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Auspacken: Tango Türk in der Neuköllner Oper

Buntes Erbe: "Tango Türk" an der Neuköllner Oper ist überraschend und virtuos. Das ist Autor und Hauptdarsteller Kerem Can zu verdanken - aber auch dem hochmotivierten Ensemble.

Wenn es noch nicht geschehen, ist es spätestens jetzt an der Zeit, über den Begriff „Türkenkoffer“ neu nachzudenken. Natürlich könnten damit die beiden Plastiktüten gemeint sein, in denen sich die Abrechnungen für das Café befinden, das Cihans Vater in Berlin führt und die für seinen kosmopolitischen Sohn ein kleiner Kulturschock sind. Aber was hilft es: Die Mutter ist gestorben, und so muss er sich für ein paar Tage der eigenen Familie stellen. Wobei es in „Tango Türk“, der neuesten Produktion der Neuköllner Oper, aber auch noch diesen anderen, sehr handfesten Koffer gibt, den die Mutter ihrem Sohn hinterlassen hat und der vollgepackt ist mit Platten türkischer Tangos. Cihan wagt nicht, ihn zu öffnen: Denn was in dieser Musik, die so merkwürdig zwischen Sentimentalität und Hintergründigkeit balanciert, an Erinnerungen und Assoziationen steckt, lässt keine coole Distanzierung zu. Übrigens sind starke Mütter wie die von Cihan auch noch stark, wenn sie tot sind – und so packt Mama Nur (Sesede Terziyan) ihren Sohn in einer hinreißenden Tanzszene am Schlaffittchen und zieht ihn hinein in eine dramatische Familiengeschichte, die kurz vor dem Militärputsch von 1980 in Istanbul beginnt.

Wie Autor und Hauptdarsteller Kerem Can in seinem Erstlingswerks mit Zeit, Ort, Handlung und Sprache jongliert, wie er zwischen Istanbul und Berlin, Gegenwart und verdrängter Vergangenheit, Türkisch und Deutsch, Ernst und Komik wechselt, das ist überraschend virtuos. Cans Ziel, die wenig bekannten Schicksale der nach dem Putsch in die Bundesrepublik geflüchteten Migranten in einer starken Geschichte zu verdichten, wäre ohne das hochmotivierte Ensemble nicht zu erreichen gewesen. Während sich die Sängerdarsteller in der Regie von Lotte de Beer und der Choreografie von Julieta Figueroa buchstäblich mit vollem Körpereinsatz in die Geschichte stürzen, werden sie sensibel von Sinem Altans Musik unterstützt. Diskrete Brücken zu eingestreuten eigenen Songs bauend lässt die Komponistin den Tango, der hier vor allem gesungen wird, zur zweiten Hauptfigur werden: kosmopolitisch wie Cihan und geprägt von der türkischen Kultur wie er, aber leidenschaftlicher zu den eigenen Emotionen stehend.

Das Schönste an der Aufführung aber ist, dass das Publikum so gemischt ist. Als der Rezensent (Migrationshintergrund Prenzlauer Berg), der sich bereits durch das kollektive Schmunzeln des türkischen Publikumsteils auf einzelne offensichtlich besonders treffend beobachtete Gesten und Redewendungen hat hinweisen lassen, zuletzt gemeinsam mit dem Sitznachbarn eine Träne im Augenwinkel zerdrückt, fühlt er sich jedenfalls erstmals erfolgreich integriert.

Wieder am heutigen 24.1. und vom 28. bis 31.1., 4. bis 7.2. und 12. /13. 2., 20 Uhr

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