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Kultur: Bremer Kunsthalle zeigt Videos und andere Dinos

Mit Augenzwinkern und Gespür für Skandal - der Vater der Videokunst weist den Weg ins nächste JahrhundertNicola Kuhn Mancher mag es damals, 1960, schon geahnt haben: Aus dem eher schmächtigen jungen Mann würde einmal etwas ganz Großes werden. Das notwendige Selbstbewusstsein und die Durchsetzungskraft musste er schließlich bereits haben, als er - korrekt in Schlips und Kragen gekleidet - am Höhepunkt seiner Performance "Etude for Piano" dem überraschten John Cage den Kopf zu shamponieren begann und schließlich seine Krawatte zerschnitt.

Mit Augenzwinkern und Gespür für Skandal - der Vater der Videokunst weist den Weg ins nächste JahrhundertNicola Kuhn

Mancher mag es damals, 1960, schon geahnt haben: Aus dem eher schmächtigen jungen Mann würde einmal etwas ganz Großes werden. Das notwendige Selbstbewusstsein und die Durchsetzungskraft musste er schließlich bereits haben, als er - korrekt in Schlips und Kragen gekleidet - am Höhepunkt seiner Performance "Etude for Piano" dem überraschten John Cage den Kopf zu shamponieren begann und schließlich seine Krawatte zerschnitt. Zurück blieb ein völlig verblüfftes Publikum, dem der zu guter Letzt aus dem Raum gestürzte Nachwuchskünstler per Anruf aus einer nahegelegenen Telefonzelle die erlösende Mitteilung machte, dass die Performance vorüber sei. Zu dem Zeitpunkt war der 28jährige Koreaner noch an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln eingeschrieben und studierte eigentlich ganz brav den "Anfang der abendländischen Metaphysik". Keine vierzig Jahre später wird er rund um den Globus mit Retrospektiven geehrt und Preisen überhäuft, schließlich war er nicht nur Pionier, sondern hat auch das Rüstzeug für eine Kunst des nächsten Jahrtausends entwickelt.

Vater der Videokunst, nach jüngsten "ARTnews"-Erkenntnissen neben Picasso, Duchamp und Rauschenberg einer der "25 einflussreichsten Künstler dieses Jahrhunderts", seit den achtziger Jahren nicht mehr wegzudenkende Kunstmarkt-Größe - an Nam June Paik kann heute keiner mehr vorbei. Das New Yorker Guggenheim-Museum nicht, das ihm deshalb im kommenden Jahr eine Schau mit neuesten Video- und Laser-Arbeiten widmet, die Bremer Kunsthalle schon gar nicht, die seit geraumer Zeit von Paiks Mitentdecker Wulf Herzogenrath geleitet wird, der einst im Kölnischen Kunstverein dessen erste europäische Werkschau organisierte.

Bremen also! Doch nicht erst durch Medienkunst-Mentor Herzogenrath ist die Stadt auf den Paik gekommen, sondern schon 1976 holte sich der Komponist Hans Otte den gefragten Koreaner. Für das Bremer Festival "Pro Musica Nova" baute er die zweite Version seines legendären Video-Buddhas, jene Closed-Circuit-Installation, die in keiner Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts fehlen dürfte. Die kostbare Buddha-Figur stammte damals aus dem Übersee-Museum, ihr gegenüber stand eine aus sechs Monitoren gebildete Pyramide, die per Video-Übertragung die goldgelackte Skulptur aus dem 18. Jahrhundert zeigte. Der Betrachter sieht also den Buddha, der sich wiederum in den TV-Geräten gespiegelt sieht. Dreiundzwanzig Jahre später steht der Besucher der Bremer Kunsthalle wieder vor diesem in seiner Be-Greifbarkeit so bestechenden Zirkelschluss der Erkenntnis und ist entzückt. Denn für die große Retrospektive wurde dieser Klassiker rekonstruiert.

Dabei ist diese Revue eines ungewöhnlichen Werks eigentlich nicht groß zu nennen - gerade einmal hundert Arbeiten, die vornehmlich mit Paiks Schaffen in Deutschland zusammenhängen, vieles darunter schlichte Dokumente wie jenes Studienbuch mit den Vorlesungseintragungen oder auch nur Notate wie die zu Jahresanfang als Fax gesandte Kurzanalyse der Kunstsituation 1999 ("very good"). Und dennoch: Die zufällige Aufnahme seiner erstmaligen Begegnung mit Cage 1958 bei den Ferienkursen für neue Musik in Darmstadt, die verkrumpelten Konzeptpapiere, Programmzettel und Einladungskarten seiner frühen Performances, die fassungslosen Reaktionen der ersten Kritiker schildern den Werdegang eines koreanischen Ausnahmekünstlers in Deutschland, der seinesgleichen sucht. Sein Werk fasziniert durch die Fülle der verarbeiteten Einflüsse aus Ost und West, die immer wieder neu aufgegriffenen Anregungen aus Hoch- und Alltagskultur.

Durch den stark dokumentarischen Charakter hat Bremen zwar die kleine Form gewählt und wirkt doch groß. Die im Entree platzierte Schildkröte aus 166 Monitoren, die der Künstler 1993 für den Philips-Stand auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin realisierte, wäre nicht einmal nötig gewesen. Als Leittier durch die Ausstellung für die von Paik immer wieder gezielt eingesetzten Widersprüchlichkeiten passt sie dennoch: die langsamen Bewegungen der Schildkröte im Gegensatz zur Bilderraserei auf ihrem Rücken, das aus Urzeiten stammende Reptil im Gegensatz zu den Novitäten des Medienmarktes. Paik ist nie einfach zu haben, wirken seine Arbeiten auch noch so leichtgewichtig wie etwa jenes getrocknete Fischlein in einem Briefumschlag (1969). Unter dem Titel "Liberation Sonata for Fish" fordert Paik mit krakeliger Schrift dazu auf, das Tier doch bitte dem Meer wiederzugeben.

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der Künstler längst mit schwerem Gerät. Aus der Musik kommend, zur bildenden Kunst strebend, markierte die Wuppertaler Ausstellung "Exposition of Music - Electronic Television" 1963 den Übergang. In allen Räumen der legendären Galerie Parnass hatte Paik Klangobjekte verteilt, darunter ein mit Büstenhalter und Staubwedel präpariertes Klavier, dem sich bei der Eröffnung spontan ein anderer Künstler zu widmen begann, allerdings noch ohne Filzhut: Joseph Beuys. Ein anderes Foto zeigt Wolf Vostell, wie er sich derweil um Bedienung des Schallplatten-Schaschlik mit beweglichem Tonabnehmer bemüht. Geblieben sind die Vernissage-Schnappschüsse, das heute etwas schlapp aussehende Schallplatten-Schaschlik und die historische Tat, dass hier erstmals Fernsehgeräte für Kunst zum Einsatz kamen, wie Paik-Exegeten immer wieder betonen. Der Künstler selbst dürfte es mindestens genauso sehen. In aller Unbescheidenheit legte er bei einer seiner hintersinnigen Sprechblasen-Collagen dem auf Stoff gedruckten Konterfei des Wuppertalers Friedrich Engels die Worte in den Mund: "N.J.P. made Wuppertal famous".

Lachen ist also erlaubt bei Paik, Schmunzeln, Genießen sogar, wenn es auch dem Publikum häufig am rechten Verständnis fehlte. So waren Mitte der Siebziger die Auftritte von Paiks Muse, der Cellistin Charlotte Moorman, für deren Konzerte er einen "TV-Bra for Living Sculpture" entwickelte, noch ein Skandal. Die sexuelle Revolution hatte die Konzertsäle bislang ausgespart; Bach, von einer Dame mit Mini-Bildschirmen vor dem Busen gespielt, löste Empörung aus. Wie bei den Performances sind auch hier die Videoaufnahmen der umstrittenen Konzerte ("Sonata for Adults Only"), die hülsenhaften Reste des "TV-Bra" der eher traurige Abglanz einer aufregenden Zeit. Dass sich Paik selbst bis heute seinen Glauben an die wundersamen Kräfte von Sex und Musik bewahrt hat, beweist jenes eher kuriose Video, das den gealterten Künstler nach einem Schlaganfall inmitten einer Schar von Krankenschwestern bei ersten Gehversuchen zeigt. Zu den schnellen Schnitten des Videos röhrt Marvin Gaye seine Hymne "Sexual Healing".

Mag dieser merkwürdige Auftritt des noch immer stark behinderten Künstlers auf viele Besucher eher verstörend wirken, so strahlt er doch jene Unbekümmertheit und Kraft aus, die schon Paiks Anfänge vor über vierzig Jahren aus dem Geist des Fluxus bestimmten. Dabei hatte es zwischenzeitlich durchaus den Anschein, als würde sich diese Paiksche Besonderheit zwischen den zu immer gigantischeren Figurationen aufgetürmten Bildschirmen verflüchtigen. Dass er sich bis heute nicht festlegen lässt, weder auf ein Medium noch auf eine Botschaft, gerade das macht seine Stärke aus. Nicht sein High-Tech-Instrumentarium, sondern vielmehr die Offenheit im Umgang damit prädestiniert ihn zum Vorbildkünstler für das nächste Jahrhundert.Kunsthalle Bremen, bis 23. Januar; Katalog Verlag Hauschild GmbH Bremen 49 Mark.

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