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Hebbel: Kroesinger: Brutale Logik

Der Fall Flick: Das Doku-Stück „Capital Politics“ von Hans-Werner Kroesinger im Hebbel am Ufer. Der stellt eine Ausnahme-Erscheinung dar. Weil er nicht einfach das nächstliegende Weltbild mit den passenden Dokumenten garniert, sondern tatsächlich einen Untersuchungsprozess in Gang setzt.

Biografien von Hartz-IV-Empfängern, Kriegsopfern oder gern auch mal der eigenen WG-Mitglieder liegen voll im Bühnen-Trend. Vor allem in der freien Theaterszene haben sich dokumentarische Formate zu einem derartigen Hype entwickelt, dass sich inzwischen selbst bekennende Avantgarde-Fans bei Sehnsuchtsanfällen nach Goethe-Deklamationen ertappen. Denn anstatt den Wahrnehmungshorizont zu erweitern, unterbieten viele Realitätsschnipsel, die auf den Bühnen zum Besten gegeben werden, mit beneidenswertem Selbstbewusstsein den tagesaktuellen Nachrichtenfluss.

Der Berliner Regisseur Hans-Werner Kroesinger stellt innerhalb dieses Doku-Hipster-Business’ eine Ausnahme-Erscheinung dar. Nicht nur, weil er schon die Eichmann-Prozessakten, den Kosovo-Krieg oder die Praktiken der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission analysierte, als alle anderen noch Pop-Theater machten. Sondern vor allem, weil er nicht einfach das nächstliegende Weltbild mit den passenden Dokumenten garniert, sondern tatsächlich einen Untersuchungsprozess in Gang setzt.

Diesmal hat er sich im HAU 3 mit dem Großindustriellen Friedrich Flick beschäftigt. Wie der Titel „Capital Politics“ bereits suggeriert, geht es Kroesinger natürlich nicht schlicht um die Charakterstudie eines der erfolgreichsten und umstrittensten Protagonisten der deutschen Wirtschaftsgeschichte, der im Nationalsozialismus an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern verdiente, bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt wurde und in der Bundesrepublik schnell wieder zu einem der mächtigsten Unternehmer aufstieg. Kroesinger interessiert Flick als Fallstudie; als Prototyp eines Managers, der unabhängig von politischen Rahmenbedingungen der Funktionslogik des Kapitals gehorcht. Wenn Flick sich bei den Kriegsverbrecherprozessen tatsächlich keinerlei Schuld bewusst ist, besteht der Punkt nicht darin, dass hier moralische Skrupel verdrängt werden, sondern dass Moral als Kategorie in dieser Logik einfach nicht vorkommt.

Kroesingers Textcollage fokussiert also den zeitlos-aktuellen Systemaspekt – bis zur Flick-Parteispendenaffäre Anfang der achtziger Jahre, als längst Friedrich Flicks Sohn den Konzern führte. Wie immer bei Kroesinger teilen sich die Schauspieler – Judica Albrecht, Armin Dallapiccola, Ana Kerezovic, Gotthard Lange und Lajos Talamonti – ohne klare Rollenzuordnungen den Text in Valerie von Stillfrieds installativer Bühne, die mit zahlreichen Dokumenten, Vitrinen und Devotionalien intelligent das historische und biografische Spannungsfeld vermisst. Wer will, kann diesen Ausstellungsraum auch in eine ironische Beziehung zur Flick-Collection setzen: die Familiengeschichte hinter der Kunstsammlung.

Leider unterliegen Kroesingers Akteure mitunter der Verführung, dem Prototyp eigene Charaktermasken aufzusetzen. Für Kroesingers Konzept, bei dem eine weitgehend neutrale Sprache besonders wichtig ist, weil es darum geht, aus verräterischen Wiederholungen, entlarvenden Metaphern oder überraschenden Übereinstimmungen in einander eigentlich widersprechenden Dokumenten die Strukturen hinter den Worten sichtbar zu machen, ist das schwierig. Denn nicht nur, wenn sich am Schluss der Flick-Enkel Friedrich Christian Flick als „Jäger und Sammler der Kunst“ vorstellt und in ähnlichen Termini wie sein Großvater über seine künstlerischen „Beutezüge“ spricht, lohnt es sich, genau hinzuhören.

Wieder am 9., 10. und vom 12. bis 16. Januar, 20 Uhr.

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