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Filmdiva Catherine Deneuve spielt eine französische Filmdiva.

© Prokino/Laurent Champoussin

Catherine Deneuve und Juliette Binoche: Divendämmerung in Herbsttönen

Für seinen ersten internationalen Film „La Verité“ holt der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda zwei große französische Schauspielgöttinnen vor die Kamera.

Allein, wie sie die Augenbrauen hochzieht. Ein kleiner Seufzer, ein Achselzucken, ein konsternierter Blick: Die französische Diva Fabienne beherrscht die Kunst der distinguierten Verachtung wie keine andere. Als der sichtlich verunsicherte Journalist sie im Interview auf eine andere Diva anspricht und sie erfährt, dass diese gerade einen großen Auftritt im „Figaro“ hatte, reagiert sie erstaunt. „Ach, sie ist noch gar nicht tot? War ich nicht auf ihrer Beerdigung?“ Touché.

Welch ein Vergnügen, Catherine Deneuve alias Fabienne dabei zuzuschauen, wie sie ihre Umgebung tyrannisiert. Und welches Drama. Denn Fabienne verprellt einfach alle, sie zerstört, was sie liebt. Ihre Sticheleien, ihre nonchalanten Sottisen gelten beileibe nicht nur Journalisten oder den Kolleginnen bei ihrem aktuellen Dreh, sondern auch der eigenen Familie.

Hirokazu Kore-eda, der japanische Meisterregisseur sensibel erzählter Familiengeschichten, bleibt seinem Thema in seinem ersten fremdsprachigen Film treu. Nach dem Patchwork-Sozialdrama „Shoplifters“ eine Tragikomödie über die Pariser Bourgeoisie – und im herbstlichen Garten der alten Villa fallen die Blätter wie auf einer japanischen Tuschezeichnung.

Alles andere als die Wahrheit

Fabienne hat ihre Memoiren geschrieben, zur Buchpremiere reist ihre Tochter Lumir (Juliette Binoche) mit Mann und Kind an. Schnell stellt sich heraus, dass in dem Buch alles andere als die Wahrheit steht. Fabienne stilisiert sich ihre Biografie zurecht, erklärt sich zur fürsorglichen Mutter, spart das Drama um ihre schwesterliche Freundin und Diven-Konkurrentin Sarah aus, die unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, erwähnt ihren langjährigen, treu ergebenen Assistenten mit keinem Wort und erklärt ihren Ex, Lumirs Vater, für tot.

Dabei spaziert der munter ins Haus und repariert für die Tochter das alte Puppentheater. „Ich bin Schauspielerin“, sagt Fabienne, „die Wahrheit fasziniert mich nicht.“ So kommt, während Lumir ihre Mutter zum Set begleitet und die Enkelin Charlotte (Clémentine Grenier) die Turbulenzen der Großen aufgeweckt verfolgt, die Vergangenheit ans Licht: Egozentrik, Verletzungen, Eifersucht.

„Lieber etwas Vernachlässigung als permanente Einmischung“, quittiert Fabienne die Vorwürfe der Tochter, die als Kind ihrerseits Schauspielambitionen hegte. Binoche macht aus Lumir eine unerschrockene Frau, die sich mit einem gewissen Pragmatismus aus ihrem Kindheitsschmerz gerettet hat.

Dolmetscher auf dem Set

Bei Fabiennes aktuellem Film, der Science Fiction „Andenken an meine Mutter“, geht es ebenfalls um eine Mutter-Tochter-Beziehung, um Liebe und Abwesenheit. Der Film im Film, in dem auch noch Ludivine Sagnier dabei ist, spiegelt das Geschehen wie in einem Vexierbild. „La Verité – Leben und lügen lassen“ setzt noch eins drauf, als Film im Film im Film. Denn wer, wenn nicht Catherine Deneuve selbst, steht Patin für ihre Figur.

Auch Deneuves ältere Schwester, die Schauspielerin Françoise Dorléac, verunglückte tragisch, nachdem sie ihre jüngere Schwester ins Filmgeschäft gebracht hatte. Sie habe viel von sich eingebracht, sagte Deneuve bei der Premiere auf dem Filmfest Venedig. „Aber das bin nicht ich.“

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Es war Binoche, die Kore-eda zum Experiment eines ersten Auslandsdrehs – mit Dolmetschern auf dem Set – angeregt hatte. Er widmete einen japanischen Stoff für Paris um, spielte die Szenen selber mehr vor, als dass er sie erklärte. Erstmals stehen Deneuve und Binoche gemeinsam vor der Kamera. Der 58-jährige Filmemacher möchte „La Verité“ auch als Hommage an das französische Kino verstanden wissen.

Widersprüchliche Persönlichkeiten

Wer schreibt die Rollen? Wer spielt, wer lügt? Wer opfert seine Liebsten auf dem Altar der Schauspielkunst? Oder sind wir es, die Zuschauer, die den Leinwandstars solchen Wahrheits- und Lebensmissbrauch gern unterstellen? Der Regisseur begegnet diesen Fragen mit Leichtigkeit, leisem Humor und einer tiefen Menschlichkeit, die sein gesamtes Werk auszeichnet. Sie prägt auch „La Verité“.

Ob nun die Männer mit Enkelin Charlotte in der Küche Pasta-Gerichte zubereiten, ob Ethan Hawke als Schwiegersohn und erfolgloser Seriendarsteller mit Alkoholproblemen von Fabienne mit Rotwein abgefüllt wird, während man ihn als liebenden Vater erlebt, oder sich Oma und Enkelin hexenhaft verschwören – sämtliche Protagonisten erweisen sich als vielschichtige, zutiefst widersprüchliche Persönlichkeiten.

Vergebung ist möglich

Niemand verkörpert hier einen Typus, auch Fabienne ist beileibe kein Monster. Hinter ihrer Stacheligkeit schimmert der Schmerz. Und der Schalk. Wie so oft bei Kore-edas Filmen möchte man irgendwann am liebsten Mitglied dieser Familie werden und sich mit der kleinen Charlotte im Schlafanzug auf Streifzug durch die Villa begeben. Allen Fehden zum Trotz.

Wer sagt denn, dass das Leben die besten Drehbücher schreibt? Auf dem Filmset legt Fabienne ihren Panzer ab, ringt sich zu Momenten der Wahrheit durch. Und wer sagt, dass wir Nicht-Schauspieler ohne Skript auskommen? Lumir, von Beruf Drehbuchautorin, hilft jedenfalls nach, schreibt einen Reue-Monolog für die Mutter, dichtet ein Kompliment für Charlotte an die Großmutter.

Ob sie es glaubt? Fabienne spielt jedenfalls mit. Vergebung ist möglich, mit ein paar Tricks. Einmal tanzen sie alle, nachts in Paris, und die Lichter funkeln.

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