errichten, gilt in diesem Zusammenhang als Symbol für das unsensible Umgehen mit DDR-Vergangenheit.

HEIN: Der Palast war für die Masse der DDR-Bürger bis 1989 von verschwindender Bedeutung.Erst nach 1989 ist das Gebäude zu einem Symbol geworden.In dieser Debatte besteht allerdings keinerlei Eile.Man sollte sich Zeit lassen.Wir wollen ja den nachfolgenden Generationen auch noch ein paar Debatten-Themen hinterlassen.

TAGESSPIEGEL: Friedrich Schorlemmer hat zuletzt für eine umfassende Amnestie für ehemalige DDR-Funktionsträger plädiert.Andernfalls könne es keinen inneren Frieden in Deutschland geben.

HEIN: So würde ich das nicht formulieren.Der innere Frieden wird in Deutschland in den nächsten 30 Jahren ohnehin nicht hergestellt werden können.Wird amnestiert, sind die einen empört, wird nicht amnestiert, sind die anderen unzufrieden.Die deutsche Unzufriedenheit ist eine sichere Bank.Auf die können wir uns verlassen.

TAGESSPIEGEL: Wie sollte der Rechtsstaat Ihrer Meinung nach reagieren?

HEIN: Der Rechtsstaat ist das höchste Gut in einer Demokratie.Sollte nach rechtstaatlichen Kriterien eine Amnestie in Frage kommen, muß dabei im Zweifel auch ein subjektives Gefühl von Ungerechtigkeit zurückstehen.Auf der anderen Seite ist es für das Justiz-System der Bundesrepublik problematisch, in der Amnestie-Frage eine Entscheidung über die Funktionseliten eines anderen Staates zu treffen, mit dem man jahrelang zusammengearbeitet hat.Es muß daher eine politische Entscheidung getroffen werden, da ist der Bundespräsident gefragt und auch der Deutsche Bundestag.Es geht außerdem darum, Schaden von Deutschland abzuwenden.Von ausländischen Schriftstellern und Intellektuellen höre ich immer wieder, daß man verwundert ist über die Diskrepanz zwischen dem bekanntermaßen nachsichtigen Umgang der Bundesrepublik mit den Nazi-Eliten und der Aufarbeitung des SED-Unrechts.

TAGESSPIEGEL: Der Bundesgerichtshof hatte zwar bei den Nazi-Richtern den Vorwurf der Rechtsbeugung verneint.Es gab trotz beschämender Verdrängungsversuche auch Tausende von Ermittlungsverfahren und Prozessen gegen Schreibtischtäter und KZ-Mörder.

HEIN: Aber nicht ein einziger Nazi-Richter wurde von bundesdeutschen Gerichten verurteilt.Konrad Adenauer erreichte in langwierigen Verhandlungen mit den Besatzungsmächten, daß die Urteile der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse nicht unter die bundesdeutsche Jurisdiktion fielen.Die überlebenden Verurteilten galten dadurch in der Bundesrepublik nicht als vorbestraft.

TAGESSPIEGEL: Ihr Kollege Erich Loest, der mehrere Jahre in Bautzen inhaftiert war, hatte im Hinblick auf DDR-Unrecht vor Jahren schon die Formel geprägt: Amnestie ja, Amnesie nein.

HEIN: Der Schriftsteller lebt von der Erinnerung.Wer also als Schriftsteller für die Amnesie, für das Vergessen plädieren würde, der verriete seine eigenen Arbeitsgrundlagen.Ich plädiere für ein präzises, mitleidsloses Erinnern - ohne Haß und ohne Eifer.Ohne Mitleid, weil Mitleid die Genauigkeit trübt, ohne Haß, weil Haß den Blick verfälscht, ohne Eifer, weil Eifer immer ideologische Voreingenommenheit bedeutet.

TAGESSPIEGEL: Die Zusammenarbeit der SPD mit der PDS sorgt auch jetzt wieder für heftige Debatten.CSU-Generalsekretär Huber hat gefordert, Bundesländer, in denen die PDS an der Regierung beteiligt wird, finanziell abzustrafen.

HEIN: Ich begrüße es, daß Herr Huber dies so klar und unmißverständlich fordert.Das ist zwar Stammtisch-Gerede, aber dieser Provinzialismus lebt, er pulsiert, er drängt danach, ausgesprochen oder ausgespuckt zu werden, damit er überwunden werden kann.Es geht nicht um den Osten, es geht nicht um die PDS.Hier geht es um Geld.Bis 1990 kassierte Bayern, und nun soll es zahlen.Das kränkt.Seit drei Jahren beklagt die bayerische Landesregierung die Zahlung und liefert alle halbe Jahre neue Begründungen, warum man nicht mehr zahlen will.

TAGESSPIEGEL: Zweites Debattenthema: die Frage einer möglichen doppelten Staatsbürgerschaft.Ist die deutsche Ausländer-Politik auf der Höhe der Zeit?

HEIN: Menschen, die so lange in Deutschland leben, muß endlich Gelegenheit gegeben werden, politische Rechte wahrnehmen zu können.Im übrigen scheint mir die Debatte an der zentralen Frage vorbeizugehen: ob wir nämlich eine kulturelle Vielfalt als Teil der deutschen Identität akzeptieren und fördern wollen.In einer wirklichen Weltstadt wie New York würde niemand den Begriff "multikulturell" überhaupt in den Mund nehmen.

TAGESSPIEGEL: Wie erklären Sie sich, daß in den neuen Bundesländern gegenüber Ausländern eine besondere Aggressivität herrscht.

HEIN: Das liegt zum einen daran, daß die Menschen in Ostdeutschland durch die in der DDR bekanntlich sehr begrenzten Reisemöglichkeiten einfach weniger Erfahrung mit Menschen anderer Herkunft haben.Zum anderen spielt eine Rolle, daß viele Ostdeutsche sich noch immer als Bürger zweiter Klasse fühlen.Es führt dazu, daß der Schwache nach dem Schwächeren tritt.Eine alte Erfahrung, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt zeigt: die größte Angst vor sozialem Absturz herrscht nicht bei denjenigen, die auf der unteren Existenzebene leben müssen, sondern bei denen, die noch etwas zu verteidigen haben.

TAGESSPIEGEL: Es fällt auf, daß Intellektuelle aus der früheren DDR sich an diesen öffentlichen Debatten kaum beteiligen.HEIN: Diese Debatten werden von den Medien als rein westdeutsche Debatten inszeniert und wiedergegeben.

TAGESSPIEGEL: Die Medien sind schuld?

HEIN: Ich gebe nur die Situation wieder, so wie sie sich mir darstellt.Die Kultur, die Medien der Bundesrepublik sind immer noch westdeutsch.Für mich persönlich kein Problem.Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms.Nur dort kann ich arbeiten.Als Präsident des PEN muß ich diesen Turm freilich oft, allzu oft verlassen.

TAGESSPIEGEL: Können wir Sie als Schriftsteller und Erinnerungsexperten auch zu einem Blick aus dem Turmfenster Richtung Holocaust-Mahnmal bewegen?

HEIN: In Deutschland brauchen wir - im Unterschied zu den USA oder Israel - keine künstlichen, künstlerischen Mahnmale für den Massen- und Völkermord des Dritten Reichs.Es gibt eine große Zahl "natürlicher" Gedenkstätten, die Stätten der Vernichtung von Menschen durch die Nationalsozialisten.Viele von ihnen verkommen mit der Zeit oder werden mißbräuchlich genutzt.Diese Stätten sind die wahren Orte der Erinnerung.Sie zu erhalten, sollte oberste Priorität haben.Wenn das gesichert ist, kann man von mir aus auch noch ein zentrales Mahnmal bauen.Das eigentliche Mahnmal aber steht im Grundgesetz.Es ist der Artikel 16, in dem als Konsequenz aus den Erfahrungen der Nazi-Diktakur das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte festgeschrieben wurde.Dieser Artikel ist durch die Asylrechtsänderung auf unverantwortliche Weise ausgehöhlt worden und soll durch das geplante Plebiszit der CDU/CSU weiter zerstört werden.Dieser Artikel 16 ist das eigentliche Mahnmal, wichtig wegen der deutschen Vergangenheit und wichtig für das Leben und Überleben der deutschen Demokratie.

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