
© Marta Herford
Chaos im Café: Der Mikrokosmos der Künstlerin Kerstin Brätsch
Der dritte Berliner Tiemann-Preis geht an das Museum Marta Herford. Es hat dafür Bilder von Kerstin Brätsch angekauft und sie an einen ungewöhnlichen Ort gehängt.
Stand:
Es ist ein Wünsch-dir-was für Museen, bezahlt vom Berliner Ehepaar Ingeborg und H. Jürgen Tiemann. Zur Verfügung stehen 50.000 Euro, Bedingung ist ein zeitgenössisches Werk der Malerei, das die bestehende Sammlung einer Institution sinnvoll ergänzt.
2023, zur Premiere des Tiemann-Preises, kaufte das Museum Folkwang in Essen mit dem Geld vier Gemälde des in Berlin lebenden Malers Armin Boehm an. Vergangenes Jahr überzeugte das Kunstmuseum Magdeburg die Jury mit seinem Wunsch nach einem Werk von Özlem Altin, die ebenfalls in der Hauptstadt lebt.
Dieses Mal fiel der Blick auf Kerstin Brätsch, die 2007 ein ungewöhnliches Projekt startete: Zusammen mit Adele Röder gründete sie „Das Institut“ als kreativen Ort, an dem Mode, Bühnenkulissen und Designobjekte in die bildende Kunst einflossen.
Ein Kurzschluss zwischen den Disziplinen, der das Werk von Brätsch bis heute prägt. Immer noch verknüpft sie unterschiedlichste Techniken miteinander – kein Wunder also, wenn sich mit dem Marta Herford ein Haus für Kunst, Design und Architektur für ihre Arbeiten interessiert.

© Marta Herford / Robert Fischer
Zwei Stucco-Marmor-Bilder sind nun in seinem Besitz, objekthaft und mit Oberflächen, die an Versteinerungen oder geschliffene Edelsteine erinnern. Als hätte Kerstin Brätsch ihre eigenen, vielfarbigen Pinselschwünge in ein Puzzle zerlegt und nicht akkurat wieder zusammengefügt. Bloß dass es ihr nie um die schnelle, malerische Geste geht. Alles in ihren Bildern ist durchdacht und sorgsam arrangiert.
Die beiden mithilfe des Tiemann-Preises erworbenen Werke heißen „Fossil Psychic for Christa“ und gehören zu einer Serie von 2020. Brätsch verwendete Gips, Pigmente, Leim, Wachs, Öl und Filz. Solche Mixturen sind typisch für die 1979 geborene Künstlerin, die zwischen Berlin und New York pendelt und gerade eine große Soloschau im Bonner Kunstmuseum eröffnet hat.
Das sind eine Menge Argumente für einen Ankauf, zumal die Sammlung des Marta Herford noch immer von männlichen Künstlern des 20. Jahrhunderts dominiert wird.
Eine Besonderheit stellt allerdings die Entscheidung dar, Brätschs Bilder ins Museumscafé zu hängen, das allen zugänglich ist, selbst ohne Eintrittsticket. Mit dem Entschluss folgt das Haus zum einen Brätsch, die die Kategorien von high and low immer wieder infrage stellt.

© Marta Herford
Es erfüllt aber auch eine Bedingung der Tiemanns auf kluge Art. Das Ehepaar, das 2018 eine Stiftung für Bildung, Kunst, Denkmapflege sowie Naturschutz gegründet hat, wünscht sich eine dauerhafte Präsenz für die mit seiner Hilfe erworbenen Werke. Was im Café nicht einfach ist: Museumsarchitekt Frank Gehry hat, ähnlich wie in Bilbao, geschwungene Wände konzipiert, die es der Kunst nicht leicht machen.
Brätsch arbeitet dagegen, aus dem Bilderduo ist eine ganze Installation geworden – mit Fototapete, den „Fossilien“ und mehreren kleinformatigen Bildern, die das Marta Herford ebenfalls angekauft hat. Alles greift ineinander, die Motive wiederholen und spiegeln sich, Mikrostrukturen werden zu Makromustern und verwandeln die Wand in einen Kosmos aus Farbe, Fläche, plastischen Elementen und Motiven, die wie durch ein Mikroskop unendlich vergrößert scheinen.
Eine Idee, die sich zur autonomen Ausstellung entwickelt hat. Wer mehr von Kerstin Brätsch sehen möchte, muss sich bis Herbst 2026 gedulden. Parallel zum Tiemann-Preis, den das Marta Herford für sich entscheiden konnte, wurde Kerstin Brätsch vor wenigen Wochen der Marta-Preis zugesprochen, den die Wemhöner Stiftung vergibt.
Er verbindet sich mit der Realisierung einer neuen Arbeit für die Sammlung sowie einer Einzelausstellung. Dann finden in Herford Brätsch-Festspiele statt.
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